Bruno S. Frey über Glück während Corona und was es zu erforschen gilt

Was ist besser für Venedig: drei Delfine in der Lagune – oder drei Kreuzfahrtschiffe? Bruno S. Frey: Kreuzfahrtschiffe sind ein riesiges Problem. Wenn ein solcher Pott einfährt, verdeckt er die Sonne in Venedig. Dieser Gigantismus bringt nichts und macht die ganze Stadt kaputt. Dann also lieber drei Delfine. Davon können die Venezianer kaum leben. Kreuzfahrtgäste geben auch kaum Geld aus in Venedig. Sie laufen im Pulk ein und besorgen sich allenfalls ein Gelato. Das bringt der Stadt nichts. Hafengebühren bringen etwas – aber dieses Geld fliesst nach Rom. Wo die Cruise-Industrie eine starke Lobby hat. Wie soll Venedig denn wirtschaften? Destinationen wie Venedig und andere Overtourism-Hochburgen sollten sich auf Besucherinnen und Besucher konzentrieren, die länger bleiben und so mehr Geld ausgeben in der Stadt. Sie verblüfften mitten im Undertourism mit einem Vorschlag: Man solle Venedig eins zu eins nachbauen und so Druck vom Original nehmen. Auf einer Skala von eins bis hundert: Wie ernst meinen Sie das? Hundert Punkte. Was mir dabei wichtig ist: Das neue Original sollte mehr bieten als das ursprüngliche. Mittels neuester Technologie sollten Besucher und Besucherinnen beispielsweise erleben und spüren können, wie Venedig im 14. Jahrhundert aussah. Wer soll das bezahlen? Walt Disney? Warum nicht? Was für mich klar ist: Für das ursprüngliche Venedig wie auch für das «neue Original» wird man einen relativ hohen Eintrittspreis verlangen können. Eventuell könnte man so auch die Menschenmassen steuern. Wenn das ursprüngliche Venedig überlaufen ist, senkt man den Preis für die Kopie und schafft so einen Anreiz, das «neue Original» zu besuchen, das aufgrund der technischen Finessen für Familien mit Kindern wohl sowieso attraktiver wäre. Der etwas andere Ökonom Bruno S. Frey, geboren 1941 in Basel, ist seit 2004 Forschungsdirektor des Center for Research in Economics, Management and the Arts (Crema), Zürich. Frey studierte Nationalökonomie an den Universitäten Basel und Cambridge. Bis 2011 hielt er an der Uni Basel eine ausserordentliche Professur, seit 2015 ist er dort ständiger Gastprofessor. Davor war er Senior-Professor für Politische Ökonomie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Von 1970 bis 1977 war er Professor für Finanzwissenschaft, Universität Konstanz, danach Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich. Frey hält Ehrendoktorwürden an fünf Universitäten in der Schweiz, in Frankreich, Österreich, Schweden und Belgien. Durch seine Pionierrolle in der ökonomischen Glücksforschung galt der Basler lange als Kandidat für den Nobelpreis. Er ist verheiratet mit Margit Osterloh, der emeritierten Professorin für Organisationslehre an der Universität Zürich. Müsste man Venezia Due über einen Spac-Mantel an die Börse bringen? Sicher eine gute Idee. Um Konstruktionskosten zu minimieren, kann man sich beim «neuen Original» auch auf vier bauliche Eckpfeiler beschränken: Dogenpalast, Markuskirche, Markusturm und Rialtobrücke sowie jene Teile des Canale Grande, die von dort aus sichtbar sind. Kaum jemand weiss, dass der im Jahr 911 erbaute Markusturm zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammenkrachte und wieder komplett neu aufgebaut wurde. Ein neues Original im ursprünglichen Venedig. Klingt wie im Fall von Luzern, wo 1993 ein Grossteil der Kapellbrücke abbrannte und neu aufgebaut werden musste. Braucht es auch ein zweites Luzern, um Touristenmassen in der Zentralschweiz umzulenken? Natürlich, meine Grundidee trifft auch auf einen Hotspot wie Luzern zu, wenn es sinnvoll und machbar wäre. Hier ginge