Bewegt man sich einen Tag lang durch New York, hat man das Gefühl, mindestens fünf verschiedene Kontinente zu bereisen. Von Spanish Harlem, wo überwiegend lateinamerikanische Einwanderer zuhause sind, über die Brooklyn Bridge nach Greenpoint zu der polnischen Community oder nach Brigthon Beach ins Kleinrussland. Und in Manhattan bummelt man an den Pizzerien von Little Italy vorbei und sieht um sich herum nur noch Schilder mit asiatischen Schriftzeichen. Chinatown.

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Hier ist die Gelegenheit, App «CamDictionary» (iPhone Lite–Version gratis/Vollversion 2 Franken) einzusetzen. Ich habe Hunger und würde gerne in einem der vielen kleinen Restaurants hier etwas essen, doch wie soll ich hier unter all den leicht vergoren riechenden getrockneten Fischen, mit Fröschen gefüllten Eimern und Aalen, die mich aus ihren schon leicht grünlich angelaufenen Aquarien mit Glubschaugen anschauen, etwas finden, das meinem westlichen Gaumen schmeckt? Ich verstehe ja nicht einmal, was auf den unzähligen Schildern und Leuchtschriftzeichen steht, die über den Lädeneingängen hängen. CamDictionary verspricht Abhilfe und will mich sicher durch den Sprachendschungel führen.

Das Programm soll 16 verschiedene Sprachen erkennen. Abgesehen von den Klassikern wie Englisch, Deutsch und Französisch werden auch Chinesisch und Japanisch erkannt. CamDictionary unterstützt auf vier Arten. Die spannendste: die simultane Kameraübersetzung. Durch die App öffnet man die Kamera des iPhones, ein kleiner Finger erscheint mittig und hilft Wörter zu fokussieren, die dann automatisch aus dem Bild gelesen und unmittelbar übersetzt werden. 

Ausserdem lassen sich Fotos von Texten hochladen oder Screenshots machen, deren Inhalt das Programm übersetzt. Die letzte Variante funktioniert nach dem Google Translate-Prinzip: Text manuell eintippen und übersetzt ausspucken lassen. Vorbildlich ist, dass der Entwickler INTSIG eine kostenlose Testversion anbietet, die zwar keine Text-to-Speech-Funktion bietet, sich ansonsten aber nur durch gelegentliche Werbeeinblendungen von der Vollversion unterscheidet. Ausserdem ist die Zahl der Übersetzungen bei der Gratis-Version nach 300 Wörtern auf fünf pro Tag beschränkt. Durch den ersten Urlaub sollte man es damit aber schaffen.

Wäscherei, Nagelstudio oder tatsächlich ein Restaurant?

Ich öffne also die App, tippe auf die kleine Kamera unten rechts und siehe da - ein kleiner Finger hilft mir, das fragliche chinesische Wort (oder ist es ein ganzer Satz?), das ich übersetzen möchte, zu fokussieren. Ich denke mir schon «ach easy», doch die Meldung, «Ihre Suche trifft keine Ergebnisse in den lokalen Wörterbüchern», holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück: Ohne Internet scheint hier gar nichts zu laufen. Und da ich hier leider keinen Handyvertrag habe - ein leidiges Touristenproblem-, muss ich zum  Wifi-Hotspot im benachbarten Starbucks wechseln. Den zumindest gibt es ja zum Glück in fast jedem Reiseziel. Aber der Internet-Zugang hat sich erst mal als Stolperstein für meine Übersetzungshilfe erwiesen.

Bei Starbucks angekommen, lade ich mir über die App für 5 Franken das Oxford-Wörterbuch für Chinesisch herunter, um dann auch offline übersetzen zu können. Das macht die App dann auch schnell zu einem teureren Spass. Denn wenn ich mir auch noch das Englisch-Deutsch, Italienisch-Deutsch und vielleicht auch Spanisch–Deutsch herunterladen möchte, komme ich schnell auf zweistellige Beträge. Und das nur um mal schnell zu schauen, was das ein oder andere Schild, oder gar das kompliziert klingende Gericht auf der Speisekarte bedeutet.

Zurück nach Chinatown. Mit meinem neuerworbenen chinesischen Offline-Wörterbuch bewaffnet, versuche ich herauszufinden ob der kleine Laden auf der anderen Strassenseite eine Wäscherei, ein Nagelstudio oder tatsächlich ein Restaurant ist. Ich öffne erneut und voller Hoffnung die App, doch auch hier werde ich enttäuscht. Die Zeichen sind zu weit weg, um übersetzt werden zu können - und heranzoomen funktioniert leider nicht. Ich gebe es auf, laufe auf die andere Strassenseite und finde es eben selbst heraus. Es ist tatsächlich ein kleines Restaurant. Die Speisekarte ist die nächste Herausforderung, welche die App allerdings überraschend gut meistert. Auf Papier geschriebene Texte kann CamDictionary per Kamera schnell übersetzen, ich muss nur jedes einzelne Wort antippen und bekomme dann schnell die Übersetzung für eben jedes einzelne Wort angezeigt. Vorausgesetzt ich bin wirklich nah genug dran.

Eine Revolution? Nicht ganz

Dass die App grundsätzlich nur wortweise und nicht im Zusammenhang übersetzt, wird besonders im Chinesischen zum Problem. Denn hier kann ein Zeichen schnell mehrere Wortbedeutungen haben. Beim späteren herum experimentieren mit der App fällt mir zum Beispiel folgendes auf: Das Wort «Blindenhund» bildet sich im Chinesischen aus den Zeichen 導盲犬. Die App macht daraus «Anleitung», «blind» und «Hunde». Die eigentliche Bedeutung kann also nur erahnt werden.

Ich versuche es auf anderem Wege. Ich mache ein Foto und streiche über die Passage, die übersetzt werden soll. «Blindenhund» wird so immerhin zu «Führhunde für Blinde». Das kommt nicht ganz an die Transferleistung von Google Translater heran, kommt der Sache aber näher. Bei längeren Passagen stösst die App dann an ihre Grenzen. Bezüge werden vertauscht und die Aussagen verändert. Ein einfaches Beispiel welches nicht einmal in der Englisch - Deutsch Übersetzung funktioniert: Aus «How are you my friend?» wird statt «Wie geht es dir, mein Freund?» -«Wie bist du mein Freund?». In ganzen Texten wird das Ganze schnell ein Wort-Wirrwar.

Fazit: Für eine schnelle Ad-hoc-Übersetzung einzelner Wörter oder kurzer Passagen ist die App brauchbar. Besonders auf Reisen (zumindest wer bereit ist für ein Zusatz-Wörterbuch als In-App Kauf 5 Franken auszugeben) kann sie ein hilfreicher Begleiter sein. Speisekarten, Schilder oder kurze Hinweise auf der Strasse lassen sich dank CamDictionary zumindest erahnen. Allein darauf verlassen sollte man sich aber doch nicht. Sonst kann es passieren, dass man in Chinatown mitten in New York dann plötzlich im Restaurant statt der knusprigen Pekingente (die ich doch eigentlich bestellt hatte!- oder vielleicht doch nicht?), die Frösche von der Strassenecke serviert bekommt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Bold Economy – das umfassende Nachrichtenportal zur digitalen Revolution.