Die Aufträge der deutschen Industrie sind im Mai so stark eingebrochen wie seit dem ersten Lockdown 2020 nicht mehr. Die Betriebe sammelten 3,7 Prozent weniger Bestellungen ein als im Vormonat, wie das Bundeswirtschaftsministerium mitteilte. Das Neugeschäft sank damit erstmals in diesem Jahr.

Der Rückgang kommt überraschend. Von der Nachrichtenagentur «Reuters» befragte Ökonomen hatten mit einem Anstieg von 1,0 Prozent gerechnet. Der April-Wert wurde allerdings kräftig nach oben revidiert – von minus 0,2 Prozent auf plus 1,2 Prozent.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Sondernachfrage vor dem Ende

Aber ist im Mai geschehen? «Es könnte nun der Fall sein, dass sich der Materialmangel auf den Auftragseingang niederschlägt», sagt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. «Sind Unternehmen aufgrund fehlender Vorprodukte nicht in der Lage, Aufträge abzuarbeiten, wird erst gar nicht mehr bestellt. Vermutlich dürfte aber auch die gutlaufende Industriekonjunktur zumindest etwas abebben. Die Sondernachfrage dürfte sich langsam ihrem Ende nähern.»

Allerdings müsse man sich deshalb keine Sorgen machen, so Gitzel: «Die Auftragsbücher sind gut gefüllt. In den vergangenen zwölf Monaten lag der Auftragseingang bislang nur zweimal im Minus. Im Dezember 2020 war dies der Fall und jetzt im Mai. Damit liegt der Auftragsbestand seit Auflegung der Zeitreihe im Jahr 2015 auf einem Allzeithoch. Die Reichweite des derzeitigen Auftragsbestandes liegt bei sieben Monaten. Die Produktion ist für dieses Jahr – unter Ausklammerung der Materialknappheit – gesichert.»

«Es sind die Dienstleister, wo die Musik spielt.»

Andreas Scheuerle, Leiter Industrieländerkonjunktur und Branchenanalysen, DekaBank

Auch Andreas Scheuerle von der Dekabank verweist auf die Lieferengpässe. Die Reaktion der Unternehmen darauf könne unterschiedlich ausfallen: «Manche Unternehmen bestellen doppelt so viel, wie sie benötigen, um wenigstens etwas an Vorprodukten zu erhalten, andere warten auf bessere Zeiten und bestellen weniger.»

Für den kommenden Monat dürfe man wieder etwas optimistischer sein. Hochfrequente Konjunkturindikatoren hatten eine Abschwächung der Industriekonjunktur im April und Mai angedeutet, zeigten aber für Juni schon wieder nach oben. «Die Konjunktur im zweiten Quartal wird nicht von der Industrie gemacht, es sind die Dienstleister, wo die Musik spielt», so Konjunkturforscher Scheuerle. «Befreit von den Fesseln des Lockdowns werden diese kräftig expandieren und die Schwäche der Industrie überkompensieren.»

Auf für Carsten Brzeski von der ING besteht kein Grund zur Sorge: «Die Auftragsbücher sind prall gefüllt. Die bestehenden Bestellungen schneller abzuarbeiten, ist ein grösseres Problem für die deutschen Firmen als neue an Land zu ziehen.»

Reuters», rap)