Diarmuid Russell hat einen Plan. Der Senior Vice President von Glassdoor ist extra aus San Francisco nach Zürich gekommen, um den Start seines Jobbewertungsportals anzukündigen. «Wir glauben, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber hier genauso offen bewerten wie in den USA», so der Silicon-Valley-Unternehmer.

«Offen» definiert  Russell so: Mitarbeiter haben kein Problem damit, ihre Gehälter auf die Seite zu stellen, sie fotografieren und veröffentlichen Bilder von Konferenzräumen und Mensagerichten und erzählen Menschen, die sich für die Firma interessieren, ob die Urlaubsregelungen auch wirklich eingehalten werden und ob der CEO fähig oder ein Blender ist.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Die Erwartungen an Glassdoor sind hoch: Die Seite hat den US-Markt bei den Jobbewertungsportalen komplett durcheinandergewirbelt. Inzwischen gehört das Angebot mit 400 000 bewerteten Firmen und 8 Millionen Mitarbeiterkommentaren zu den am schnellsten wachsenden Portalen weltweit.  

5000 CS-Gehälter online

Den Fokus legt Glassdoor auf international tätige Unternehmen mit guten Gehältern. Daher ist die Schweiz ein ideales Ziel für Russell und sein Team: «Wir sehen die vielen multinationalen Firmen der Schweiz als potenzielle Kunden. Bereits heute gibt es auf Glassdoor Bewertungen für grosse Schweizer Firmen wie UBS und CS.»

Tatsächlich finden sich auf der Seite von Credit Suisse fast 2000 Reviews von Mitarbeitern. Das Besondere: Auch 5000 Gehälter der Bank werden bei Glassdoor offengelegt. So haben 13 CS-Mitarbeiter, die den Titel «Vice President» tragen, ihre Gehälter publiziert. Der Durchschnittswert liegt bei etwa 150 000 Franken. Neben den Gehältern wurden 324 Zusatzleistungen der Bank einer Bewertung von Mitarbeitern unterzogen. Fast 800 Personen geben Auskunft, wie das Vorstellungsgespräch bei der Bank verlief.

Ein Mitarbeiter veröffentlicht alle Fragen, die ihm beim Gespräch gestellt wurden. Diese reichen von Lücken im Lebenslauf bis zu vergangenen Investitionsentscheidungen. Und natürlich dürfen auch Fotos aus den CS-Büros nicht fehlen. Da sind etwa schummrige Konferenzräume und durchgestylte Entspannungsräume, sogenannte Relax Areas, zu sehen.

Firmen sollen zahlen

«Eine unserer Besonderheiten ist die Suche nach Gehältern», so Joe Wiggins, Sprecher von Glassdoor. Wer sich gar nicht für Jobs mit weniger als 200 000 Franken interessiert, kann alle Jobs nach diesem Kriterium filtern. «Wir erlauben es unseren Mitarbeitern auch, die Executive-Ebene in der Firma persönlich zu bewerten. Auf der Ebene darunter sind keine Bewertungen von Einzelpersonen möglich.

Wie alle Jobbewertungsplattformen will auch Glassdoor Firmen dazu bringen, für ihr Profil auf der Seite zu bezahlen. Tun Firmen das, sind die Einschätzungen der Firma am oberen Ende der Seite zu sehen, zudem wird keine Werbung von Konkurrenten auf der Firmenseite aufgeschaltet.

Mit der Strategie der totalen Transparenz will Glassdoor anderen Jobbewertungsplattformen in der Schweiz das Wasser abgraben. Bereits heute buhlen viele Portale um möglichst viele Mitarbeiterbewertungen und dadurch um die Aufmerksamkeit der Firmen, die für ein aufgehübschtes Portal bezahlen sollen. Bei Kununu, jobvote.com oder companize.com wird man mit Interesse auf Glassdoor schauen.

Klageflut gegen Portale

Bisher ist aber ungewiss, ob die Komplett-Entblössungen der Mitarbeiter in Europa wirklich so gut ankommen wie in den USA. Im Gespräch erklären die Glassdoor-Verantwortlichen, dass die verfassungsmässig garantierte «freedom of speech» in den USA die Offenheit der Mitarbeiter schütze. Wie das datenschutzverliebte Europa und die auf Understatement bedachte Schweiz auf diesen Ansatz reagieren, ist ungewiss.

Was passiert beispielsweise, wenn Mitarbeiter auf ihren Fotos, die sie bei Glassdoor hochladen, irgendwelche sensiblen Informationen  veröffentlichen? Die Glassdoor-Verantwortlichen sagen, dass sie solche Fotos mit sensiblem Inhalt nicht durch die Prüfung lassen, der sich jeder Beitrag unterziehen muss. «Wir verwenden zwei Methoden der Moderation für hochgeladene Beiträge: Zum einen gibt es einen automatisierten Prozess, zum anderen eine Prüfung durch unsere Moderatoren. Etwa 24 Stunden nach dem Verfassen werden die Bewertungen veröffentlicht», so Russell.

Alle Mitarbeiter, die auf der Plattform bewerten würden, seien zudem anonymisiert und sollen so vor rachsüchtigen Firmen geschützt werden. Firmen können bei Glassdoor auf kritische Beiträge natürlich auch antworten. Ein ewiges Hin und Her von Fragen und Antworten ist aber ausgeschlossen, da nur eine einmalige Reaktion möglich ist.

Mitarbeiter riskieren Kündigung

Es ist nicht zu erwarten, dass europäische Firmen Glassdoor weniger robust begegnen werden als etwa dem Portal Kununu, das regelmässig mit Klagen wegen kritischer Bemerkungen eingedeckt wird. Inzwischen haben viele Rechtsanwälte in europäischen Ländern die Abmahnung von Online-Bewertungsplattformen als Geschäftsmodell entdeckt. «Dass wir Post vom Anwalt erhalten, passiert häufig», bestätigt etwa Kununu-CEO Florian Mann.

Die Krux bei der Sache: Mitarbeiter dürfen bei Online-Bewertungen nicht gegen ihren Arbeitsvertrag und ihre Schweige- sowie Treuepflichten verstossen. Wer Betriebsgeheimnisse online ausplaudert, riskiert die Kündigung. Wenn etwa Betreibern von Jobbewertungsportalen ein bösartiger Kommentar gegen eine Firma oder einen Manager, die bei Glassdoor explizit auch bewertet werden dürfen, durchrutscht, könnte der Seitenbetreiber aufgefordert werden, die Identität des Kritikers offenzulegen. Die persönlichen Bewertungen und CEO-Ratings bei Glassdoor dürften hier für einige Debatten sorgen.

Mehr zum Thema lesen Sie in der neuen «Handelszeitung», ab Donnerstag am Kiosk oder mit Abo bequem jede Woche im Briefkasten.

Stefan Mair
Stefan MairMehr erfahren