Jeden Abend, wenn ich mein Handy auflade, bin ich ein wenig neidisch auf meinen kleinen rechteckigen Weggefährten. Kaum steckt der Minicomputer am Strom, beginnt er schon sich neu aufzuladen. In kürzester Zeit wechselt das Batteriesymbol vom alarmierenden Rot in das bekannte Apfelgrün, das jeden Handybesitzer so erleichtert. Nur eine halbe Stunde dauert es, da hat sich mein Smartphone zu 100 Prozent erholt.

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Ich dagegen bin in der gleichen Zeit noch nicht einmal eingeschlafen. Dieses Problem plagt mich schon seit Jahren. Und zwar in allerlei Variationen: Manchmal bin ich den ganzen Tag todmüde und freue mich auf mein kuscheliges Bett; kaum liege ich jedoch darin, mache ich stundenlang kein Auge zu. An anderen Abenden schlafe ich dagegen erstaunlich schnell ein, dann aber reicht ein kleines Geräusch und meine nächtliche Ruhe steht auf dem Spiel. Einmal bin ich sogar von dem Blütenblatt einer Tulpe wach geworden, das nachts auf den Boden fiel. Meine Lektionen daraus: Keine Blumen im Schlafzimmer und ein guter Vorrat an Ohrstöpseln.

Null Prozent erholt, 100 Prozent frustriert

Das Fatale an diesen nächtlichen Ruhestörungen: Gelingt es mir in solchen Situationen nicht, in weniger als zwei Minuten wieder einzuschlafen, kann es sein, dass ich gut und gerne zwei bis vier Stunden wach liege.

Wenn ich Pech habe, schlafe ich erst wieder ein, kurz bevor mein Wecker klingelt. Erholt bin ich nach so einer Nacht überhaupt nicht. Dafür aber zu 100 Prozent frustriert. Deswegen gebe ich jetzt der Schlaf-App Sleepio eine Chance. Schlimmer kann es schliesslich kaum werden.

Von einem Schlafexperten entwickelt

Entwickelt wurde Sleepio von dem Schlafexperten und Professor Colin Espie von der Universität in Oxford. Sein Schlafverbesserungs-Programm verspricht eine personalisierte Beratung, eine wöchentliche Forschrittskontrolle und Techniken der sogenannten kognitive Verhaltenstherapie, die auch bei langanhaltenden Schlafstörungen helfen sollen. Diese Techniken sind nach Angaben von Sleepio wissenschaftlich fundiert. So hat Sleepio einer eigenen Studie zufolge 75 Prozent der Teilnehmer dabei geholfen, ihren Schlaf zu verbessern und auf ein gesundes Level zu bringen.

Das will ich auch! Also lade ich mir die App runter und bin gewillt, meinem virtuellen Schlafexperten zu gehorchen, der sich schlicht und einfach «The Prof» nennt. Der kleine bebrillte Professor mit rotem Jackett und schwarzer Krawatte hat einen Hund namens Pawlow, der in jeder Lebenslage schlafen kann. So soll es mir auch bald gehen, verspricht die App: Konditioniert wie ein pawlowscher Hund soll ich schon beim Anblick meines Bettes in tiefe Müdigkeit verfallen. Nun ja, wir werden sehen.

«Individuell» betreut vom Professor

Am liebsten möchte ich sofort praktische Tipps bekommen, was ich wie verbessern kann. Doch der Prof hat andere Pläne mit mir. Bevor ich überhaupt irgendetwas über die App oder meinen individuellen Schlafplan erfahre, muss ich mich erst einmal durch einen scheinbar endlosen Fragenkatalog klicken. Warum ich schlecht schlafe, welche Gedanken ich habe, wenn ich nicht schlafe, wie ich mich am nächsten Tag fühle, nachdem ich nicht geschlafen habe... Eine gefühlte Stunde später erhalte ich das wenig überraschende Ergebnis: Mein Schlaf ist schlecht. Ebenfalls wenig überrascht, aber dennoch erleichtert bin ich, dass ich laut App zumindest halbwegs körperlich und geistig gesund bin. So stellen meine Gedanken und mein Lebensstil offenbar nur «mittleres Risiko» dar.

