Grossbritanniens Notenbank stellt nach dem Brexit-Votum eine Lockerung ihrer Geldpolitik zur Stützung der Wirtschaft in Aussicht. Im Laufe des Sommers würden vermutlich geldpolitische Anreize benötigt, sagte der Gouverneur der Bank von England (BoE), Mark Carney, am Donnerstag in London. Der wirtschaftliche Ausblick habe sich verschlechtert. Die «unbequeme Wahrheit» sei, dass die Zentralbank den wirtschaftlichen Schock eines EU-Austritts nicht komplett kompensieren könne. Carney hatte bereits nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses am Freitag den Banken zusätzliche 250 Milliarden Pfund an Liquidität zugesichert, um Engpässe in der Geldversorgung zu verhindern.

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Die Aussagen des Notenbankchefs zeigten an den Märkten sofort Wirkung. Die Rendite zehnjähriger britischer Bonds fiel auf ein Rekordtief von 0,913 Prozent. Das Pfund Sterling sank auf 1,3305 Dollar von zuvor 1,3406. Den Börsen gab die Aussicht auf neue Geldspritzen Auftrieb. Der Londoner Auswahlindex FTSE beendete den Handelstag mit 6504,33 Zählern auf dem höchsten Stand seit knapp einem Jahr.

Bandbreite der zur Verfügung stehenden Instrumente

Der geldpolitische Ausschuss werde die Lage am 14. Juli beurteilen, sagte Carney. Ein umfassendere Einschätzung soll folgen, wenn die Notenbank am 4. August ihre Wirtschaftsprognosen überarbeitet. «Im August werden wir auch weiter die Bandbreite der uns zur Verfügung stehenden Instrumente besprechen», sagte Carney. Investoren rechnen bereits damit, dass die BoE die Leitzinsen senkt - möglicherweise sogar bis auf 0,0 Prozent. Die US-Ratingagentur Fitch geht davon aus, dass der Schlüsselsatz zur Versorgung der Finanzinstitute mit Geld noch 2016 auf 0,25 Prozent reduziert wird. Aktuell liegt er mit 0,5 Prozent schon auf einem Rekordtief.

Carney zufolge gibt es allerdings Grenzen, wie weit die Notenbank die Zinsen herabsetzen kann. Zu niedrige oder sogar negative Zinsen würden die Gewinne der Banken beeinträchtigen, was die Kreditvergabe bremsen könne. Der Notenbank-Chef hatte vor der Anstimmung mit seinen Warnungen vor den Konsequenzen eines EU-Austritts den Zorn des Brexit-Lagers auf sich gezogen.

Geldpolitisches Dilemma

Für keinen Notenbanker der Welt dürfte der Job zurzeit schwerer sein als für Mark Carney. Der britische Chef-Währungshüter muss gleich an mehreren Fronten zu kämpfen. Er muss die wild gewordenen Märkte in Schach halten. Langfristig könnte er vor einem geldpolitischen Dilemma aus schwachem Wirtschaftswachstum und starkem Preisauftrieb stehen. Und zu allem Überfluss gibt es seitens der Politik Gegenwind. Denn die Brexit-Befürworter sind dem 51-Jährigen alles andere als wohl gesonnen.

Schon vor dem Brexit-Votum hatte sich der Notenbanker auf den Fall der Fälle vorbereitet und sich mit anderen führenden Währungshütern rund um den Globus abgesprochen. Über sogenannte «Swap-Linien« kann Carney nun beispielsweise mit der Europäischen Zentralbank (EZB) auf einen Schlag Milliardenbeträge in Pfund gegen Euro tauschen und dadurch den Briten Zugang zu Euros ermöglichen, selbst wenn sich die Banken wegen des taumelnden Pfunds zurückziehen sollten. Vor allem für britische Unternehmen, die im Aussenhandel aktiv sind, ist das unerlässlich.

Schwaches Wachstum und hohe Inflation

Carney kann also kurzfristige Marktturbulenzen zumindest zu einem gewissen Grad abfedern. Längerfristig kommen aber noch ganz andere Problem auf den Währungshüter zu. Denn wegen des Brexit könnte er bald vor einem geldpolitischen Dilemma stehen, bestehend aus einer unheilvollen Kombination aus schwachem Wirtschaftswachstum und hoher Inflation.

Denn zum einen gilt es unter Experten als sehr wahrscheinlich, dass der Brexit die britische Wirtschaft empfindlich treffen wird. Banken und Anleger dürften höhere Risikoaufschläge von den Briten verlangen, was die Finanzierung erschwere, warnt KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. «Die Wirtschaft wird sich mit Investitionen bedeckt halten.«»Der Chefvolkswirt der Deka-Bank, Ulrich Kater, rechnet gar mit einer Rezession in Grossbritannien.

Importierte Güter werden teurer

Zum anderen könnte das schwache Pfund die Inflation nach oben treiben, denn importierte Güter aus dem Ausland werden gemessen in Pfund teurer. Eine Kombination aus wirtschaftlichem Stillstand und hoher Inflation aber ist für Carney wie für jeden Notenbanker ein Albtraum. Denn will er mit Zinssenkungen die Wirtschaft ankurbeln, riskiert er dadurch zugleich, die Inflation anzuheizen. Will er umgekehrt die Inflation in Schach halten, indem er die Zinsen unverändert lässt oder gar erhöht, droht er damit die Wirtschaft abzuwürgen.

Regulär läuft Carneys Amtszeit 2018 aus. Hatte er sich früher noch für eine Verlängerung offen gezeigt, ist davon derzeit keine Rede mehr. Das ehemalige Mitglied der Bank of England, David Blanchflower, kann gut nachvollziehen, woran das liegt: «Politisch ist Carney in einer sehr schwierigen Situation», sagt der Ex-Währungshüter.

(reuters/me)