Bei der Diskussion um ältere Mitarbeiter und Kader wird man das Gefühl nicht los, dass in der Theorie bewusst ganze Personengruppen zu den Alten gezählt werden, nur um anschliessend belegen zu können, dass sie noch gar nicht wirklich alt sind und jede Menge Stärken haben. Das Durchschnittsalter der arbeitenden Bevölkerung liegt bei knapp 48 Jahren. Da ist doch ein 50+-Mitarbeiter oder Chef weder relativ noch absolut wirklich alt.

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Ernst Wüthrich: Mit 50plus haben wir für unser Forum die untere Grenze gesetzt. Dabei sind wir aus psychologischen Gründen etwas tief gegangen, weil der Mensch gerne als jünger gilt. Die Erfahrung zeigt aber, dass insbesondere eine Führungskraft sich ab 50 Jahren Gedanken über die Folgejahre mache sollte. Es geht meist nicht gleich weiter wie gehabt. Und die Stigmatisierung bis Diskriminierung geschieht durch die Gesellschaft - ziemlich undifferenziert - und am Arbeitsplatz, ist also keine Erfindung der Theorie.

In der Praxis sieht es so aus, dass Führungskräfte oft zwingend älter als 50 sind, weil die Karriereleiter häufig lang ist. Sie dann aufgrund des Alters zum alten Eisen zu stellen, ist doch für beide Seiten absurd.

Wüthrich: Gerade neuste und auch schon ältere Forschungen bestätigen, dass lang erfahrene Führungskräfte Stärken haben, die sich zur niedrigen Erfahrung der Nachwuchskader ergänzend verhalten. So kann aus einem tendenziellen Gegeneinander von Jung und Alt am Arbeitsplatz ein synergetisches Miteinander werden. Auch ist es so, dass es in der Regel mehr Alter verträgt, wenn die Führungsposition hoch ist oder der Chef als Eigentümer beziehungsweise Miteigentümer figuriert oder wenn es sich um ein KMU handelt.

Führungskraft aufzubringen ist doch primär eine Frage der Einstellung und der Erfahrung, nicht des Alters.

Wüthrich: ? die ältere Führungskraft verdrängt, statt ihre Zukunft gedanklich vorwegzunehmen. Viele Kader können sich denn auch nicht vorstellen, etwas anderes als die bestehende volle Linienverantwortung wahrzunehmen. Dabei hätten sie vielleicht Stärken der Erfahrung, die zum Beispiel in einer beratenden Funktion von jungen Kadern oder in Spezialgebieten viel mehr zum Tragen kommen könnten.

Nicht jede Erfahrung ist positiv - oft führt Routine auch zu Abstumpfung und zu einer Abwehrhaltung gegenüber Neuem.

Wüthrich: Ja, Abwehrhaltung gegenüber Neuem und Neuen, also jüngeren Konkurrenten. Das kann generell beobachtet werden, allerdings bei Fachkräften mehr als bei Führungskräften. Routine, also auf das Bekannte setzen, entsteht oft aus Angst vor dem Neuen und den Neuen. Wichtig ist, dass in einem Unternehmen ein gutes Verhältnis zwischen jungen und älteren Kadern besteht. So klammern sich die Senioren weniger an ihren angestammten Bereich. Sie haben auch weniger Angst, durch die Jungen sogleich ersetzt zu werden, und sind eher bereit, Know-how abzugeben. Wenn man den reiferen Kadern hilft, ihre Stärken aus ihrem reichen Erfahrungsfundus zu entdecken, können neue Einsatzmöglichkeiten gefunden werden. Stärken und sichtbare Einsatzchancen erhöhen die Flexibilität der Senioren, also die Bereitschaft, die routinenhaften Wege zu verlassen.

Werden die Stärken von den Unternehmen überhaupt erkannt und entsprechend gefördert, also die Schwächen bekämpft?

Wüthrich: Ich kenne keine Studie, die die Vernachlässigung der Stärken der Senior-Kader erfasst hat. Aber das Thema «Know-how-Transfer von den Alten auf die Jungen, bevor dieses in die Pension abwandert» ist brandaktuell. Deshalb glaube ich schon, dass man hier ein verkanntes Potenzial zu erkennen beginnt. Es kommt ja noch die Demografieentwicklung dazu. In vielen Firmen geht in den nächsten Jahren im Führungsbereich ein hoher Anteil als geburtenstarke Jahrgänge in Pension. Zur Sicherung des Führungs-Know-how und des Nachwuchses ist man auf die Nutzung dieses Potenzials zunehmend angewiesen - vor der Pensionierung.

Viele ältere Kader sind demotiviert. Ist das nun Folge des zunehmenden Alters oder der Vernachlässigung durch die Arbeitgeber?

Wüthrich: Es ist dieses Nichterkennen und Verkennen der Stärken des lang erfahrenen Kaders. Und es sind die gesellschaftsfähigen Vorurteile gegenüber den älteren Chefs. Aber es ist auch die Unbeweglichkeit dieser Senior-Kader selbst. Diese müssen sich auch aus eigener Initiative um die Entdeckung ihrer Stärken bemühen.