Als Sprinter galt Beat Hess bisher nicht gerade. Der 68-Jährige wählt seine Worte bedächtig, als Jurist sind ihm Schnellschüsse aller Art verhasst, und für seine Karriere in den Hinterzimmern der grossen Wirtschaft galt stets: lieber sorgfältig als rasant. So lautete offiziell auch das Motto, als der Verwaltungsratspräsident des gebeutelten Zementmultis Lafarge-Holcim den Nachfolger für den Ende April geschassten Konzernchef Eric Olsen suchte. Vor dem Herbst, so liess der Innerschweizer verlauten, sei keine Lösung zu erwarten. Man habe eine globale Suche begonnen. Der nächste Schuss müsse sitzen. Safety first.

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Doch dann ging alles schnell, und wirklich weit hatte Hess nicht gesucht. Er präsentierte den neuen Chef nach gerade 28 Tagen. Wohlgemerkt: Es geht hier um den Lenker eines Weltkonzerns mit 115’000 Mitarbeitern und Präsenz in mehr als 90 Ländern, fast so viel wie beim Paradekonzern Nestlé, in dessen Verwaltungsrat Hess auch sitzt. Dort dauerte die letzte Suche über ein Jahr. Und hier? In nur vier Wochen einen Chef finden und grünes Licht von allen elf weiteren Mitgliedern des verstreuten Verwaltungsrats bekommen? Und das ohne Headhunter, wie Hess stolz behauptete?

Schlüsselperson in der Übernahmeschlacht

Ihm gelang das Kunststück. Und nicht nur das. Er zauberte sogar einen Kandidaten hervor, der am Tag der Verkündung den darbenden Kurs um sechs Prozent steigen und die UBS-Analysten von einem «Coup» schwärmen liess: Jan Jenisch, Chef des belagerten Baarer Bauzulieferers Sika.

Es war die grösste Überraschung des bis dahin an Emotionen eher flauen Wirtschaftsjahres. Denn Jenisch hat nicht nur den Ruf eines erfolgreichen Konzernlenkers, der in seinen fünfeinhalb Jahren bei Sika den Kurs mehr als verdreifacht hatte. Vor allem ist er eine Schlüsselperson in der schmutzigsten Übernahmeschlacht der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Als Konzernchef stemmte er sich mit aller Macht gegen den Verkauf von Sika an die französische Saint-Gobain und verbiss sich in einen garstigen Nahkampf mit der verkaufswilligen Familie Burkard. Und jetzt? Strich er rekordverdächtig schnell die Segel, heuerte bei dem fünf Mal grösseren Zementmulti an und katapultierte sein Salär von 3,7 auf 9 Millionen Franken. Einfach so. Fertig Putsch. Und tschüss.

Jan Jenisch konnte nur verlieren

Zuletzt war es etwas ruhiger geworden in der Abnützungsschlacht, die seit fast drei Jahren tobt. Das erstinstanzliche Urteil des Kantonsgerichts Zug vom letzten Oktober war ein Etappensieg für die Widerständler, und es schien die verkaufswillige Familie in eine Art Schockstarre zu versetzen: Plötzlich hatten die Verkaufsblockierer wieder Oberwasser, und ihr medial gewandter Anwalt Peter Nobel kostete den Erfolg in der Presse sichtlich aus. Doch das ändert nichts daran, dass das Ende naht.

Die nächste Instanz, das Obergericht Zug, sollte noch im Herbst ihr Urteil fällen, und da beide Seiten schon erklärt haben, den Fall bei einer Niederlage weiterzuziehen, wird letztinstanzlich das Bundesgericht in Lausanne entscheiden – spätestens Ende nächsten Jahres. Und das heisst: Jenisch war in einer Lose-lose-Situation. Maximal 18 Monaten später wäre er seinen Job losgewesen. Denn setzt sich die Familie durch, würden die Franzosen die Kontrolle übernehmen und ihn vor die Tür setzen. Gewinnt das Management, so wäre der Verkauf zwar abgeblasen, aber hinterher hätte trotzdem wieder die Familie das Sagen. Und spätestens dann, davon durfte Jenisch ausgehen, würde ihm Patriarch Urs Burkard genüsslich die innerschweizerische Version des «You are fired» servieren: «Du bisch duss.»

