Obwohl Claudio Feser einmal Knall auf Fall aus der Schule geflogen ist, hat er es weit gebracht. Was sich amüsant anhört, war damals für seine Eltern starker Tobak, kam aber nicht aus heiterem Himmel.

Dazu ein Muster aus der «Flegeljahre-Kollektion» ihres Sprösslings, der gerne mit den Lehrern die rhetorische Klinge kreuzte, wenn er fand, sie seien im Unrecht. Claudio Feser lebte damals in Italien, dem Heimatland seiner Mutter. Eines schönen Tages - und davon gibt es in Italien viele - wurde ihm beschieden, dass die Eltern am nächsten Tag im Gymnasium erscheinen möchten. Claudio Feser löste das Problem auf seine Art: Er überreichte dem Rektorat ein Foto von den beiden.

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Jetzt war der Bogen überspannt. Er musste seine Siebensachen zusammenpacken und die Schule verlassen. «Was für mich Glück im Unglück bedeutete», stellt er im Nachhinein fest. Denn trotz einschlägig bekanntem Vorleben nahm ihn eine Privatschule auf, wo er grösste Freiheiten hatte. «Ungefähr die Hälfte der Schüler war wie ich aus der Schule geflogen, die andere war nicht besonders intelligent.» Er schwänzte, was das Zeug hielt, genoss die Zeit mit seiner «compagnia» - so nennt man in Italien eine grössere Gruppe Jugendlicher, die zusammen ihre Freizeit verbringen. Gelegentlich zeigte er sich bei den Lehrern. Allerdings vorwiegend, um Absenzenzettel zu präsentieren.

Das konnte nicht ewig gut gehen. Spätestens im letzten Jahr am Gymnasium schaltete sich sein Vater ein und stellte ihm ein Ultimatum. Feser jun. legte den Overdrive ein und schloss mit Bravour ab. Aber er konnte nicht ahnen, dass es jetzt erst recht ernst wurde. Die Eltern wollten ihm den Schlendrian ein für alle Mal austreiben. Ihr ausgewähltes Ziel war die Universität Bern. «Ein schrecklicher Wechsel. Ich vermisste meine ‹compagnia› und meine Freiheiten.» Damit war endgültig Schluss. Er schloss sein wirtschaftswissenschaftliches Studium in der Direttissima ab. «Mein Wunsch war: Einfach nur weg aus diesem engen Korsett.»

Voser als Leitfigur für Feser

Seine erste Stelle war prägend. «Unter Peter Voser, der damals bei Shell eine Gruppe von Spezialisten des Coporate Finance Team leitete, fühlte ich mich sofort am richtigen Platz. Er war eine Leitfigur.» Es ging im Wesentlichen darum, komplexe Probleme wie etwa Firmenübernahmen oder -restrukturierungen zu lösen. Diese offensichtliche Lust an kniffligen Aufgaben ist heute noch das besondere Merkmal von Claudio Feser. Er musste fast zwangsläufig irgendwann bei McKinsey landen. Noch war es aber nicht so weit.

Voser wurde nach Argentinien entsandt und der erst 24-jährige Feser zu seinem Nachfolger ernannt. Er kam als einer der ersten in den Genuss eines von Shell gesponserten Aufenthaltes am Insead. Im Gegensatz zu den vielen, die auch fröhliche Komponenten in diese Erfahrungen im französischen Fontainebleau, dem Sitz dieser Kaderschmiede, einflechten, lässt sich Feser keine Anekdote abringen. Wenig später wurde ihm ein Plan für seine weitere Zukunft bei Shell unterbreitet. Einerseits versprach ihm diese klare Bestimmung seitens des Arbeitgebers einen Outlook auf die nächsten 20 Jahre, andererseits überkam ihn ein Unbehagen, einen vorgezeichneten Weg zu gehen.

Nicht jeder an seiner Stelle wäre wahrscheinlich immun gegen einen solchen sicheren Hafen gewesen. Zumal ihm auch noch die Loyalität gegenüber Shell zu schaffen machte. Feser ergriff die Flucht nach vorne, sprach mit seinem Chef und tippte richtig. «Er hatte volles Verständnis für meine Argumentation und war mir nicht gram. Das war eine grosse Erleichterung für mich und machte den Weg frei für neue Entscheide.»