Optimistisch starte ich nun endlich meine erste Sitzung mit meinem Professor. Er erklärt mir, dass es viele Gründe für schlechten Schlaf gibt. Ein Hauptproblem sei jedoch, dass Menschen, die regelmässig schlecht schlafen, schon vor dem Zubettgehen fürchten, sie könnten nachts kein Auge zumachen. Diese negativen Gefühle und Gedanken führten dann dazu, dass betroffene Personen erst recht nicht schlafen könnten und sich am nächsten morgen sogar noch bestätigt fühlen. Ganz nach dem Motto: «Ich wusste doch, dass ich wieder nicht schlafen kann.» Sleepios Ziel ist es daher, den Teufelskreis an dieser Stelle zu durchbrechen. Die App soll den Nutzern ein positives Gefühl vermitteln, so dass Geplagte ihre Angst vor dem Schlafengehen verlieren und sich nicht mehr mit negativen Gefühlen selbst im Wege stehen.

Schlechte Gedanken weg-meditieren

So weit, so gut. So weit aber auch nichts Neues – zumindest nicht für mich. Aber gut, ich habe dem Prof versprochen, ihm zuzuhören und zu machen, was er mir rät (ja, man muss es ihm versprechen), und bin gespannt auf meine erste Aufgabe. Zu meiner Überraschung kommt es dazu aber nicht. Die erste Sitzung endet ohne irgendeinen Tipp oder Handlungsanweisung. Keine meditativen Atemübungen am Abend, keine Klopftechniken, kein Murmeln von irgendwelchen positiven Formeln – gar nichts! Nur mein Schlaftagebuch soll ich jeden Tag führen.

Ich bin enttäuscht, und ungeduldig. Mein Versuch, einfach schon die Sitzung für die nächste Woche vorzuziehen, scheitert. Die App lässt sich nicht austricksen. Alles, was ich in der Zwischenzeit noch tun kann, ist, mir meditative Übungen anzuhören. Für den Fall, dass mir tagsüber mal nach einer Dosis Entspannung ist. Alle fünf Übungen zielen darauf ab, die eigenen Gedanken nicht zu verfluchen, sondern sie zu akzeptieren. Für jemanden wie mich, die sich schon mit Meditation und Atemübungen beschäftigt hat, ist das ebenfalls keine neue Erkenntnis und wenig ernstzunehmen. Zumal der Professor die Übungen in einer Geschwindkeit vorträgt, die es mir unmöglich machen, überhaupt zur Ruhe zu kommen.

Zu gut, um kostenlos zu sein

Also gut, dann warte ich eben auf die nächste Visite bei meinem kleinen, bebrillten Professor. Aber nur, weil ich ihn und Pawlow sympathisch finde und weil ich wissen will, wie und vor allem wann mir Sleepio jetzt eigentlich helfen will. Im Internet finde ich Erfahrungsberichten von Menschen, die seit mehr als 20 Jahren unter Schlafstörungen leiden und die Sleepio begeistert weiterempfehlen. Einer schreibt, dass die App definitiv ihr Geld wert sei. Moment mal, ihr Geld? Tatsächlich, umsonst wird einem hier nicht geholfen.


Die App ist zu Beginn gratis. Nach der ersten Woche jedoch, will Sleepio für seine Dienste bezahlt werden und kostet wöchentlich 17,99 Euro. Und die App ist dann im Grunde auch keine App mehr, sondern ein Programm, das einem E-Mails schickt, Handlungsanleitungen gibt (zum Beispiel nachts aufstehen, wenn man nicht schlafen kann statt im Bett liegen zu bleiben) und Artikel rund um das Schlafen zur Verfügung stellt. Idealerweise soll man es auch noch zusammen mit dem Jawbone Up Armband oder der Apple-Health-App nutzen.


Also wird wohl doch nichts aus meinem nächsten Treffen mit dem Professor und Pawlow. Und ohne zu bezahlen, kann ich nicht beurteilen, ob die Sleepio-Schlaf-Seminare basierend auf kognitiver Verhaltenstherapie wirklich ihr Geld wert sind. Schade eigentlich. Aber dann zähle ich doch lieber für umsonst Schafe.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf Bold Economy – das umfassende Nachrichtenportal zur digitalen Revolution.