Morgen für Morgen um 9 Uhr setzt sich Gabriella Meyer mit ihren Angestellten in die Cafeteria und plaudert. Jeder darf da über Lust und Frust berichten. Die Chefin nimmt neue Vorschläge ebenso ernst wie Kritik. Auch im Lauf des Tages wird sie auf Rundgängen durch ihre Bioengineering in Wald ZH über technische Belange diskutieren. Die 41-Jährige übernahm den von ihrem Vater Pio 1972 gegründeten Produktionsbetrieb für biotechnologische Anlagen und prägt ihn nun ebenfalls mit einem persönlichen Führungsstil.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Der Chef der Zukunft tickt anders

Nicht bei allen kleinen und mittelgrossen Unternehmen verlaufen Führungswechsel so reibungslos wie bei Bioengineering. Entscheidend ist, dass der neue Chef die Tradition nicht ignoriert, aber dennoch Veränderungen herbeiführt. Das sind hohe Anforderungen. Und so wird die Chefsuche für die rund 50000 Schweizer Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden, die in den nächsten fünf Jahren vor einem Führungswechsel stehen, zur Nagelprobe.

Der Chef der Zukunft ticke grundlegend anders als sein heutiges Pendant, glaubt Kommunikationsexperte Martin Zenhäusern aus Zürich: «Für unfehlbare Machos wird die Luft dünner. Erfolgreiche Führungskräfte benötigen künftig ein deutlich anderes Kompetenzprofil.» Der Erlenbacher Führungsexperte Robert Schiller spricht gar von einem Paradigmenwechsel. Denn immer mehr tauschten sich die Menschen in wechselnden Interessengemeinschaften aus, was auch Unternehmen beeinflusse. Der Anteil von Experten in der Belegschaft nehme zu, Führung und Gefolgschaft rückten näher zusammen, was an die Führungsarbeit hohe Anforderungen stelle. «Herkömmliches Wissen ist immer häufiger unwesentlich und irreführend, weshalb in der Führungsarbeit wie nie zuvor Offenheit für Neues und Umdenken gefragt sind.» Auch Brigitte Morel-Curran von Korn/Ferry Schweiz hält fest: «Die neue DNA der Chefs ist eine Kombination von Initiative und Neugier, strategischer Flexibilität, Einfallsreichtum und der Fähigkeit, andere begeistern zu können.»

Doch noch gilt in der öffentlichen Meinung der souveräne Alleskönner als Ideal. Das lang anhaltende Wirtschaftswachstum habe dessen Fehlleistungen verdeckt, sagt Schiller. Dies sei künftig nicht mehr möglich: «Führungskräfte, die ihr Tun allein nach dem Machtzentrum ausrichten, führen morgen besser nicht.» Und Brigitte Morel-Curran betont: «Wem es schwerfällt, Beziehungen zu knüpfen, wer selbstbezogen ist oder es nicht schafft, Talente zu inspirieren, hat keine Chance mehr.»

Fachkompetenz und kognitive Brillanz reichen also bei Weitem nicht mehr. Vielmehr definiert Schiller den guten Chef als ganzheitlich ausgerichtete Person mit hoher emotionaler Intelligenz: «Führungskräfte von morgen sind Menschen, denen Mann und Frau gern folgen. Menschen, die auf Sinnhaftigkeit und Lebensfreude statt Frustration und Stress setzen. Die mit ihrem Tun einen gesellschaftlichen Zweck erfüllen.» Gefragt sei eine starke Persönlichkeit, die nach dem Wir-Prinzip führe. «Die Zeit der einsamen Wölfe ist vorbei», lautet denn auch der Titel seines Führungsratgebers.

Schlecht sein kostet

Auch Zenhäusern fordert emotional intelligente Chefs. Sie bräuchten «Offenheit gegenüber unterschiedlichen Ansätzen, Vertrauen in die eigenen Entscheidungen, Gelassenheit und eine gesunde Dosis Selbstzweifel, gepaart mit der Grösse, Fehler eingestehen zu können». Viele Chefs seien aber Getriebene und darum übertrieben egoistisch und ehrgeizig. Da die junge Generation damit wenig anfangen könne, sei es eine Frage der Zeit, bis sich die neuen Verhaltensweisen auch im Top-Management durchgesetzt hätten. In seinem Buch «Chef aus Passion» fordert Zenhäusern «Führungskräfte, die ihre Aufgabe, sich selbst und andere zu führen, beherrschen», und «mehr eigenständige Persönlichkeiten, die sich über ihre Qualitäten und Werte definieren und nicht über Titel und Hierarchien».

