Sara Stalder ist der Prototyp einer modernen Konsumentin: Als dreifache Mutter mit vollem Arbeitspensum oft unter Zeitdruck stehend, kauft sie ein, wo und wann immer sie Zeit hat, und zwar mit Vorliebe biologisch und ethisch korrekt produzierte Waren. Sie macht aber durchaus auch Ausnahmen, wenn es ums Geniessen geht, und leistet sich zwischendurch Zucchetti zur Unzeit und Spargeln aus dem Ausland. Dann wieder streift sie mit ihrer Tochter stundenlang durch Berns Schuhgeschäfte, um ein bestimmtes Schuhmodell zu erstehen.

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Schliesslich werden die beiden in einem Billigschuhladen fündig. «In solchen Situationen zerreisst es mich fast. Als bewusste Konsumentin stosse auch ich an Grenzen», erzählt Sara Stalder mit dem Stossseufzer vieler Mütter modebewusster Kinder.

Untypisch für den Schweizer Durchschnitt und doch die Realität vieler berufstätiger Mütter sei zum Beispiel, dass ihr Ehemann, ein Teilzeit arbeitender IT-Fachmann, die meisten Einkäufe erledige, da er zurzeit für den gemeinsamen Haushalt zuständig sei.

Nicht an Staates Tropf

Diese Umkehr der Geschlechterrollen geht auf ein Inserat zurück, das Sara Stalder Anfang Jahr ins Auge sprang: «Stiftung für Konsumentenschutz SKS sucht Geschäftsleiterin». Die Primarlehrerin mit Erfahrung als Schulleiterin und Pädagogin von Mehrjahrgangsklassen im bernischen Wasen bewarb sich bei der Stiftung, ohne zu wissen, dass das Thema Konsumentenschutz das Paradepferd einer privaten Organisation ist. «Nie hätte ich angenommen, dass die SKS 85% ihres Budgets selber erwirtschaften muss.»

Bis vor kurzem hat Sara Stalder gedacht, die Stiftung würde zur Hauptsache durch den Staat unterstützt. «Was für mich bisher logisch war», findet Frau Stalder. «Es ist doch im Interesse des Volkes, des Staates und der Wirtschaft, dass die diversen Vorgehen der Anbieter und die Qualität der Waren überwacht werden, oder etwa nicht?»

Die Gesetze ändern

Der Vergleich mit den EU-Staaten falle ernüchternd aus, kritisiert Sara Stalder die Position der Schweiz: «In Bezug auf die Rechte der Konsumenten liegen wir 15 Jahre hinter der EU zurück. Die Rechte der Schweizer Bevölkerung sind massiv schlechter als die in den Nachbarländern.» Es sei an der Zeit, die Gesetze zu vereinheitlichen und in der Schweiz beispielsweise die Garantieleistungen zu verbessern. «Hierzulande kann die Garantiedauer unter einem Jahr liegen oder wegbedungen werden, das ist nicht in Ordnung», betont Stalder.

Ist die Schweiz denn nirgends Spitzenreiterin? «Doch, bei der Deklaration allergener und anderer Inhaltsstoffe sind wir deutlich besser als die EU», freut sich die Geschäftsführerin, die selber fast alles essen kann, was auf den Tisch kommt.

Sara Stalder bleibt hartnäckig beim Thema: «Warum ist der Staat nicht stärker interessiert an mündigen Konsumenten?» Als Neuling darf Sara Stalder ketzerische Fragen stellen, ja sie muss es sogar tun. Denn ihre Stammmütter Simonetta Sommaruga und Jacqueline Bachmann waren bekannt für ihren politikgeprägten Kommunikations- und Führungsstil.

Sie standen derart im Rampenlicht der Öffentlichkeit, dass Sara Stalder einen eigenen Weg finden und gehen will. Wie definiert sie die Rollen ihrer Vorgängerinnen? «Frau Sommaruga hat die Organisation aufgebaut und berühmt gemacht, und Frau Bachmann hat sie weiterentwickelt.» Eine ähnliche Aufgabe obliege nun auch ihr.