Übernahme durch Paul Schuler eine Notlösung

Das macht den Abgang des 51-jährigen Deutschen so brisant. Zwar taten Management und Verwaltungsrat alles, um die Reihen zu schliessen. Jenisch hatte seinen VR-Präsidenten Paul Hälg am Dienstag, dem 16. Mai, mitgeteilt, dass er ein Angebot von Lafarge-Holcim habe und es annehmen wolle. Die Kür des neuen Chefs wurde vom Lafarge-Holcim-Verwaltungsrat am folgenden Sonntagmorgen am Flughafen Zürich abgesegnet.

Hälg hatte zuvor am Freitag seinen Verwaltungsrat zu einer ausserordentlichen Sitzung am Sonntagabend eingeladen. Dort wurde das Gremium informiert und mit dem 63-jährigen Veteranen Paul Schuler gleich der Nachfolger präsentiert. Jenisch veranstaltete nach der Bekanntgabe eine Telefonkonferenz mit allen Regionenchefs und versuchte dort, die offensichtliche Notlösung schönzureden: Wenn die Firma in Zukunft so gute Zahlen erreiche wie die Fitnesswerte von Paul Schuler, werde sie noch erfolgreicher als bisher.

Doch nicht allen war zum Lachen zumute. Bei der VR-Sitzung am Sonntagabend gab sich Hälg gefasst, immerhin waren ja auch die Gegner aus dem verfeindeten Lager um Urs Burkard anwesend. Diese wollen bei den Widerständlern hinter der Fassade grosse Enttäuschung gesehen haben: «Sternhagelverrückt» seien sie gewesen, berichtet ein Teilnehmer. Dass das Familienlager Jenisch wegen seines Hauruck-Wechsels als «Charakterlump» charakterisiert, ist nach der Zerrüttung erwartbar.

Mitarbeiter fühlten sich von Jenisch im Stich gelassen

So weit würde innerhalb der Firma wohl niemand gehen, aber das Wort Verrat machte schnell die Runde. Manche Mitglieder des 170-Mitarbeiter-Kaders hatten sogar aus Loyalität zu Sika Offerten abgelehnt und fühlten sich vom Chef im Stich gelassen. Noch Ende März hatte Jenisch seine Konzernleitung umgebildet und verdiente Manager aus der nächsten Generation in die Führung berufen. Selbstbestimmt, krawattenfrei, ganz gemäss der Ärmel-hoch-Mentalität, die Jenisch so lange als Sika-Spirit ausgerufen und eingefordert hatte (Motto: «Der Gabelstapelfahrer stoppt meinetwegen nicht, und das ist gut so«), posieren die acht Männer und eine Frau auf der Homepage: Bereit zum Angriff.

Vertrauensbildend ist da sein abrupter Abgang kaum. Gewiss, nicht alle werden ihre Jobs verlieren. Die operativen Chefs der Sparten und Länder werden auch vom neuen Besitzer gebraucht. Doch für viele Linienmanager wird es eng. Kommunikationschef Dominik Slappnig etwa, der die Pressestelle fast wie eine Propagandaabteilung führt und jede kleine Meldung als Erfolgsstory herausposaunt, der unscheinbare Konzernjurist Stefan Mösli, der im Hintergrund als Scharfmacher agiert, oder auch VR-Präsident Hälg – ihr Abgang ist nur eine Frage der Zeit. Die Sika-Führung arbeitet auf Abruf, allen Etappensiegen zum Trotz. Da passt es ins Bild, dass der neue Chef Schuler, vor sechs Jahren nur zweite Wahl im Kampf um den Chefposten, zwei Jahre vor dem Pensionsalter steht.

