Das Leben eines klassischen Salaryman (japanischer Begriff für männliche Büroangestellte) verläuft traditionell nach folgendem Schema: Früh am Morgen geht es mit dem überfüllten Zug zur Arbeit. Dann heisst es viel präsent sein und arbeiten. Überstunden sind nichts Ungewöhnliches. Am Abend geht man mit Vorgesetzten und Arbeitskollegen essen und trinken.

Völlig übermüdet und beschwipst eilt man in der Nacht zum Bahnhof, um den letzten Zug nach Hause zu erwischen. Für den Salaryman sind die Abendstunden mit den Kollegen ein zentrales Element für die Karriere. «O tsukiai», die in Japan so wichtigen gesellschaftliche Beziehungen, werden dann am intensivsten gepflegt.

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Zurück zur Familie

Doch die Zeiten ändern sich, wie eine landesweite Umfrage der Citizen Holdings zeigt, die die japanische Zeitschrift Asahi Shimbun neulich in einer Kolumne vorgestellt hat. Demnach essen unter der Woche 50 Prozent der japanischen Büroarbeiter ihr Abendessen täglich zuhause mit der Familie.

1990 am Ende der wirtschaftlichen Boomphase des Landes lag dieser Prozentsatz noch bei bescheidenen 13 Prozent. Die Abende mit den Arbeitskollegen zu verbringen war eine Pflicht. Selbst am Freitagabend tendieren die Salarymen nicht mehr wie in den 90ern bis spät in die Nacht auszugehen. Die heutigen Büroarbeiter empfinden bereits 21 Uhr als spät.

Finanzielle Gründe

Der heutige Salaryman gibt sich anders als noch vor 25 Jahren. Doch dahinter steckt offenbar weniger ein nachhaltiger gesellschaftlicher Wertewandel. Laut der Umfrage haben hauptsächlich die Wirtschaftskrise nach dem Lehman-Schock 2008 sowie die Dreifachkatastrophe 2011 zu diesem Trend beigetragen.

Andere Studien der letzten Jahren stützen diese Theorie. So haben mehrere Umfragen von Finanzinistituten ergeben, dass dem arbeitenden Ehemann nur noch halb so viel Taschengeld für Mittagessen, Feierabendbier und Freizeit bleibt wie noch 1990. Dem Salaryman fehlt heute schlichtweg das Geld für die Pflege seiner beruflichen Beziehungen.

Noch keine Trendwende

Die Asahi Shimbun warnt zudem, dass die Umfrage der Citizen Holdings nicht vollständig und abschliessend sei. Noch immer sei für viele Büroarbeiter ein langer Arbeitstag mit Überstunden die Regel. Es ist wohl verfrüht von einer Trendwende im Arbeitsverhalten zu sprechen. Und sollte es wieder aufwärts gehen mit den Löhnen und der Wirtschaft, dann werden auch wohl auch viele Salarymen zum alten Lebensstil zurückkehren, ob sie es wollen oder nicht.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf asienspiegel.ch - News aus Japan, China und Korea.