es wohl darum, die Kapellbrücke, die Jesuitenkirche und einen Teil des Sees nachzugestalten. Den Pilatus würde man mittels moderner Technik einspielen. Sollen solche Nachbauten eher in Mumbai oder in Schanghai zu stehen kommen? Weder noch. Das nachgebaute Venedig beispielsweise stünde am besten irgendwo in der Nähe der ursprünglichen Bauten, damit Ambiance, Wetter und Landschaft dem ursprünglichen Venedig möglichst nahekommen. Irgendwo zwischen dem heutigen Venedig und Bari. Kommt es in Venedig, Barcelona und Dubrovnik überhaupt je wieder zu Overtourism? Oder werden die Menschen ihren Reisekonsum einschränken? Der Overtourism kommt ganz bestimmt zurück. Als ich vor sechs Wochen in Venedig war, bildeten sich schon wieder erste Warteschlangen vor dem Dogenpalast und der Markuskirche. Das waren vor allem noch italienische Gäste, aber ausländische Touristenmengen werden folgen. Ist Reisen ein Menschenrecht? Ja. Reisen ist eine wunderbare Sache, ein Gewinn. Es öffnet den Horizont für andere Menschen, Gegenden und Kulturen. Macht Reisen glücklich? Auf jeden Fall. Ist es eine höhere Form von Glück, im Tausenderpulk in Venedig anzulegen und sich dort mal kurz ein Gelato zu schnappen? Wir Intellektuellen dürfen den Leuten nicht vorschreiben, auf welche Art sie ihr Glück finden sollen. Kunstsachverständige begutachten den Dogenpalast, aber ein feines Glace macht auch glücklich. Wenn Schweizerinnen und Schweizer nicht gerade in den Ferien weilen, kommen sie nun langsam zurück an ihre Arbeitsplätze. Eine gute Nachricht? In der Glücksforschung sehen wir immer wieder: Informeller Kontakt mit anderen Menschen, in diesem Fall mit Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen, ist ein Grundpfeiler der persönlichen Zufriedenheit. Und das nützt der ganzen Organisation. Zu vorpandemischen Zeiten sagten Sie: Pendeln macht unglücklich. Was stiftet grössere Nettozufriedenheit: Büro oder Homeoffice? Wenn die berufliche An- und Rückreise zu viel Zeit von der Familie wegnimmt, macht es tatsächlich unglücklich. Zum Zusammenhang von Pendeldauer und subjektiver Zufriedenheit konnten wir leider keine Daten ermitteln. Aber ich würde einmal schätzen, dass mehr als eine Dreiviertelstunde pro Wegstrecke das Potenzial zum Unglück birgt. Aber: Nur im Homeoffice zu hocken, macht sicher nicht glücklicher. Lag der Bundesrat richtig, als er die Bürolistinnen und Bürolisten vom Arbeitsplatz aussperrte? Mit der Homeoffice-Pflicht ging der Bundesrat zu weit. Eine Regierung sollte Unternehmen und Organisationen niemals so stark dreinreden. Gesundheit und Wirtschaft: Sehen Sie das zu Pandemiezeiten als ein gemeinsames Projekt oder als Konflikt? Natürlich ist es ein Konflikt. Ein flächendeckender Shutdown nützt der Gesundheit ein kleines bisschen, schwächt aber die Wirtschaft viel stärker. Wie beurteilen Sie das Pandemiemanagement des Bundesrats grundsätzlich? Die Schweizer Regierung hat vieles richtig gemacht, sie ging in vielen Fällen weniger rigid vor, als es in anderen Ländern der Fall war. Im Nachhinein zeigt sich aber, dass man sich früher und stärker auf jene Orte und Bevölkerungsschichten hätte konzentrieren sollen, die von Übersterblichkeit betroffen waren. Aber dass man Menschen in Altersheimen wochenlang eingesperrt hat, war fürchterlich. Was wäre die Alternative gewesen? Leere städtische Hotelzimmer als vorübergehende Bleibe offerieren? Das wäre bestimmt eine gute Möglichkeit gewesen. Was ist für Sie der stärkste Eindruck aus der Zeit der Pandemie? Es ist erstaunlich, wie robust sich die Schweizer Wirtschaft trotz allen Eingriffen gehalten hat. Was sind die mittleren und langfristigen Nachwirkungen von Corona in der