Anfeindungen, Beschuldigungen, Vorwürfe

Und es hat Symbolwert, dass selbst Jenischs Jobwechsel nicht ohne Anfeindungen, Beschuldigungen und Vorwürfe vor sich geht. Beat Hess und Jenisch behaupten unisono, die Gespräche erst aufgenommen zu haben, nachdem der Abgang des bisherigen Lafarge-Holcim-Chefs Olsen intern festgestanden hatte. Die Gegenseite hält dagegen, Jenisch habe schon vor Olsens Abgang grünes Licht signalisiert. Nassef Sawiris, Grossaktionär und Vorsitzender des Nominierungskomitees bei Lafarge-Holcim, habe Jenisch bereits im Dezember, so die Fama, bei einem Treffen in Omaha in den USA von einem Wechsel überzeugt.

Eigentlich irrelevant, doch in der Sika-Schlacht geht es immer um das ganze pralle Managerleben: Egos, Enttäuschungen, Verrat. Und um die Charakterfrage: Für viele Unternehmenslenker ist Jan Jenisch ein Manager, der die Eigentumsrechte mit Füssen getreten und seine Mitarbeiter zum Putsch gegen die Eigentümer aufgepeitscht hat. Doch statt dafür bestraft zu werden, belohnt ihn Lafarge-Holcim mit einem der höchstbezahlten Jobs des Landes. Da kommt schnell die Frage auf: Spielt Moral im Management gar keine Rolle?

Jenischs Reputation steht auf dem Spiel

Für Jenischs Reputation ist deshalb der Zeitpunkt des Gesprächsbeginns relevant. Der abrupte Abgang nagt schon genug an seinem Image. Doch hätte er bereits an der letzten Generalversammlung vom 11. April von seinem Wechsel gewusst, hätte er ein Doppelspiel betrieben, und das würde sein Ansehen intern massiv beschädigen. Hanebüchen sei es, dass er schon früher verhandelt habe, heisst es aus seinem Umfeld. Die Sache sei Ende März in trockenen Tüchern gewesen, hält die Gegenseite dagegen. Gesichert ist: Jenisch flog im Dezember zu einem Treffen ausgewählter Investoren nach Omaha. Eingeladen hatte der Sika-Investor Bill Gates, wie Nassef Sawiris gegenüber BILANZ bestätigt. Andere Teilnehmer waren die Milliardäre Warren Buffett und Jorge Paulo Lemann. «Ich habe dort aber nie über einen Wechsel zu Lafarge-Holcim mit ihm diskutiert», betont Sawiris.

Und so enden seine 898 Tage des Widerstands, wie sie begonnen haben: mit Streit. Als Jenisch am 5. Dezember 2014 ins Hotel Park Hyatt in Zürich gerufen wurde, wollte ihm Urs Burkard seinen neuen Chef präsentieren: den Saint-Gobain-Lenker Pierre-André de Chalendar. Laut der Burkard-Familie habe Jenisch zugesichert, dass er den Deal mittrage und mindestens ein Jahr an Bord bleibe. Diese Version bestätigt auch de Chalendar. Die Vertragsunterzeichnung war für jenen Abend geplant, und der Franzose hatte zur Voraussetzung gemacht, dass er nur unterschreibe, wenn das Management an Bord bleibe. Fakt ist: Jenisch blieb zwar nicht zum Essen, aber de Chalendar unterschrieb. Jenisch hält dagegen, er sei schockiert gewesen und habe seinen Widerstand bereits an diesem Abend kundgetan. Die Streithähne leisteten sich dazu sogar im Verwaltungsrat ein Wortgefecht, bei dem Jenisch Burkard gefragt haben soll, ob der ihn für einen Lügner halte. Der Patron soll trocken geantwortet haben: «Wenn du das so sehen willst …»

Steile Karriere fast abseits der Öffentlichkeit

Dabei hatten sich die beiden bis dahin bestens verstanden. Jenisch war 1996 als 30-Jähriger zu Sika gekommen und von Burkard stets wohlwollend begleitet worden. Es war eine kerzengerade Karriere fast abseits der Öffentlichkeit, denn vor dem epischen Streit war Sika in der Schweiz nur Insidern bekannt. Jenisch stammt aus Freiburg im Breisgau, der Vater hatte sich als Flüchtling aus Ostpreussen im westdeutschen Wirtschaftswunderland über den zweiten Bildungsweg zum Direktionsmitglied eines US-Multis in Deutschland hochgearbeitet.

