Was ist Glück für Sie?
Hans Widmer: Glück gibt es auf vielen Ebenen. Ein gelungenes Fussballtor ist ein kurzes Glück, ein gelungenes Leben ein langes. Ich konnte meine Talente umsetzen und bin deshalb glücklich.

Jahrelang standen Sie an der Spitze von Firmen wie McKinsey Schweiz, Sandoz und Oerlikon-Bührle und galten als harter Sanierer. Jetzt schreiben Sie mit Ihrem Buch «Das Modell des konsequenten Humanismus» eine Anleitung zum Glück. Was können Manager davon lernen?
Manager sollen das Gegenteil von dem machen, was ihnen meist gepredigt wird: Sie sollen sich nicht mit dem Job identifizieren – bloss nicht.

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Sondern?
Widmer: Sie sollen sich mit sich selbst identifizieren. Es geht um das Selbstverständnis, dass sie bloss eine Rolle spielen. Wenn man diese Rolle an den Bügel hängt, muss man wissen, wer man noch ist. Man soll aber für die Rolle dankbar sein und sich ihr hingeben. Sie ist das Gerüst, an dem man seine Persönlichkeit entwickeln kann.

Für welche Sprosse auf Ihrer Kletterstange waren Sie besonders dankbar?
Wohl für die schwierige und unpopuläre Sanierungsarbeit, die ich 1991 bei Oerlikon-Bührle antreten durfte.

Bei Oerlikon-Bührle haben Sie den Turnaround geschafft. Hatten Sie Zweifel zu scheitern?
Das hätte leicht schiefgehen können. Alle Aktionen drei Monate langsamer und wir hätten aufs Bezirksamt gehen müssen. Man muss Wagnisse eingehen. Dazu sagt Kierkegaard: Wenn etwas nicht scheitern kann, was bedeutet dann Gelingen noch? Wenn ein Projekt scheitert, muss man allerdings genug Abstand haben, um nicht als Person mitzuscheitern.

Wer kann sich heute das Scheitern leisten? Viele haben Angst davor.
Angst ist ein schlechter Begleiter. Sie bringt Leute dazu, bis Mitternacht im Büro an Aufgaben herumzuwürgen, obwohl ihnen seit Mittag nichts mehr einfällt. Wenn nichts mehr aus einem herauskommt, soll man joggen oder mit den Kindern spielen gehen. Unproduktives Zeitabsitzen beeindruckt auf die Dauer niemanden. Der gute Chef würdigt den Output – nicht die Anwesenheit.

Woran liegt es, dass viele falsch denken?
Am fehlenden Selbstwert.

Das heisst?
Man muss die eigenen, vernünftigen Erwartungen entwickeln und sich an diese halten, dadurch wird man unabhängig und handelt mit Überzeugung. Selbstwert kann sich keiner einreden; er konstituiert sich aus den Werten, die jeder selber schafft. Wer aber immerzu fragt, «Was erwarten die andern?», lähmt sich selbst und bringt nichts zustande.

Ihre Maxime hatte Sie einmal den Job gekostet.
Nach McKinsey bin ich 1992 direkt in die Konzernleitung von Sandoz eingetreten. Entgegen der Erwartung des CEO Marc Moret habe ich mich für autarkere, unternehmerischere Divisionsleitungen eingesetzt, denen mehr Kompetenzen zu geben seien. Ich blieb stur und musste schliesslich gehen. Erst war ich geknickt – später aber dankbar für meine Unbeirrbarkeit.

Als Sanierer haben Sie mehrere Firmen erfolgreich wieder auf Kurs gebracht. Macht Erfolg glücklich?
Ja. Aber nicht wegen Anerkennung und Lob, die meistens nur Schmeicheleien sind. Bei Oerlikon-Bührle war ich schon immun gegen Lobhudeleien. Aber zehn Jahre früher, als Konzernleitungsmitglied bei Sandoz, hatte ich das Gefühl, ein toller Kerl zu sein. Als ich abgehalftert war, verschwanden alle Lobhudeleien schlagartig – und ich war für den Rest des Lebens ein Stück klüger.

Wieso?
Schmeicheleien führen zu Selbstüberschätzung. Man hört nur Zuspruch, die kritischen Stimmen bleiben aus. Das isoliert unheimlich. Der Blick in ein und denselben Spiegel lässt viele Manager dann abheben. Lob und Applaus bedeuten bloss vermeintliches Glück, das jäh zu Ende gehen kann.

Hans Widmer: «Das Modell des Konsequenten Humanismus», Rüffer & Rub, Zürich 2013, 246 Seiten, 44 Franken.