Zugegeben: Die Überschrift ist reisserisch und verspricht viel – mehr, als sie am Ende vielleicht halten kann. Entschuldigen Sie die Anmassung! Doch sind wir mit diesem vollmundigen Titel bereits mitten in der Debatte, die nun die beiden Wirtschaftsnobelpreisträger George Akerlof und Robert Shiller mit ihrem neuen Buch «Phishing for Phools» angestossen haben.

Darin analysieren die Ökonomen, dass nicht nur Medien um die Aufmerksamkeit ihrer Leser buhlen. Vielmehr stehen Akteure in allen Lebensbereichen im Wettbewerb um potenzielle Nutzer, Konsumenten, Wähler. Es wird getäuscht und betrogen, versucht, jede unserer Schwächen auszunutzen. Und am Ende liefern die freien Märkte eben oft keine optimalen Gleichgewichte, wie sie in den gängigen Textbüchern der Ökonomik zu finden sind.

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«Kompetitive Märkte erzeugen zwangsläufig Betrug und Tricksereien», schreiben Akerlof und Shiller – die eigentlich nicht unter Verdacht stehen, Kommunisten oder Anarchisten zu sein. Im Gegenteil: Spätestens nach ihren Nobelpreisehrungen 2001 und 2013 gehören die beiden zu den absoluten Superstars ihrer Zunft.

Irgendwann erliegt jeder der Werbung

In der Werbung sind zweifellos die Vollprofis zu finden. Dort wird nach Narren in «Reinstform» geangelt, wie die beiden Ökonomen schreiben: Werber loten unsere Schwächen aus und platzieren ihre Angebote – sei es mit Süsskram in der Supermarktschlange oder köstlich duftenden Zimtrollen in Einkaufszentren.

Und natürlich ist es kein Zufall, dass Werbung im Netz auf unsere Bedürfnisse (oder letzten Googlesucheinträge) zugeschnitten scheint. Mithilfe internetbasierter Trackingwerkzeuge wird eine Kampagne analysiert und angepasst. Werber arbeiten nach dem Prinzip Trial and Error: Methoden werden ausprobiert, angepasst, verbessert und neu lanciert – immer und immer wieder. Ein Entrinnen gibt es für Normalsterbliche nicht. Zumal jeder Mensch seine schwachen Momente hat und früher oder später der einen oder anderen Versuchung erliegen wird.

Unternehmen verkaufen schlechtere Produkte

Gefischt wird aber auch überall sonst: Pharmakonzerne überzeugen Ärzte und Patienten von ihren Pillen, Menschen sind abhängig von den vier grossen Lastern Alkohol, Zigaretten, Glücksspiel und Drogen. Banken preisen Kunden und Vermittlern ihre neuesten und ausgefallensten Anlageprodukte an. Den entsprechend positiven Stempel geben die Ratingagenturen, die von den bewerteten Finanzinstituten bezahlt werden.

So geschehen vor der globalen Finanzkrise. Die These von Yale-Ökonom Shiller und Berkeley-Professor Akerlof: Renommierte Unternehmen mit guten Produkten werden früher oder später minderwertige Ware verkaufen – wenn sie so höhere Gewinne einfahren können. Kein Wunder, kommt einem dabei sofort auch der aktuelle Abgasskandal von VW in den Sinn.

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Politiker buhlen um Wähler

Autohändler taxieren das Auftreten von Kunden, variieren den Preis nach Rasse und Geschlecht, locken Interessenten mit jahrelangen Finanzierungsmodellen und verweisen auf die niedrige monatliche Kreditrate. Ähnliche Tricks gibt es am Häusermarkt oder bei der Ausstellung von Kreditkarten, wie Akerlof und Shiller schildern.

Ähnliches Muster in der Politik: Kandidaten wollen gewählt werden. Für ihre Kampagnen brauchen sie, vor allem in den USA, sehr viel Geld. Was direkt zur Gruppe der Lobbyisten führt. Auf jeden Kongressabgeordneten kommen demnach 20 Interessensvertreter, die allesamt ihre Wünsche für die kommende Legislatur erfüllt sehen wollen. Unterm Strich bleibt: Jeder Politiker fischt nach der die Gunst der Wähler – sind diese nicht gut informiert (information phools) oder von Vorurteilen geleitet (psychological phools), ist es oftmals umso leichter, die Unwissenden auszunutzen.

Perfekte Information ist die Ausnahme

Gehen die Standardwerke der Ökonomik im Normalfall davon aus, dass alle Akteure immer den gleichen Informationsstand haben – halten Akerlof und Shiller diesen Zustand für eine Ausnahme. Und dass Akteure in allen Bereichen des Lebens versuchen, menschliche Schwächen auszunutzen, zeigt demnach ebenfalls, dass eine Grundannahme der klassischen Theorie – nämlich die Rationalität der Konsumenten – oft nicht zutrifft beziehungsweise zutreffen kann. In der Wissenschaft unterschätzten und vernachlässigten Ökonomen jedoch die Auswirkungen von Tricksereien und schweren Betrugsfällen auf viele Marktgleichgewichte. 

Akerlof (oben links im Bild) und Shiller, die mit dem Buch «Animal Spirits» 2009 die vielleicht treffendste Ursachenforschung zur grossen Finanzkrise betrieben haben, erheben für «Phishing for Phools» nicht den Anspruch auf ein bahnbrechendes Werk. Zu Recht: So mancher erläuterte Sachverhalt ist bekannt, die schrägen Anreizsysteme und Bezahlmodelle zwischen Finanzinstituten und Ratingagenturen zum Beispiel. Und die beiden Schwergewichte liefern zwar viele anschauliche Beispiele für ihre These. Doch eine tiefere Analyse fehlt – und ebenso ein Ausweg aus der Misere. Das jedoch wird die Herausforderung der nachfolgenden Ökonomengeneration sein.

Mathias Ohanian
Redaktionsleiter von handelszeitung.ch. Früher bei der Financial Times Deutschland. Gelernter Ökonom, ausgebildeter Journalist.
Twitter: @mathiasohanian