Diese Persönlichkeit lernt laut Schiller «ein Leben lang dazu. Sie lässt unbequeme Fragen zu und akzeptiert, nicht alles selber zu wissen. Sie hält es aus, dass Mitarbeitende in einem Teilbereich, in dem sie mehr wissen, die Führung übernehmen. Völlig unabhängig vom hierarchischen Niveau.» Auch Korn/Ferry erachtet neben der kognitiven und der emotionalen Intelligenz den LQ, die Lernfähigkeit, als entscheidenden Faktor an der Spitze. Wenn Chefs versagten, fehle es ihnen vor allem an emotionaler Intelligenz und Lernfähigkeit, besagt eine aktuelle Studie.

Um in der Informationsfülle und -schnelligkeit richtig zu entscheiden, muss die Person an der Spitze laut Schiller mit der gesamten Belegschaft kooperieren – wie Gabriella Meyer von der Bioengineering. Gelingt es der Führungsperson, gute Beziehungen zu Mitarbeitenden aufzubauen, fördert sie deren emotionale Bindung an das Unternehmen, was die Erfolgszahlen nachweislich positiv beeinflusse, erklärt Morel-Curran.


Interview mit Günther H. Schust, Autor, Lehrbeauftragter HSG, Berater

Was bedeutet Führung heute?
Günther H. Schust:
Unterstützende Führung ist unerlässlich. Führung erhält eine neue Dimension, wenn sie nicht festlegt, einengt und kontrolliert, sondern initiiert, Handlungsräume aufzeigt, «grüne» Innovationen fördert und diese situativ unterstützt.

Fachkompetenz allein reicht also nicht.
Die Schulung von Schlüsseleigenschaften wie Change-, Beziehungs-, Kreativitäts- und Leadership-Kompetenz wird sträflich vernachlässigt. Doch gerade diese Fähigkeiten sorgen für die nachhaltige Erfolgskraft einer Organisation beziehungsweise Gesellschaft und für die flexible Beschäftigungs- und Einsatzfähigkeit ihrer Menschen – auch in kritischen Zeiten.

Das setzt Selbsterkenntnis und Anpassungsfähigkeit bei manchem Chef voraus.
Besonders stark fällt auf, dass Menschen sehr lern- und veränderungsresistent sind. Sie verändern sich nur, wenn der Druck ungemein gross wird und/oder ihnen keine andere Wahl mehr bleibt. Insbesondere nutzen Führungskräfte ihre Stellung, um fast nichts Neues mehr dazulernen zu müssen.

Wie kommen denn die zukunftsweisenden Kompetenzen in eine Unternehmung? An der Uni lernt man sie selten.
Im Unternehmen von morgen muss die Aufgabe der Leader darin bestehen, in ihren Betrieben und Organisationen ein systematisches Wissens- und Innovationsmanagement zu etablieren, in dem Führungs- und Fachkräfte situativ – wie im Leistungssport auch – für das Gefühl der intelligenten und kreativen Arbeit beziehungsweise Teamarbeit qualifiziert werden.

Woher bezieht der Chef von morgen seine Autorität?
Das stillschweigend unterstellte Monopol einer Führungskraft in einer gradlinigen Befehlskette gibt es so nicht mehr. Oftmals ist es schon erstaunlich, dass Mitarbeiter trotz «schlechter Führung» überhaupt noch zielstrebig und engagiert arbeiten. Es geht darum, den Mitarbeiter für bestimmte Ziele und/oder Visionen zu begeistern. Authentizität, Glaubwürdigkeit, Entscheidungs- und Unterstützungsfähigkeit sind die Schlüssel dazu – nicht Statussymbole.

Interview: Thomas Pfister