Eifrig bereiste er exotische Länder, die im vordigitalen Zeitalter noch wirklich fern waren. Der junge Jan saugte die Geschichten auf, und für seine Studienwahl – Betriebswirtschaft – lieferten sie ihm das entscheidende Motiv. Da die deutschen Universitäten überfüllt waren, schaute er in die nahe Schweiz, und die Wahl seines Studienorts war charakteristisch: Er fuhr nach St. Gallen, doch die Studenten dort mit ihren Barbour-Jacken empfand er als zu stromlinienförmig. Er entschied sich für Fribourg – zweisprachig, kleiner, individueller.

Kein grosser Netzwerker

Die Verbindung blieb bestehen: Heute macht es ihm grossen Spass, mit seinem ehemaligen Professor Rudolf Grünig einmal pro Jahr Seminare für den Nachwuchs abzuhalten. Doch der grosse Netzwerker war er nie. Alumni-Networks pflegt er nicht, und in den gängigen Zürcher Wirtschaftsclubs im «Baur au Lac» oder am Rennweg sucht man ihn vergeblich. Märkte, Menschen und Innovationen trieben ihn an, so sein Selbstbeschrieb – und nicht St. Moritz. Wenn sich grosse Teile der Zürcher Wirtschaftsprominenz im Winter ins Engadin verlagern, läuft Jenisch im Norden Japans Ski: Seine japanische Ehefrau lernte er während seines fünfjährigen Singapur-Aufenthalts kennen, und in ihrem Heimatort bei Nagano liegen im Winter immer zwölf Meter Schnee – ideal für die Winterferien mit den beiden schulpflichtigen Kindern.

Zu Sika kam er, weil ihm ein Bekannter von einer Anzeige erzählt hatte. Er begann in Zürich Altstetten im Klebstoffgeschäft und übernahm schnell grosse Projekte. Den vielgepriesenen Sika-Spirit erlebte er am eigenen Leib: «Empowerment», wie es neudeutsch heisst – «wenn du etwas machen willst, dann mach es». Er wurde als Geschäftsführer nach Deutschland geschickt, kaufte dort eine grosse Firma, und nach drei weiteren Jahren in Zürich wechselte er als Asien-Chef nach Singapur.

Eiskalter Machtmanager hinter der jovialen Fassade

Als dann 2011 der Sika-Chefposten zu besetzen war, gab es nur zwei Kandidaten: Jan Jenisch und Paul Schuler. Das Votum im Verwaltungsrat war einstimmig. Widerstand gab es nur vom abtretenden VR-Präsidenten Walter Grüebler – er hätte lieber Schuler gesehen – und von Fritz Burkard, dem jüngeren Bruder von Urs, der mehrere Jahre in der Firma gearbeitet und hinter der jovialen Fassade Jenischs vor allem einen eiskalten Machtmanager gesehen hatte. Doch diesem Urteil wollte sich damals selbst Urs Burkard nicht anschliessen: Auch er votierte als wichtigstes Familienmitglied für Jenisch. Der Deutsche war der natürliche Leader im Vergleich zum Kumpeltyp Schuler, verfügte über die bessere Ausbildung und mehr Auslanderfahrung. Zudem hatte er in jedem Jahr den operativen Gewinn in seinem Geschäft gesteigert, und da gilt: Wer so viel in die Firmenkasse zahlt, soll auch befehlen.

