Wenn einer eine Sammlung erbt - dann ist er hinterher entweder Sammlungsverwalter oder Sammler. Thomas Bechtler gehört zu den wenigen Menschen, die diese beiden Rollen verbinden können. Er zeigt sich als zuverlässiger und empathischer Verwalter des familiären Erbes. Er sammelt selbst, mit allen Zeichen des latent manischen Verhaltens, die dazugehören. Und doch hat er in seiner eigenen Sammlungstätigkeit nicht die Verhaltensmuster der vorhergehenden Generation übernommen, nicht einfach die Sammlung seiner Eltern weitergeführt, sondern gleichsam von vorn begonnen, mit eigenem Geschmack, eigenen Kriterien.

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Der Name Bechtler hat einen guten Klang in der Schweiz. Das mag am Respekt liegen, der Thomas' jahrzehntelangem Engagement für das Kunsthaus Zürich gezollt wird oder an der Wertschätzung, die die künstlerische Arbeit seines Bruders Ruedi erfährt. Vor allem aber an der Stiftung des Vaters, die seit 1955 eine segensreiche Förderung von internationaler Kunst im öffentlichen Raum entfaltet - so mancher Zürcher erinnert sich an die Kontroversen um Werke von Jean Tinguely oder Sol Le-Witt, aber eben auch an die Initiative und an den massgeblichen Beitrag von Vater Walter und Onkel Hans Bechtler zur Heimholung der grössten Sammlung von Giacometti-Werken in die Schweiz. Die Walter A. Bechtler Stiftung sammelt heute primär zugunsten von Schweizer Museen.

«In seiner Privatsammlung hingegen wollte mein Vater von jedem wichtigen Bildhauer des 20. Jahrhunderts ein Werk besitzen», erinnert sich Thomas Bechtler. Diesen beinahe institutionellen Übersichtsanspruch teilt er in seiner eigenen Sammelleidenschaft nicht, ganz im Gegenteil. «Wir finden es interessanter, in die Tiefe eines O-Euvre zu sehen», weswegen seine Sammlung vergleichsweise wenige Künstler umfasst, von denen er aber eine grosse Zahl von Werken hält. Darunter befinden sich Positionen wie Christopher Wool, Wade Guyton, Josh Smith, Liam Gillick oder Rebecca Warren: Insgesamt ist die Zahl überschaubar. «Man findet eben nicht jede Woche einen neuen Künstler!», so der Sammler.

Thomas Bechtler

«Wir finden es interessanter, in die Tiefe eines O-Euvre zu sehen».

Quelle: Salvatore Vinci

Zwei Werke von Walter de Maria

Ohnehin seien Sammler nicht die Erfinder von Künstlern, sondern folgen auf den Spuren von Kuratoren und Kunstkritikern. «Niemand sammelt allein», sagt Thomas Bechtler, auf die Gruppe der Meinungsführer anspielend, mit denen sich ein Sammler austauscht, die er beeinflusst und von denen seine Sicht auf die Dinge beeinflusst wird. Dies sind befreundete Sammler, Galeristen, eben Kuratoren; im Fall Bechtlers ist das vor allem seine Frau. Es fällt auf, dass er über den Findungs- und Auswahlprozess von Künstlern und Kunstwerken durchgängig im Plural spricht; Cristina Bechtler ist Verlegerin und der Öffentlichkeit vor allem als Gründerin des Kunst- und Architektursymposions «Engadin Art Talks» (E.A.T.) bekannt.

Schon wegen dieser Teambildung ist die Frage nach Thomas Bechtlers Lieblingsstück unpräzise, und prompt streicht er heraus, dass er ALLE seine Werke liebt - auch, weil er zu deren Schöpfern enge Beziehungen pflegt. Aber, wenn er auswählen müsste, dann wären zwei Werke von Walter de Maria die Lieblingsstücke. Auch hier bildet eine persönliche Verbindung die Basis; man lernte sich kennen, als de Maria für das Kunsthaus Zürich die Arbeit «The 2000 Sculpture» vorbereitet hat und Thomas Bechtler Präsident der Kunstgesellschaft war.

Zinkpyramide von 1965

Betritt man das Haus der Bechtlers, kommt man zuerst an einer massiven Zinkpyramide von 1965 vorbei. Konstruiert mit dem Vokabular des Minimalismus hat sie doch ein Detail, das sie von der reinen Konzeptkunst der Zeit unterscheidet: Die oberste Etage ist abnehmbar, darunter befindet sich eine kleine Schatzkammer. Folgt man dann dem Sammler weiter, so steht man bald vor dem Ball Drop Piece, entstanden um 1961/62. Der Künstler wollte die Wucht der Gravitation dokumentieren, der Besucher musste involviert werden - man nimmt den hölzernen Ball, wirft ihn in die obere Öffnung und ist erstaunt über den unglaublich lauten Knall des Aufpralls, den dieser kurze Fall ergibt.

Für Thomas Bechtler dokumentieren diese Werke eine Weichenstellung: Walter de Maria war unentschieden, ob er Minimal Art als ultimative Lösung ansehen konnte. Beeinflusst von Zahlenmystik, von der Musik, von der sich wandelnden Vorstellung vom Universum und von der Wahrnehmung der Natur entwickelte sich sein Schaffen mannigfaltig weiter, von Land Art bis zu Konzeptkunst und grossen installativen Arbeiten. «Dieses ganze künstlerische Potenzial ist in den beiden Arbeiten schon angelegt», findet der Sammler. Als der Künstler seine Zinkpyramide am Aufstellungsort hinter der Eingangstür sah, sagte er: «Every morning before you leave you put a love letter to your wife into it!»

Bechtler
Quelle: Salvatore Vinci

Ob dieser Rezeptionsvorschrift Folge geleistet wird, sei dahingestellt, denn die persönliche Beziehung zum Künstler ist keine Voraussetzung zum Ankauf. «Wenn man sich längere Zeit mit einem Künstler beschäftigt, dann passiert es oft, dass man sich kennenlernt: In einer Ausstellung, auf der Biennale, bei einem Kunstmarktanlass.» So haben die Bechtlers praktisch alle Künstler eher zufällig kennengelernt, ohne dass es einen entsprechenden Plan gegeben hat. Beinahe im Gegenteil, denn Thomas Bechtler findet, dass eine persönliche Beziehungsebene zuweilen auch vom Schaffen oder von der einzelnen Arbeit ablenken kann. Im besten Fall jedoch eröffnet sie eine weitere Ebene in der Werkbetrachtung.

Mit Giacometti und Co. aufgewachsen

Hier schliesst sich der Kreis zu seinen Eltern und zu deren Sammelleidenschaft und macht eine grosse Tradition sichtbar, die eine gute Basis für Kunstbetrachtung zu sein scheint. Thomas Bechtler ist mit lebenden Künstlern aufgewachsen, der direkte Kontakt hat ihn geprägt: «Wir waren ständig mit Kunst konfrontiert, dauernd sassen Künstlerinnen und Künstler um unseren Tisch, darunter Alberto Giacometti, Jean Tinguely und Niki de St. Phalle, Marino Marini, Ben Nicolson, Lynn Chadwick oder Bernhard Luginbühl.» Eine auch im Rückblick noch ziemlich überzeugende Gruppe.

Bisher in der Serie «Mein Lieblingsstück» erschienen: «Ich habe eine Macke: Ich kann anbeten» und «Der Mensch liebt sie, die kleinen Dinge»

Bechtler
Quelle: Salvatore Vinci