Wirtschaft? Wir müssen uns gefasst machen, dass es immer wieder starke exogene Schocks geben wird. Wobei sich leider kaum voraussagen lässt, aus welcher Ecke die nächste Krise kommt. Wir müssen besser vorbereitet sein. Gut wäre es deshalb, wenn man ein Gremium gründen würde, das den Bundesrat eng begleitet, ihn kritisiert und vor allem andere Möglichkeiten aufzeigt. Was soll das bringen? Nennen Sie es Bundes-Beirat oder Schatten-Bundesrat. Auf jeden Fall sollte es ein Gremium sein, eventuell aus Parlamentariern zusammengestellt, das nicht mit Verboten arbeitet, sondern in einer konstruktiven Art taugliche Vorschläge aufs Tapet bringt und neue Möglichkeiten offeriert.Der Glücksuntersucher Einen Namen machte sich Bruno S. Frey als Pionier der ökonomischen Glücksforschung. Vereinfacht gesagt sieht Frey fünf Faktoren, welche die persönliche Zufriedenheit messbar beeinflussen: physische und psychische Gesundheit, Familienleben, soziale Kontakte, politische Mitbestimmung, finanzielle Situation. Zur Letzteren konnte Frey nachweisen, dass Lohnerhöhungen auf tiefem Niveau das persönliche Glücksgefühl zwar steigern, der Grenznutzen ab einer gewissen Höhe aber abnimmt. Aktuell bringt sich Frey mit seinem Buch «Venedig ist überall» auf ungewöhnliche Art in die Overtourism-Diskussion ein. Sein Vorschlag: Um komplett überlaufene Städte wie Venedig vor dem Kollaps zu retten, müsse man sie in Ortsnähe originalgetreu und digital hochgerüstet nachbauen. Das «neue Original» nähme so eine Ventilfunktion wahr, was den Besucherdruck auf das alte Original verringern sollte. Stolz ist Frey darauf, dass viele seiner Assistentinnen und Assistenten später Karriere machten. Fünf Frauen und acht Männer haben es zu Professuren gebracht, etwa an den amerikanischen Spitzenuniversitäten Harvard, Columbia, Chicago und UCLA. Auch der heutige «Handelszeitung»-Kolumnist Reiner Eichenberger war einst Assistent bei Frey. Sie fassten in Ihrem Leben alle möglichen Themen in ökonomische Modelle. Welches Gebiet liegt brach? In der Wirtschaftstheorie ist das Thema des Zeitgeists noch weitgehend unerforscht. Dabei bestimmt er unsere Diskussionen, Haltungen und die Gesprächskultur so stark wie selten zuvor. Wie meinen Sie das? Es herrscht heute eine Stimmung, die Aussagen zu gewissen Themen fast schon verbietet. Themen wie Klima und Gender sind derart stark vom Zeitgeist beeinflusst, dass oft kein unvoreingenommenes Gespräch mehr möglich ist. Der US-Ökonom Robert Shiller geht mit seiner Theorie der «Narrative Economics» in diese Richtung. Kann man den Zeitgeist überhaupt in ein ökonomisches Modell fassen? Um das zu erkennen, muss man sich zunächst einmal genau damit befassen. Man muss erkennen, wo und wie der Zeitgeist entsteht, in welchen Medien er sich manifestiert und wie schnell er sich bewegt. Oft ist da zunächst kein Anzeichen für den Zeitgeist – und plötzlich ist er da und bestimmt den Diskurs. Welches Thema wird am stärksten vom Zeitgeist beeinflusst? Die Klimafragen. Dabei muss man auch hier Vorteile und Nachteile immer abwägen können. Wer ist betroffen? Wie stark? Wann? Dieses Thema wird aktuell von der Ideologie bestimmt und kann kaum unvoreingenommen besprochen werden. Dabei ist es doch so: Der Widerspruch bringt uns voran. Was ist der «Zeitgeist» genau? Eine Denkart, die breiteste Massen erfasst, und zwar massiv. Und die dann mit neuen Generationen auch wieder verschwindet. Die Kinder, die heute zwei Jahre alt sind, werden später nicht zu «Fridays for Future»-Demos gehen. Wir erlebten in den letzten 15 Monaten das krasseste Auf und Ab der Wirtschaftsgeschichte. Warum werden ausgerechnet in so einer Phase Dinge wie Gendersternchen