Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem neuen Leben als Manager in Berlin?
Manuel Gerres: Für mich ist es nach wie vor die absolut richtige Entscheidung gewesen, zur Deutschen Bahn (DB) zu gehen. Die DB hat mir eine tolle Option geboten. Das Unternehmen befindet sich in einem starken Umbruch – Teil dieser Veränderung sein zu dürfen und neue digitale Geschäftsmodelle bei der Deutschen Bahn mitzuentwickeln, ist spannend wie herausfordernd zugleich. Insofern ein sehr zufriedener Zustand, da ich solch ein dynamisches Arbeits- und Lebensumfeld sehr schätze. Man lernt jeden Tag dazu.

Sind Sie enttäuscht, dass Ihr alter Chef bei den SBB nicht Ihr neuer bei der Deutschen Bahn geworden ist? Immerhin wurde Andreas Meyer ja als Kandidat für den Posten gehandelt.
Persönlich bin ich fest davon überzeugt, dass mit Richard Lutz der Posten des Vorstandsvorsitzenden ideal besetzt wurde. Richard Lutz ist seit 1994 bei der DB. Er weiss, wie das Unternehmen mit seinem einzigartigen Wissens- und Erfahrungsschatz den Übergang in das digitale Zeitalter meistern kann. Welche neuen Möglichkeiten sich für die DB auftun, aber auch, wie wir mit Sorgen unserer Mitarbeitenden umgehen müssen. Wir haben im operativen Alltag viele Überschneidungen und treffen Entscheidungen gemeinsam. Die Zusammenarbeit bisher kann ich nur als offen und zugänglich beschreiben. Er ist mit viel Leidenschaft dabei; bei der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle und zugleich auch als Finanzchef.

Was war der grösste Kulturschock des Übergangs von den SBB in die DB?
Ich kannte die DB schon und konnte gut abschätzen, in welches Umfeld ich wechsle. Sicherlich hat es aber eine andere Dimension, nun in einem Unternehmen mit weltweit mehr als 300'000 Mitarbeitern und mit einem viel breiteren Portfolio an Dienstleistungen und Produkten arbeiten zu dürfen. Mit dieser Vielfalt ergeben sich enorme Chancen im Zuge der Digitalisierung. Die Basis dafür, dass ich im neuen Ökosystem bei der DB sehr schnell «zu Hause» angekommen bin, hat zu einem wesentlichen Anteil auch die Zeit bei den SBB gelegt, wofür ich dem Unternehmen und den Schweizer Kollegen nach wie vor sehr dankbar bin.

Was sind die unerwarteten Disruptoren, die das Bahn-Business beschäftigen?
Dies auf einzelne aktuelle Player runterzubrechen wäre meines Erachtens zu kurz gedacht. Grundsätzlich müssen wir konkrete Antworten darauf finden, wie wir auch zukünftig das attraktivste Eingangstor für Mobilität aus Kundensicht bleiben. Im Mobilitätsumfeld kommen starke Marktmitspieler auf. Gleiches gilt für die Logistiksparte. In beide Märkte kommt starke Transparenz. Plattformen und Netzwerke entstehen, die ganz neue Modelle auch in der Logistikwirtschaft möglich machen. Da heisst es aktiv mitgestalten und nicht nur zusehen. Deshalb entwickeln wir Lösungen und das immer stärker in der Zusammenarbeit mit Startups. Dabei schauen wir nicht nur auf das Geschäftsmodell, sondern erst einmal immer auf den Mehrwert für unsere Kunden.

Oftmals reden Bahnmanager davon, dass sie versuchen, «die Reisekette zu verlängern». Was bedeutet das genau?
Alle Bahnunternehmen kommen klassischerweise aus einer «Von Bahnhof zu Bahnhof»-Denke. Am Bahnhof ist für den Kunden aber nicht Schluss. Deshalb wollen wir Kunden «Tür zu Tür»-Angebote machen, um wiederum auch das Verkehrsmittel Bahn zu stärken. Dafür müssen erweiternde Mobilitätslösungen vor Ort angeboten werden, ebenso wie neue Kundenzugänge und eine individuellere Reiseplanung. Die DB-Navigator-App ist heute nicht mehr nur ein reiner Informations- und Buchungskanal, sondern ein digitaler Reisebegleiter mit allen denkbaren Services rund ums Bahnfahren. Wenn wir über autonomes Fahren und vernetzte Verkehre der Zukunft sprechen, kommen aber ganz neue Kundenbedürfnisse hinzu. Denen wollen wir als DB gerecht werden. Deshalb beschäftigen wir uns mit all diesen Zukunftsfeldern sehr intensiv.

