Seit dem globalen Ausverkauf im März hat es eine Flut an negativen Schlagzeilen über Schwellenländer gegeben. Angefangen von Sorgen über mögliche Schuldenumstrukturierungen und Unternehmensausfälle bis hin zu den negativen Auswirkungen fallender Öl- und Rohstoffpreise. 

Alejandro Arevalo ist Fondsmanager für Schwellenländeranleihen bei Jupiter Asset Management.

Doch viele dieser Meldungen spiegeln die Realität nicht vollständig wider. Stattdessen wird der gleiche Fehler gemacht wie schon viele Male zuvor: Das Schwellenländer-Universum wird fälschlicherweise als homogene Einheit betrachtet. In Wirklichkeit sind die Schwellenländer jedoch sehr verschieden, wodurch sich wiederum viele Möglichkeiten zur Diversifizierung ergeben.

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Das Anlageuniversum umfasst 83 Länder, die sich in unterschiedlichen Phasen des Konjunkturzyklus befinden und in denen 85 Prozent der gesamten Weltbevölkerung leben. Die aktuelle Coronavirus-Pandemie wird einige Schwellenländer besonders hart treffen und längerfristige Folgen mit sich bringen – doch das gilt nicht für alle Schwellenländer-Märkte gleichermassen.

Darüber hinaus bietet die Anlageklasse der Schwellenländer-Anleihen eine breite Diversifikation. Das umfasst Anleihen mit einer Bonität von AAA bis CCC und Laufzeiten von bis zu 100 Jahren über verschiedenste Sektoren hinweg – darunter sowohl Unternehmens- als auch Staatsanleihen sowie Anleihen in Hart- und Lokalwährung.

Drei zentrale Treiber der Schwellenländer-Märkte

Schwellenländer-Anleihen waren im März mit drei wesentlichen Herausforderungen konfrontiert: Kapitalabflüssen, einem Einbruch der Ölpreise und Covid-19. Allerdings haben in den vergangenen Monaten auch genau diese Themen – stabile Kapitalflüsse, Öl und eine Aufhebung der Corona-Lockdowns – die Erholung dieser Anlageklasse massgeblich vorangetrieben.

1. Kapitalflüsse

Laut EPFR Global verzeichneten Schwellenländeranleihen im bisherigen Jahresverlauf fast 57 Milliarden Dollar an Kapitalabflüssen. Das entspricht rund 11 Prozent des gesamten verwalteten Vermögens. Im März floss das Kapital sogar schneller ab als während der Finanzkrise.

Aktuell scheint sich die Lage jedoch stabilisiert zu haben und erste Gelder fliessen bereits in die Anlageklasse zurück. Der Markt funktioniert mittlerweile auch deshalb besser, weil Anleger begonnen haben, zwischen den verschiedenen Anlagemöglichkeiten zu unterscheiden.

Zudem konnte eine Wiederbelebung von Neuemissionen beobachtet werden: Seit Jahresbeginn wurden fast 260 Milliarden Dollar an neuen Anleihen emittiert, wovon rund 100 Milliarden allein im letzten Monat auf den Markt kamen. Dies war eine gute Ertragsquelle, da Staaten und Unternehmen ihre Anleihen zuletzt mit einem Aufschlag anbieten mussten – unabhängig von den zugrunde liegenden Fundamentaldaten.

2. Öl

Der Einbruch der Ölnachfrage und eine weltweite Angebotsflut sorgten im April für ein aussergewöhnliches Phänomen: negative Ölpreise. Seither haben sich die Notierungen am Ölmarkt jedoch erholt, da die Nachfrage aus den USA und anderen grossen Volkswirtschaften wieder gestiegen ist. In Kombination mit Angebotskürzungen hat dies die Preise in die Höhe getrieben.

Doch obwohl sich die Ölpreise erholt haben, werden vermutlich einige Schwellenländer wie Angola, Nigeria, Oman und Bahrain bei diesen Preisniveaus weiterhin zu kämpfen haben. Aber auch hier gilt, dass die Schwellenländer nicht alle gleich sind. Niedrige Ölpreise kommen all jenen Schwellenländern zugute, die Ölimporteure sind – wie etwa Indien, Ägypten, Georgien, China, Indonesien und die Türkei.