Der Erfolg gab Jenisch recht. Denn selbst das Burkard-Lager anerkannte: Als Konzernchef machte Jenisch einen exzellenten Job – mit einer Mischung aus analytischer Schärfe, Durchsetzungskraft und angenehmem Umgang. «Von der netten Fassade darf man sich nicht täuschen lassen«, heisst es aus dem Verwaltungsrat: «Er ist ein knallharter Manager.» Jenisch erschloss für Sika neue Märkte, setzte die richtigen Leute an die richtige Stelle, straffte die Kosten. Allüren leistete er sich trotz des Erfolges nicht, auch wenn er intern zuweilen starrköpfig auftrat, was ihm nicht nur Freunde bescherte.

Sika-Mitarbeiter sahen den Verkauf als Verrat an

Als er 2011 den Chefposten übernahm, fehlte ihm noch das Wissen im Baugeschäft – bis dahin hatte er nur mit Klebstoff zu tun gehabt. Also begab er sich ganz offen auf Lerntour. Solche Aktionen lieferten den Kitt für den Korpsgeist der Sika-Belegschaft. Niemand verkörperte den fulminanten Aufstieg von einer Ein-Milliarden-Umsatz-Firma zu einem Sechs-Milliarden-Konzern wie Jenisch.

Dieser Kitt war auch das Pfund, das Jenisch im Kampf gegen die Familie einsetzte. Dafür lieferte ihm Urs Burkard besten Stoff. Im Oktober 2014 hatte er noch auf offener Bühne vor den Kadermitarbeitern in Davos den Sika-Spirit beschworen und ein Bekenntnis für die nächsten hundert Jahre abgelegt. Den Verkauf hinter ihrem Rücken empfanden die Sika-Mitarbeiter als Verrat, und dass sich die fünf Geschwister ihre Stimmrechtskontrolle von 52 Prozent bei einen Kapitalanteil von nur 16 Prozent mit einer Prämie von mehr als 80 Prozent zum Marktpreis vergüten liessen, stiess sauer auf.

Schicksalsschweres Wochenende

Doch die Frage ist: Wie konnte aus dem bislang so aufrechten Jenisch ein Widerständler werden, der den Verkaufswunsch der Familie nicht akzeptierte? Er selbst stellt seine Rolle stets als unpolitisch dar, die Familie dagegen attestiert ihm demagogische Fähigkeiten. Am schicksalsschweren Wochenende vom 6. Dezember 2014 erhielt Jenisch vom Verwaltungsrat die Aufgabe, die operative Seite des Deals aufgrund des von Saint-Gobain vorgelegten 40-Seiten-Papiers zu analysieren. Zufällig waren fast alle Konzernleitungsmitglieder in der Schweiz, da für den Montag eine Sitzung anberaumt war. Nach wenigen Stunden war die Meinung gemacht: Der von Saint-Gobain vorgelegte Plan sei schlecht für Sika. Es fehle die industrielle Logik: Die Überschneidungen im Mörtelgeschäft seien zu gross, die Kooperationen in den einzelnen Ländern nicht realisierbar.

Doch natürlich lässt sich jeder Plan in zwei Richtungen interpretieren, und dass Jenisch später betonte, der Deal würde bei einer Vollübernahme Sinn machen, spricht kaum für den Gehalt der ersten Analyse. Auch raunte er davon, es müsse noch einen Plan B geben –– und gab damit indirekt zu, was bei vielen Deals dieser Art gilt: Der ursprüngliche Plan ist selten das Papier wert, auf dem er gedruckt ist. Besten Anschauungsunterricht bietet da Jenischs neuer Arbeitgeber: Von dem ersten Fusionsplan ist wenig geblieben.

Vielsagendes Treffen mit Bill Gates

Fakt ist: Der erfolgreiche Konzernchef akzeptierte die Eigentumsrechte der Familie nicht. Und ganz so unpolitisch, wie er seine Rolle darstellt, ist er kaum gewesen. Dass etwa er und nicht der VR-Präsident den Sika-Case vor so hochkarätigen Investoren an dem Treffen von Bill Gates in Omaha vorstellte, zeigt seine enge Verstrickung. Auch äusserte er sich gerade zu Beginn in der Presse sehr kämpferisch. Und intern trat er die gesamte Zeit für eine harte Linie ein.

