Wir verfügen über verschiedene Angstsysteme: Das eine System schützt uns vor unmittelbarer Gefahr, etwa wenn wir einen Fussgängerstreifen überqueren und merken, dass das Auto viel zu schnell fährt und nicht zu bremsen scheint. Hier müssen wir innerhalb von Hundertstelsekunden aktiv werden. Ein zweites Angstsystem schützt uns vor längerfristiger Gefahr.

Es kommt zum Beispiel zum Zug, wenn wir merken, dass wir die geplanten Sommerferien nicht werden finanzieren können. Schliesslich gibt es Ängste, die mit Beziehungen zu tun haben: die Angst, jemanden zu verlieren, den wir lieben; die Angst, von anderen abgelehnt zu werden. Diese Ängste sind wie bereits erwähnt natürlich. Wenn sie fehlen, geht es uns nicht besonders gut. Menschen, die sich asozial verhalten, haben oft ein unterentwickeltes Angstsystem im Beziehungsbereich. 

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Sind die Ängste dagegen zu stark ausgeprägt, behindern sie uns. Unser Hirn erhält eine Gefahrenmeldung, obwohl wir uns eigentlich in Sicherheit befinden. Das System hat eine Störung; die Folge ist eine Angsterkrankung. Angststörungen sind vergleichsweise wenig stigmatisiert, denn was es heisst, Angst zu haben, haben wir alle schon einmal erfahren. Das macht es für Teamkolleginnen und kollegen oder Vorgesetzte einfacher, Betroffene zu unterstützen. Und das ist wertvoll, denn so können diese im Arbeitsprozess verbleiben - ein Vorteil, weil Vermeiden die Ängste nur stärken würde.

Formen der Angst unterscheiden

Sämtliche angstauslösenden Situationen werden Sie als betroffene Person oder Chef einer betroffenen Person im beruflichen Alltag nicht vermeiden können. Oft sind die Ängste am Arbeitsplatz noch schlimmer, weil es für die Mitarbeiter gravierender wäre, wenn sie vor den Arbeitskollegen die Kontrolle über sich verlieren würden. Es wäre ein Gesichtsverlust für sie. Durch diese Angst vor der Angst steigt der Stresspegel gerade noch einmal - dies begünstigt wiederum die Angstattacken. 

Unterschieden werden muss dabei zwischen Panikstörungen, generalisierten Angststörungen, sozialen Ängsten, Phobien und Zwangsstörungen. Unter generalisierten Angststörungen versteht man übermässige Sorgen von Mitarbeitern. Kontaktiert sie beispielsweise ein Kunde, sind sie davon überzeugt, dass dieser etwa mit der Lieferung nicht zufrieden ist. Seltener als Phobien sind Zwangsstörungen. Darunter leidet beispielsweise ein Bankangestellter, der Panik davor hat, eine falsche Zahlenfolge bei einer Überweisung zu benutzen. 

Betroffene entwickeln ein Zwangsverhalten, das sie ineffizient macht und den Betrieb aufhält. Zwangsstörungen können ein Ausmass erreichen, das die Arbeitsfähigkeit massiv einschränkt. Im Gegensatz zu anderen Erkrankungen, bei denen die Arbeitsleistung bis zuletzt möglichst aufrechterhalten wird und sich die Störung zunächst eher im Privatleben zeigt, machen Zwangsstörungen hier keinen Unterschied: Sie betreffen beide Bereiche. Betroffene leiden sehr, sind immer im Zwiespalt zwischen den Anforderungen am Arbeitsplatz und den Ängsten, die die Zwangsgedanken bei ihnen auslösen und die sie nicht aushalten.

Klare Anweisungen nötig

Zeigt ein Mitarbeiter ab und zu unverständliches Verhalten oder wirkt ängstlich und gestresst, fragen Sie nach. Über Ängste zu sprechen, ist nicht ganz so schwierig, wir kennen sie ja alle. Das Thema Selbstsicherheit ist so oder so ein häufiges Thema und kommt in vielen Mitarbeitergesprächen vor. Besonders wichtig im Umgang mit ängstlichen oder angstgetriebenen Mitarbeitern sind klare Anweisungen. Dies gilt für selbstunsichere Menschen, aber auch für Menschen mit generalisierten Ängsten: Ist der von Ihnen erteilte Auftrag nicht ganz klar, müssen sie instinktiv alle Möglichkeiten abdecken, die Sie vielleicht auch noch gemeint haben könnten. Das ist anstrengend. 

Fragen Sie deshalb nach, ob Ihre Anweisung klar genug ist. Menschen mit gesteigerten Ängsten und selbstunsichere Mitarbeitende sind zudem sehr von der Passung mit ihrem Arbeitsplatz und dem Arbeitsumfeld abhängig. Seien Sie vor allem vorsichtig, wenn Sie solchen Mitarbeitenden einen neuen Arbeitsbereich oder Arbeitsplatz zuweisen.

Angst und Stress im Job

Angsterkrankungen stehen mit dem Stresspegel in einer gegenseitigen Wechselwirkung. Bei einer schlecht kommunizierten Umstrukturierung mit viel Unsicherheit nehmen die Ängste von Betroffenen überproportional zu. Dagegen nehmen während einer ruhigen Phase im Betrieb auch die Panikattacken eher etwas ab. Wichtig für Führungskräfte von angstgetriebenen Mitarbeitern ist auch, zu verstehen, dass diese auf häufiges Feedback angewiesen sind. Ihr innerer Kritiker arbeitet permanent gegen diese Mitarbeiter, ausbleibende Rückmeldungen werden daher direkt negativ ausgelegt. 

Eine Grundproblematik der Angststörungen ist das Vermeideverhalten: Betroffene versuchen, sich vor den Ängsten zu schützen, indem sie allem aus dem Weg gehen, was Angst auslösen könnte. Dies führt oft zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität. Vermeideverhalten geht im Privatleben aber besser als im beruflichen Alltag. Im Gegensatz zu Menschen mit Depressionen haben deshalb Menschen mit Angststörungen mehr Probleme am Arbeitsplatz als zu Hause. Das Verhalten des Vorgesetzten wird dann entscheidend. 

* Dieser Text ist ein gekürzter Ausschnitt aus dem Buch «Wenn die Psyche streikt» von Thomas Ihde-Scholl, das in der Beobachter-Edition erschienen ist Gesundheit Das Werk enthält viele weitere Abschnitte zum Thema arbeitsplatzbezogene Gesundheitsprobleme, etwa zu Suchtverhalten von Mitarbeitern oder zu Narzissmus.