Seit 2009 wurden weltweit Hunderte von Steuerabkommen gemäss Amtshilfe-Standard der OECD abgeschlossen, um die Steuerflucht zu bekämpfen. Zahlreiche Staaten stecken im Schuldensumpf, die Jagd auf Steuersünder ist eröffnet. Doch die Wirkung der neuen Steuerabkommen bleibt bescheiden.

Das ist das Fazit zweier Forscher, die erstmals die Auswirkungen der Abkommen auf das Verhalten der Steuerflüchtigen quantitativ zu erfassen versuchten und deren Erkenntnisse kürzlich unter dem Titel «Das Ende des Bankgeheimnisses?» im «American Economic Journal» veröffentlicht wurden.

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13 steuerfreundliche Länder

Gabriel Zucman, französischer Ökonom und Assistenzprofessor an der London School of Economics, und Niels Johannesen, Professor an der Universität von Kopenhagen, analysierten anhand von Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel die ausländischen Guthaben in 13 steuerfreundlichen Ländern, darunter die Schweiz, Luxemburg, Singapur, Hongkong und die Cayman Islands. So untersuchten sie, wie beispielsweise Franzosen auf die Unterzeichnung des Steuerabkommens zwischen Frankreich und der Schweiz reagierten.

Die Wirkung der Steuerabkommen auf die Vermögen in Steueroasen war demnach eher bescheiden. Der Abschluss eines Abkommens gemäss OECD-Richtlinie führte zu einem durchschnittlichen Rückgang der Vermögen in der Steueroase um 11 Prozent. Im Falle Frankreichs und der Schweiz hätten die Franzosen ihre Vermögen auf Schweizer Banken also um durchschnittlich 11 Prozent reduziert.

Verschiebung von Vermögen zwischen Steueroasen

Trotzdem kam es kaum zu Repatriierungen von ausländischen Vermögen in die Heimat der Besitzer. Stattdessen beobachteten die Forscher eine Verschiebung von Vermögen zwischen Steueroasen. So verloren die Steueroasen mit vielen neuen OECD-Abkommen merklich Vermögen an jene, die nur wenige Abkommen unterzeichnet hatten. Zum Beispiel sanken die französischen Guthaben in der Schweiz. Sie nahmen jedoch gleichzeitig in Steueroasen zu, die noch kein Abkommen mit Frankreich abgeschlossen hatten.

Gemäss den Berechnungen der Forscher waren Jersey, Luxemburg und die Schweiz die Verlierer dieser Entwicklung. Die Banken der Kanalinsel Jersey büssten zwischen 2007 und 2011 demnach 4,2 Prozent Marktanteil im Geschäft mit ausländischen Vermögen ein, Luxemburg 1,7 und die Schweiz 1,1 Prozent. Die Gewinner waren die Finanzplätze Hongkong, Cayman Islands und Singapur, die in der gleichen Periode zwischen 1,8 und 2,3 Prozent Marktanteile hinzugewannen (siehe Grafik).

Eine Reihe von Ländern kooperiert mit der Europäischen Union betreffend Besteuerung von Zinseinkünften auf ausländischen Vermögen, unter ihnen seit dem Zinsbesteuerungsabkommen von 2005 auch die Schweiz. Auffällig ist gemäss Zucman, dass Vermögensverschiebungen im Zusammenhang mit dem Abschluss von OECD-konformen Steuerabkommen nur zugunsten von Finanzplätzen stattfanden, die kein solches Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU abgeschlossen hatten, beispielsweise Singapur, Hongkong, die Bahamas oder Bahrain. Die Vermögen seien einfach in die Steueroasen mit den laschesten Regeln verschoben worden, so die Schlussfolgerung der Forscher.

Die Steuerabkommen gemäss OECD-Richtlinie bewirkten zwar eine Verhaltensänderung. Sie genügten aber nicht, um die Steuerflucht wirksam zu bekämpfen, stellen die Forscher fest.

Kürzlich erwähnte Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman Gabriel Zucman lobend in seinem Blog. In den Führungsetagen der US-Wirtschaft sei das Verstecken von Vermögen in Offshore-Steueroasen wohl nicht die Ausnahme, sondern eher die Norm, schloss er aus dessen Arbeiten. Zucman hatte nämlich in einer weiteren Untersuchung («Der verlorene Reichtum der Nationen») mit statistischen Daten der Schweizerischen Nationalbank (SNB) den Umfang der weltweiten Steuerflucht zu schätzen versucht. Das Resultat: Etwa 8 Prozent des weltweiten privaten Finanzvermögens – rund 5900 Milliarden Euro – werden in Steueroasen gehalten. Drei Viertel davon seien nicht versteuert.

Kämpfer gegen die Ungleichheit

Die Nationalbank erfasst regelmässig den Wert der ausländischen Vermögen, die von Schweizer Banken verwaltet werden. Zucman benutzt diese Daten, um seine Schätzungen der weltweiten Vermögen in Steueroasen zu überprüfen.

Er untersucht dazu Unregelmässigkeiten in den zwischenstaatlichen Statistiken über Finanzanlagen. So scheinen in den Statistiken weniger Wertpapier-Aktiven auf als Verbindlichkeiten. Gemäss Zucmans Berechnungen beträgt die Diskrepanz alljährlich rund 10 Prozent der grenzüberschreitenden Aktien- und Obligationenvermögen, weil ihre Eigentümer in Steueroasen versteckt bleiben.

Ebenso werden in den internationalen Statistiken deutlich mehr Dividenden- und Zinszahlungen registriert als Einnahmen aus Dividenden und Zinsen. Ausserdem scheinen weltweit mehr Wertpapiere gekauft als verkauft zu werden in Jahren, in denen die Steueroasen als Nettokäufer von Wertpapieren aufscheinen. Wenn sie dagegen als Nettoverkäufer auftreten, registrieren die Statistiken plötzlich mehr Verkäufe als Käufe von Wertpapieren. Gemäss Zucman korrespondieren diese Diskrepanzen in den internationalen Statistiken mit den Daten aus der Nationalbank-Statistik.

Zucmans Schätzungen erscheinen plausibel, beruhen jedoch auf zahlreichen Annahmen. Sie werden denn auch von anderen Ökonomen angezweifelt. Doch findet er zusammen mit seinen französischen Kollegen Emmanuel Saez und Thomas Piketty, dessen «Kapital im 21. Jahrhundert» derzeit weltweit Furore macht, enorme Beachtung.

Die jungen wilden Ökonomen aus Frankreich prägen die weltweite Ungleichheitsdebatte mit ihren auf umfangreichem statistischem Datenmaterial basierenden Untersuchungen. Sie scheuen sich nicht vor klaren politischen Aussagen und befeuern damit die wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen. So forderte Zucman auch schon Strafzölle gegen die Schweiz oder Hongkong, um diese zum Einlenken im Kampf gegen Steuerflucht zu zwingen. Gemeinsam mit Piketty und Saez empfiehlt er ausserdem massive Steuererhöhungen für die Reichen.