oder die Bronzestatuen von toten Männern zu beherrschenden Themen? Wenn man das wüsste. Mich überrascht es auch. Über Einkommensungleichheit gibt es vielleicht noch eine kleine Debatte, aber schon beim viel wichtigeren Thema der Aufwärtsmobilität ist Schluss: Kann jemand, der sich engagiert, noch sozial aufsteigen? Das hatten wir in der Schweiz bislang – und dank unserem dualen Bildungssystem haben wir es immer noch. Mit einer guten Lehre kann man es immer noch sehr weit bringen. Sie erachten diese soziale Mobilität als gefährdet? Ja. Weil man zu sehr auf Akademiker*innen setzt? Ja. Man kann heute immer noch von der Lehre aus bis an eine Universität gelangen, wenn man will, und es gibt viele Passerellen. Aber schauen Sie mal nach Spanien: Da gehen die Leute an die Universitäten, fallen durch und sind auf einem Nullpunkt. In Italien dasselbe. Da hat man dann einen Taxifahrer mit Abschluss in Skandinavistik. Genau, das ist bei uns viel besser. Wie halten Sie es in Ihren Schriften mit dem Genderstern? Ich schreibe «Bürgerinnen und Bürger». Und sonst mit Abwechslung. Viele Leute erwarten, dass nach dieser Pandemie ein grosser wirtschaftlicher Boom einsetzen wird, dass wieder die«Roaring Twenties» beginnen. Das ist übertrieben. Allerdings ist die Entwicklung auch nicht so schlecht, wie viele befürchteten. Ich selber erwartete auch, dass es viel länger geht, bis sich die Wirtschaft erholt. Aber an ein goldenes Jahrzehnt glaube ich wirklich nicht. Sollte der Aufschwung in den kommenden Jahren trotzdem kommen: Wer profitiert davon? Die unteren Schichten und die Mittelschichten werden zu den Gewinnern gehören. Sie haben zuletzt sehr gelitten. Kleineres Gewerbe beispielsweise wird profitieren. Weil seine Leistungen nun deutlich mehr nachgefragt werden? In den letzten eineinhalb Jahren konnten die Schweizer Haushalte sehr viel Geld sparen. Sie werden es wieder ausgeben … … Auch für Kreuzfahrten. Schon. Aber umgekehrt werden die Italiener auch in die Schweiz kommen. Internationaler Austausch ist sehr wichtig. Ich habe kürzlich ein Plakat gesehen: «Unser Obst und Gemüse fliegt nicht» ... ... von Denner. Und schon sind wir wieder beim Zeitgeist. Das finde ich katastrophal. Das heisst, dass wir den Peruanern kein Gemüse und kein Obst mehr abkaufen. «Es ist nicht unsere Aufgabe, der Politik zu sagen, was sie zu tun hat» ETH-Klimaforscher Reto Knutti findet die Debatte, ob sich die Klimaziele erreichen lassen, verfehlt. Ein Gespräch über Politik und Wissenschaft. Wir sollen also mit gutem Gewissen Bohnen essen, die aus Marokko eingeflogen werden? Ja. Für die Marokkaner. Es ist nicht moralisch, sich als gute Klimakämpfer zu präsentieren – und die Leute in Marokko oder in Südamerika leiden dann darunter. Es ist wichtig, dass die Peruaner uns auch Spargeln liefern können. Wir müssen doch anderen Ländern ermöglichen, das, was sie leisten können, auch zu verkaufen. Für Sie ist der Klimawandel nicht die ganz grosse dunkle Wolke, die über allem hängt? Das Thema darf nicht alles regieren. Auf keinen Fall. Die Naturwissenschafter zeichnen hier aber auf dreissig Jahre hinaus sehr düstere Szenarien. Sie bezweifeln diese? Ich glaube jedenfalls nicht, dass die Welt untergeht. Klimawandel als «first world problem»? Wenn man ein wenig bösartig sein will, dann sagt man: Wir leisten uns einfach das Umweltthema – und die armen Länder lassen wir aussen vor. Wir sollten doch dazu beitragen, dass sie sich entwickeln können. Zum Beispiel, indem wir ihre Produkte nachfragen. Oder auch, indem wir unser duales Bildungssystem dort propagieren. So etwas wäre produktiv. Aber nicht nur die Klimadiskussion. Sie fallen oft durch ungewöhnliche