Welche Projekte konnten Sie aufgleisen?
Mit rund zwanzig Startups haben wir bereits markt- und serienreife Produkte entwickelt. Die meisten davon zielen auf Verbesserungen im Kerngeschäft ab. Neue Geschäftsmodelle sind auch schon darunter, allerdings haben wir dafür gerade erst die Strukturen geschaffen. Wir haben Mitte November 2016 Deutsche Bahn Digital Ventures gegründet, ein Investmentfonds für neue Geschäftsmodelle mit einer Höhe von 100 Millionen Euro bis 2019. Der Fonds hält bereits drei Beteiligungen: Clevershuttle, Qixxit und What3words. Mit unserem neuen Partner, der US-Innovationsplattform Plug and Play, haben wir ein neues Accelerator-Programm gestartet, in dem wir gezielt neue digitale Geschäftsmodelle fördern. Ausserdem kreieren wir ein Programm, in dem unsere Mitarbeiter zu Gründern ihrer eigenen Idee werden können.

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Eines der relevantesten Themen für mich ist, den Kollegen Vertrauen in ihre Arbeit und ihr Wirken zu geben. Ein Grossteil meiner Zeit verbringe ich damit, dies möglich zu machen. Die digitale Welt arbeitet sehr schnell. Mir ist wichtig, dass auch mein Team ein Umfeld verspürt, in dem es dynamisch agieren kann und wo sich rasch Erfolge einstellen. Viele herkömmliche Management-Skills sind dafür weniger relevant. Wir arbeiten in sehr flachen Hierarchien mit schnellen Entscheidungswegen.

Was war Ihr bisher erfolgreichstes Projekt bei den SBB, welches war am enttäuschendsten neben dem gescheiterten SBB-Butler-Service?
Eines der wichtigsten Ergebnisse bei den SBB war, dass wir es geschafft haben, Digitalisierung und Innovation als Topthema in der Organisation zu verankern. Vor allem auch Sicherheit zu gewinnen im Aufbau von Prozessen und einem Ökosystem, das interne und externe Innovationen zulässt. Enttäuschungen im klassischen Sinne gibt es meines Erachtens in diesem Umfeld nicht – sicher haben wir Projekte gemacht, die keinen Erfolg hatten, manche waren auch zu früh am Markt. Was wir daraus gelernt und adaptiert haben, hat dem Unternehmen aber ebenso weiter-geholfen.

Was muss die Schweizer Startup-Szene von jener in Berlin lernen?
Wie in jedem Ökosystem gibt es Dinge, die gut oder weniger gut funktionieren. Der Drang, schneller seine Idee zu internationalisieren, ist in Berlin bereits stärker ausgeprägt. Das liegt sicher auch daran, dass das Netzwerk an Investoren grösser ist. Anders herum haben Schweizer Firmen oft eine sehr hohe Genauigkeit in ihrem Wirken und damit auch eine starke Zuverlässigkeit – allenfalls ja eine Gabe, die die Berliner von der Schweiz noch mehr übernehmen könnten.

Wie präsent ist die Schweizer Szene in Berlin?
Es ist schon deutlich zu spüren, dass die Schweizer Startup-Welt auch in Berlin aktiv wird. Formate wie das Swiss Innovation Outpost zeigen dies. Es ist auch zu spüren, dass mehr und mehr Schweizer Grossunternehmen in Berlin aktiv werden. Im Sinne der Vernetzung der Achse BerlinSchweiz definitiv ein Vorteil.

Was sind Ihrer Ansicht nach die grössten Fehler, die Firmen bei der Digitalisierung machen können?
Der grösste Fehler ist, abzuwarten und nichts zu tun.

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Stefan Mair
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