Wenn vorhin die Rede von seiner Vorliebe für vertrackte Aufgaben war, trifft das in Reinkultur für einen Auftrag der Weltbank zu, mit dem man ihn betraute. Es galt, eine Schuhfabrik im polnischen «nomansland» zu sanieren. Beim Schildern der Übungsanlage überkommt einen das nackte Grauen: Man schrieb das Jahr 1991, der Ostblock war zerfallen, das Unternehmen hatte die Absatzmärkte im Osten verloren, war zu gross, hatte 3000 Beschäftigte und schrieb rote Zahlen. Hinzu kamen Berge von Schulden. Allerdings waren auch beträchtliche Assets vorhanden - darunter Immobilien, Schulen, ein Supermarkt und ein Schlachthof. Sie galt es nun zu verkaufen.

«Was auf den ersten Blick eigentlich als lösbare Aufgabe erscheint, erwies sich als das Gegenteil», beschreibt Feser jene Erfahrung, die ihm noch heute gegenwärtig ist. Die Assets konnten eigentlich nicht verkauft werden. In den Häusern lebten die Beschäftigten der Firma. In den Supermärkten kauften sie ein. Und der Schlachthof belieferte hauptsächlich den Supermarkt. Hätte man die Firma restrukturiert und Beschäftigte entlassen, wären die Assets wertlos geworden.

In der Folge wurde die Firma auf westliche Absatzmärkte fokussiert, auf Wachstum getrimmt und finanziell saniert. Feser denkt heute noch gerne an diese Zeit zurück. «Ich werde nie vergessen, wie dankbar diese Menschen waren und mir kleine Geschenke machten, weil wir eine gute Lösung gefunden hatten.»

Wieso reagieren Menschen so?

«Gute Lösung», das ist das Stichwort. Jetzt schimmert durch, was sein Credo ist: Es ist ihm ein Anliegen, Spuren zu hinterlassen. Aufgrund seiner Vorliebe für schwierige Aufgaben erstaunt weiter nicht, dass er sich bei McKinsey bewarb. Das war Anfang der 90er- Jahre. 1999 wurde er mit dem Aufbau von McKinsey in Griechenland betraut. Wahrscheinlich war es auch seine Affinität zur mediterranen Region, die ihm bei dieser Aufgabe geholfen hat.

Was wäre aus ihm geworden, hätte er Philosophie und Geschichte studiert - ein Wunschtraum in seiner Jugendzeit, der als brotlos eingestuft wurde. Aber eines ist ihm geblieben: «Ich wollte schon in frühen Jahren wissen: Wieso reagieren Menschen so und nicht anders? Welches Umfeld oder welche Umstände leiten Menschen zu bestimmten Handlungen?» Ein Satz, den er mehrmals wiederholt.

Werte weitergeben

Die Auflösung dessen, was einen während des ganzen Gesprächs beschäftigt, weil er wenig lacht, kommt erst am Schluss. Claudio Feser spricht ruhig, so ruhig, dass man es fast nicht erträgt, über seinen Krebs zu sprechen, den er vor einigen Jahren besiegte. Er blendet zurück in die Zeit, als sein Vater noch lebte und dieser Krankheit erlag. «Er hat uns Kindern Werte mitgegeben, die uns auf dem Weg begleiteten. Das war sein Vermächtnis.» Werte und Einstellungen, die auch er, Sportler durch und durch, wie eine Olympia-Fackel weitergeben möchte. An seine Kinder, seine Mitarbeitenden, sein Umfeld.

Es sind dies: «Committment für das, was man glaubt, positives Denken, Respekt für andere Menschen und Hilfsbereitschaft. Es geht darum auszuloten, was im Inneren des Gegenübers vorgeht, und vor allem wieso, damit man sein Handeln verstehen lernt und so besser helfen kann.»

Auf ein konkretes Beispiel für diese tiefsinnige Erkenntnis angesprochen, muss sich Feser nicht lange besinnen. «Wenn es darum geht, das Profil eines Unternehmens, das wir beraten, darzulegen, werden oft an erster Stelle alle Probleme und Schwächen genannt. Ich werfe dann ein, dass wir ein grossartiges Unternehmen beraten dürfen und dass das Management sicher nicht alles verkehrt gemacht habe. Erst dann schauen wir uns an, was man noch verbessern könnte.» Das hinterlässt ein so ganz anderes Bild von einem McKinsey-Mann als jenes, das immer kolportiert wird.