Im Verwaltungsrat traf er auf zwei Mitstreiter, welche die Kontrollmehrheit der Familie auch nicht akzeptieren wollten: Paul Hälg konnte als CEO der Dätwyler-Gruppe aufgrund einer speziellen Kapitalstruktur ebenfalls unbehelligt schalten und walten. Und vor allem Daniel Sauter, heute VR-Präsident der Bank Julius Bär, hatte den Führungsanspruch der neuen Burkard-Generation nie akzeptiert.

Wenig überzeugende Argumente

Es war der Patriarch Romuald Burkard, der Sauter in den Verwaltungsrat geholt hatte. Ihm fühlte sich dieser verpflichtet, doch Romualds Sohn Urs, nach dem Tod des Vaters 2004 ins Kontrollgremium eingezogen, war für Sauter immer nur ein Schreiner, der ihm als jungem Chef des Handelshauses Xstrata in Zug die Möbel zu fertigen hatte. Dass der ihn jetzt auf seinem eigenen Feld, dem Börsenhandel, düpierte, konnte ihm nicht passen. Die Verwaltungsrätin und heutige SBB-Chefin Monika Ribar schloss sich den Widerständlern an – mit wenig überzeugenden Argumenten: Der Käufer habe ja keine Due Diligence gemacht. In der Tat. Aber das macht den Kauf nicht unrechtmässig, und ohnehin liegt das Risiko beim Käufer.

Den juristischen Kniff fanden die Aufständler in der Stimmrechtsbeschränkung, die dem Verwaltungsrat das Recht gibt, ungeliebte Grossaktionäre auf fünf Prozent zu beschränken und so eine unfreundliche Übernahme zu verhindern. Romuald Burkard hatte die Bestimmung einführen lassen, als seine Familie noch nicht die Mehrheit kontrollierte. Doch er hatte auch ein sogenanntes Opting-out festschreiben lassen, das der Familie das Recht gibt, ihre Stimmrechtsmehrheit ohne Angebot an die anderen Aktionäre zu verkaufen. Damit hatte er explizit jenen Verkauf ins Auge gefasst, von dem seine Kinder jetzt Gebrauch machten.

Finale Schlacht wartet in Lausanne

Dass der Verwaltungsrat das Stimmverbot für die familiäre Beteiligung auch auf eine indirekte Beteiligung ausweitete – die Aktien liegen in der Tochterfirma SWH – und das Gericht in Zug dies als zulässig taxierte, hat viele Juristen erstaunt. Doch die finale Schlacht wartet in Lausanne, und die Familie hat dort mit Peter Böckli den unbestritten renommiertesten Schweizer Aktienrechtler auf ihrer Seite. Seine Expertise, so die Hoffnung, wiegt schwerer als jene des zuweilen eher opportunistischen Gegenspielers Peter Nobel.

Doch letztlich wirkt der Kampf von Jenisch und dem Verwaltungsrat kopflos. Offenbar rechneten sie damit, dass die Franzosen mit der ersten Geste des Widerstands abziehen würden und die Familie die Verkaufspläne einfach begräbt. Hier zeigte sich die Überheblichkeit, die sie über die Jahre gegenüber den Burkards aufgebaut hatten. Die Kandidaten, welche die Eigner im Verwaltungsrat platzieren wollten, lehnten sie barsch ab. Gleichzeitig musste ihnen aber klar sein, dass sich die Familie nach dem Tod von Romualds Witwe 2013 mit Verkaufsgedanken trug – in Investment-Banking-Kreisen wanderte das Dossier schon herum. Doch statt auf die Familie zuzugehen, zeigten ihr Hälg, Sauter und Jenisch die kalte Schulter. Sie behandelten Urs Burkard wie einen «Useful Idiot», der sie in Ruhe lassen und nicht am Geldverdienen hindern sollte. Diese Freiräume hätte Jenisch bei einem Verkauf an Saint-Gobain verloren: Er wolle nicht an einen Napoleon rapportieren, soll er wiederholt gesagt haben.