Möglichst rasch ein klares Profil zu zeigen ist der Lehrerin mit Erfahrung im Projektmanagement und Organisationsentwicklung wichtig. Doch noch fragt sie lieber, als vorschnell Antworten zu geben. Sie will das Steuer des SKS-Schiffes nicht brutal herumreissen, sondern sanft umlegen. Denn die Stiftung für Konsumentenschutz ist älter als ihre neue Geschäftsführerin und bringt somit einiges an Geschichte und Gewicht mit.

Miteinander statt dagegen

Das gilt auch für ihre Öffentlichkeitsarbeit und ihr Lobbying: «Ich kann niemanden zwingen, die Konsumenten vor Missbräuchen schützen zu helfen. Aber ich werde vermehrt an die Vernunft der Wirtschaft appellieren und sie motivieren, ins gleiche Horn zu blasen wie wir. Es muss doch je-der Unternehmerin und jedem Produzenten einleuchten, dass es sich lohnt, mit den Konsumenten fair umzugehen. Denn mehr Vertrauen führt zu mehr Verkäufen!» Dies gelte auch für die Wirtschaftsverbände: «Ein optimierter Kontakt trägt aus meiner Sicht zur Lösung manchen Problems bei.»

Ausschliesslich die Rolle der Opposition zu pflegen sei für eine förderliche Zusammenarbeit nicht immer günstig, weiss die Pädagogin. «Ich bin übrigens kein kämpferischer Robin Hood, der die Konfrontation sucht, sondern ich versuche, vernünftig mit Widerstand umzugehen. Hauptsache ist, dass wir als SKS ernst genommen werden.»

Reizthema berührt

Umgekehrt sei es enorm wichtig, der Bevölkerung ihre Rechte und Pflichten klar zu machen. Hat sich Sara Stalder schon mal an die Stiftung für Konsumentenschutz gewandt? «Nein», sagt sie kopfschüttelnd, «aber ich hätte es getan, wenn ich zum Beispiel betroffen wäre von der willkürlichen Abschaltung vieler TV-Sender durch einen Netzbetreiber oder von zu hohen Medikamentenpreisen.»

Schockierend finde sie immer wieder die Gesetzeslücken im Internet: Das Hütemädchen ihrer drei Kinder sei unlängst durch einen unvorsichtigen Klick zum Opfer einer Internet-Verkaufsmaschine geworden. Es habe den Einsatz von Erwachsenen gebraucht, um sie aus dieser ungewollten Verpflichtung wieder herauszulösen.

Mit Akribie an die Aufgabe

Die freundliche Frau mit der blonden Löwenmähne, die jeden Morgen um sechs Uhr von Sumiswald nach Bern pendelt, ist sich bewusst, dass sie keine Märchenfee ist, die mit einem Zauberstab alles Übel dieser Wirtschaftswelt zum Guten wenden kann. «Mich erwartet jeden Morgen eine knallharte Aufgabe. Die Lösungen werden sich nur millimeterweise und erst langfristig abzeichnen, das ist mir schon heute klar.»

Geduld hat die gebürtige Dürrenrotherin in der Kurzenei gelernt, einem Weiler in Wasen. Mehrere Jahre lang hat sie im selben Klassenzimmer erst 16, dann 7 Schülerinnen und Schüler auf sechs Schulstufen unterricht. «Für jedes Kind ein Sonderprogramm zu realisieren schult zum einen die strategische Konsistenz und Exaktheit und zum andern die Fähigkeit, situativ zu agieren.»

Mitten im Erwerbsleben

Nach 20 Jahren im Schuldienst war für Sara Stalder die Zeit der Veränderung angebrochen: Soeben 41-jährig geworden, suchte sie nach einer neuen Herausforderung. Sie fand sie bei der SKS, wo sie in bescheidenen Räumen sieben Personen führt. «Weil wir klein sind, sind wir ständig am Improvisieren. Obwohl wir jedes Jahr um unsere Finanzmittel kämpfen müssen, sind wir eine schlagkräftige Organisation», sagt die Parteilose mit leicht warnendem Unterton.

Die SKS schaut in die Zukunft wie ein Späher. Wie sähe die Organisation als Lebewesen aus? Die Geschäftsführerin schmunzelt: «Wie ein geerdeter Marsmensch mit langen Antennen und grossen Ohren: Wir bekommen fast alles mit, was auf Konsumentenebene schief läuft.»