3. Covid-19

Genau wie für die entwickelten Märkte, lässt sich auch für die Schwellenländer schwer voraussagen, welche Auswirkungen die  Pandemie auf jedes einzelne Land haben wird. Wir können aber sehr wohl zwischen Regierungen unterscheiden, die sinnvolle Schritte unternommen haben, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und ihre Wirtschaft zu unterstützen, und all jenen, die aufgrund fehlender Massnahmen stärker in Mitleidenschaft gezogen werden dürften.

Sonnen- und Schattenseiten

Positiv zu vermerken ist, dass viele Schwellenländer-Regierungen dieselben Massnahmen ergriffen haben, wie wir sie in den Industrieländern beobachten konnten – sprich Abstandsregeln und Reisebeschränkungen. Darüber hinaus fangen in einigen dieser Länder auch die Notenbanken an neu zu denken, indem sie Liquidität in den Markt bringen und Staats- und Unternehmensanleihen kaufen.

Andererseits gibt es weiterhin Länder wie Mexiko und Brasilien, deren Regierungen das Virus zu Beginn nicht ernst genug genommen haben. Diese müssen nun vermutlich mit erheblichen wirtschaftlichen Einbussen rechnen. Auch in Bezug auf Afrika bleiben wir vorsichtig, da es dort an Ressourcen fehlt, eine grosse Armut unter der Bevölkerung herrscht und die Menschen sehr dicht beieinander leben.

Wir werden in einer Welt mit immer höheren Haushaltsdefiziten leben, da die Regierungen viel Geld in die Hand nehmen, um ihre Wirtschaft zu unterstützen. Ausserdem kommen existierende Schwächen jetzt erst richtig zum Vorschein. Auf der anderen Seite verfügen zahlreiche Schwellenländer mittlerweile über deutlich stabilere Kapitalmärkte als bei der letzten Krise. Diese lokalen Märkte werden von den Staaten mittlerweile aktiv genutzt, um sich liquide Mittel zu beschaffen und um ein Gleichgewicht von Aktiven und Passiven zu halten.

Ist es an der Zeit, das Engagement in Schwellenländer-Anleihen zu erhöhen?

Im vergangenen Jahr notierten Schwellenländer-Anleihen in etwa auf dem Niveau ihrer langfristigen Durchschnittswerte. Das heisst: Nach der Corona-bedingten Kurzschlussreaktion im März und auch nach der Teilerholung, die die Kurse seither vollzogen haben, befinden sich die Spreads jedoch immer noch auf ihrem höchsten Niveau seit der Finanzkrise.

Wir sehen daher bei Schwellenländer-Anleihen nach wie vor viele attraktive Anlagegelegenheiten. Dabei fällt auf, dass Anleger jetzt scheinbar zunehmend zwischen den einzelnen Anlagechancen differenzieren, weshalb sich auch die Spreads zu verengen beginnen. Auf ihrem aktuellen Niveau bieten die Spreads Anlegern aber nach wie vor gute Einstiegspunkte, um von den Fundamentaldaten zu profitieren.

Unternehmensanleihen dominieren das Hartwährungs-Universum

Das Universum der Schwellenländer-Unternehmensanleihen ist mittlerweile mehr als doppelt so gross wie das der Staatsanleihen. Darüber hinaus erbringen Unternehmensanleihen bei volatilen Marktbedingungen weiterhin eine höhere risikobereinigte Rendite als Staatsanleihen oder Lokalwährungspapiere – wie schon zuvor bei den letzten vier Krisen in Schwellenländern.

Obwohl wir mit keiner V-förmigen Wirtschaftserholung rechnen, halten wir viele Schwellenländer-Unternehmen für gut aufgestellt, um der aktuellen Krise standhalten und sich langfristig gut entwickeln zu können. Wir richten unseren Fokus daher stärker auf Unternehmensanleihen, da hier unseres Erachtens das grösste Ertragspotenzial liegt.

Schwellenländer-Anleihen mit kurzer Laufzeit bieten doppeltes Potenzial

Sorgfältig ausgewählte Schwellenländer-Anleihen mit kurzer Laufzeit bieten im Vergleich zu Industrieländern attraktive Renditen – und das bei geringerer Volatilität als bei Anleihen mit längerer Laufzeit, dank des «Pull-to-Par»-Effekts. Kurzlaufende Anleihen können somit beides bieten: Renditepotenzial in bullishen Marktphasen und den Vorteil einer begrenzten Volatilität, wenn die Märkte im Risk-off-Modus sind.