Jenisch wurde wie ein Messias erwartet

Wie viel Freiraum er an seinem neuen Posten bei Lafarge-Holcim haben wird, muss er erst ausloten. Präsident Beat Hess wird in zwei Jahren altershalber abtreten, die verschiedenen Fraktionen im Verwaltungsrat mit den Grossaktionären Thomas Schmidheiny (11 Prozent) von der Holcim-Seite und der Groupe Bruxelles Lambert (9 Prozent) und Sawiris (4) von Lafarge sind sich nicht immer einig. Das schafft Lücken, die ein starker Chef nutzen kann. Jenisch ist bereits der dritte CEO in zwei Jahren und wurde fast wie ein Messias erwartet.

Sein Vorgänger Eric Olsen kannte das Geschäft nicht à fond und hatte zu Beginn sehr viel Zeit verloren. Die Bestechungsfälle in Syrien waren ein willkommener Anlass, ihm das Ende nahezulegen. Hess hatte Jenisch vorher noch nie getroffen, doch auf der Kandidatenliste, die er zusammen mit Sawiris erstellte, stand er unangefochten auf dem ersten Platz. «Als Chef des Nominierungskomitees und als Aktionär von Sika war es für mich einfach, mich mit Beat Hess zu einigen, dass er die beste Wahl war«, betont Sawiris. Als Hess ihn wenige Tage vor der Ankündigung von Olsens Abgang erstmals anrief, dürfte Jenisch zumindest nicht überrascht gewesen sein.

Sika-Komplex ausgeklammert

Dass ihn die grösste Herausforderung im globalen Baugeschäft reizte, ist nachvollziehbar. Hess suchte gar nicht ernsthaft weiter und verzichtete auf das übliche Evaluationsverfahren mehrerer Kandidaten – Best Practice in der Corporate Governance sieht anders aus. Schnell kam es zu konkreten Verhandlungen, und in den gerade vier Wochen bis zur Verkündung traf Jenisch elf von zwölf Verwaltungsräten persönlich. Das Interessante daran: Der gesamte Sika-Komplex wurde explizit ausgeklammert. Beat Hess wollte partout nicht, dass daraus ein Thema wird, wohl um zu vermeiden, dass dadurch die schnelle Rekrutierung gefährdet wird. Und auch Jenisch, so der Eindruck, wollte seine Sika-Rolle bewusst nicht thematisieren. Er präsentierte sich wie schon vor sechs Jahren dem Sika-VR: zupackend, fokussiert, unpolitisch.

Bisher ist die Zementfusion eine Leidensgeschichte, und der von Schmidheiny anvisierte Aktienkurs von 100 Franken ist in weiter Ferne. Mehr als 50 Prozent des Geschäfts bestehen noch immer aus klassischem Zementabbau – einem lokalen Geschäft, in dem Jenisch seine Innovationsfreude kaum ausleben kann. Die letzten Jahre peitschte er eine Wachstumsfirma nach oben, jetzt muss er einen verzettelten Weltkonzern mit unterschiedlichen Kulturen und stagnierenden Umsätzen zusammenschweissen und auf spärliche Synergien in Beschaffung und IT durchforsten. Wie bereits vor seinem Jobantritt auf dem Chefsessel bei Sika startet er langsam – offiziell hat er sich als Start den 16. Oktober ausbedungen, doch mit den Werksbesichtigungen will er schon im September loslegen.

Bei dem Treffen in Omaha traf Jenisch auch zum ersten Mal den grossen weisen Mann der Weltwirtschaft: Warren Buffett. Eine der wichtigsten Sentenzen der Investorenlegende lautet: «Wenn man einen guten Manager in ein schlechtes Geschäft steckt, bleibt nur die Reputation des Geschäfts intakt.» Jan Jenisch kämpft nun seit einigen Monaten um seine Reputation als Manager. Seine einstigen Mitstreiter bei Sika kämpfen um ihre Jobs.