politische oder wirtschaftliche Ideen auf. Welche wollen Sie hier noch loswerden? Die Idee eines anderen Föderalismus. Nicht nach den historisch gewachsenen Gemeinden und Kantonen, sondern grenzüberschreitend. Das Stichwort lautet: FOCJ. Was ist das? Functional Overlapping Competing Juridictions. Functional heisst: je nach Problem. Dabei sollen die Einheiten auch über die Landesgrenzen hinweg funktionieren. Beim Verkehr oder beim Gesundheitswesen hängen zum Beispiel verschiedene Gebiete zusammen. Overlapping spielt darauf an, dass sich die Einheiten je nach Problemfeld anders zusammensetzen, also überlappen. Was beim Nahverkehr zusammengehört, tut das noch lange nicht in der Gesundheitsversorgung. Competing bedeutet, dass die Menschen und die Gemeinden wählen können, in welche FOCJ sie bei welchem Thema eintreten wollen. Bleibt das J für Jurisdictions, also Zuständigkeit Das heisst, dass die FOCJ für ihre Funktionen Ausgaben tätigen und Steuern erheben dürfen. Da hätte Finanzminister Ueli Maurer kaum Freude dran. Ihre Haltung zum Projekt einer globalen Minimal-Steuer? Man muss die Steuern richtig festlegen. Es geht nicht, dass US-Unternehmen in Europa überhaupt keine Steuern bezahlen, obwohl ihre Tätigkeit zu einem grossen Teil hier stattfindet. Man muss also in diesem Fall die richtige Steuer erheben, beispielsweise auf den Umsatz. Aber es braucht keine Mindeststeuer. Der Steuerwettbewerb ist enorm wichtig. Hätte uns jemand vor hundert oder achtzig Jahren gesagt, dass Zug stinkreich sein wird, wir hätten es nicht geglaubt. Da gab es fast nur Landwirtschaft. Und jetzt wollen alle nach Zug, und die Zuger geben das Geld sogar den anderen weiter… …durch den Finanzausgleich. Stellen Sie sich vor, der Kanton Jura hätte nach seiner Gründung mit sehr tiefen Steuern begonnen. Viele Unternehmen wären dorthin gezogen, dem Kanton ginge es jetzt viel besser. Die Unternehmen hätten in Delémont einen Briefkasten hingestellt, alles andere wäre immer noch in Zürich oder Genf abgewickelt worden. Nein, nein. In Zug war es auch nicht einfach so. Man muss eben die richtigen Steuern erheben. Die Leute im Jura sind ja gut ausgebildet, für eine rasche wirtschaftliche Entwicklung wäre alle Voraussetzungen vorhanden gewesen. Ist die Venedig-Idee Ihr Versuch, doch noch an den Nobelpreis zu kommen? Nein, den werde ich nie kriegen, da ich zu unorthodox bin. Um den Nobelpreis zu bekommen, muss man im Mainstream mitschwimmen. Aber es fuchst Sie doch, dass er Ihnen nie verliehen wurde. Es wäre Blödsinn, zu sagen, dass ich den nicht gern gekriegt hätte, aber ich habe nie damit gerechnet. Hätte ich mein ganzes Leben lang ein Thema fokussiert, dann wäre es möglich gewesen, aber dann wäre es mir langweilig geworden. Und dann hätte ich auch nicht so viel geleistet. Gerade in der Ökonomie sind viele brav und orthodox. Zum finanziellen Zeitgeist gehören Kryptowährungen. Haben Sie Bitcoins im Portfolio? Das ist mir fremd. Aber ich bin auch kein Währungstheoretiker. Ich bin jedoch skeptisch, denn die Volatilität ist enorm. Ich lege mein Geld an und verändere es möglichst wenig. Setzen Sie auf ETF? Oder auf Einzelaktien? Einzeltitel, aber auch auf einige Fonds. Dabei achte ich vor allem darauf, ob die Fonds günstig sind. Schweizer Aktien? Roche, Nestlé, was man so hat, auch CS und UBS. Die hätte ich natürlich vor Jahren schon verkaufen müssen. Nun ja, dafür haben andere ganz gut rentiert. Würden Sie persönlich in ein zweites Venedig investieren? Kann ich mir durchaus vorstellen. Auch darum, weil bestimmt eine Nachfrage besteht.

Bruno S. Frey über Glück während Corona und was es zu erforschen gilt

«Widerstand bringt uns weiter»