Nicht irgendwo in Paris, sondern im Marais, einem der angesagtesten, trendigsten Quartiere, hat Tally Weijl vor fünf Monaten ihr neues Designcenter eröffnet. «Ein bisschen das Soho von Paris», vergleicht Kommunikationschefin Aileen Zumstein das multikulturelle Leben mit dem vom Big Apple. «Es gibt kein anderes Quartier, das so kreativ ist, es gibt nur das Marais.»

Firmengründerin Tally Weijl hat dem Weltkonzern nicht nur den Namen gegeben, als CEO ist sie auch zuständig für die in der Hauptstadt der Franzosen entworfenen Kreationen. Ex-Ehemann Beat Grüring hält dagegen als CEO für den wirtschaftlichen Erfolg am Firmensitz in Basel die Fäden in der Hand.

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An den rosafarbenen Wänden der Empfangslounge zeigen riesige Flachbildschirme attraktive Girls in Outfits für sehr junge Lolitas, deren Lust auf Partys die Kassen der Tally Weijl klingeln lässt, inzwischen weltweit. Angesagt sind pinkfarbene oder silberne ultrakurze Shorts, knappe offenherzige Westen, darüber lange Ketten, Schärpen und Lacklederstiefel. In der neuen Saison heisst das Thema Rock ’n’ Roll.

Von Tally Weijl weiss man, dass Besucher sich in Geduld üben müssen, weil die Agenda der Chefin gefüllt ist - und das kann Nerven kosten. Dann erscheint sie endlich in Jeans, Stiefeln, heller Bluse und Cordweste und lässt es sich nicht nehmen, selbst durch das 1000 m2 grosse Designcenter zu führen. Etwa 60 vorwiegend junge Mädchen und Männer, Freelancer und Praktikanten mitgezählt, ein grosser Teil arbeitet in der Design-Abteilung.

Frauen und Männer sitzen vor Bildschirmen, auf denen die nächste Produktion entsteht - vielleicht auf Einflüsterung eines «Trendscouts», der gerade in Singapur oder Paris ein zartes Nichts von einem bonbonfarbenen Kleidchen auf der Strasse erblickt hat, das ein Erfolg werden könnte. Kaum skizziert und übers Internet ins Designcenter transportiert - und zwei Wochen später hängt der neueste Modehit vielleicht schon in den Läden.

Multikulti von Geburt an

Die Atmosphäre ist entspannt. Die Gesichter hinter den Bildschirmen zeigen einen Querschnitt durch die Pariser Multikulti-Arbeitswelt, darunter viele junge Asiaten. Tally Weijl gibt sich rundum freundlich, sie kennt jeden einzelnen Namen. Die Erwartungen der Firmengründerin sind hoch: «Von meinen Mitarbeitern erwarte ich neben dem Aufspüren und Umsetzen von Trends auch Offenheit und unternehmerisches Denken», sagt sie mit Nachdruck.

Tally Weijl spricht Deutsch, Englisch, Französisch, Holländisch und Hebräisch. Während des Gesprächs wechselt sie immer wieder zu Französisch und antwortet kurz darauf wieder auf Englisch. «I love creative people», sagt sie, «mais finalement c’est moi qui décide.» Die Vielsprachigkeit hat ihre Gründe: Die Tochter holländisch-rumänischer Eltern ist vor etwa 48 Jahren - den Jahrgang muss man anhand einiger Äusserungen selbst ausrechnen - in Tel Aviv geboren, aufgewachsen ist sie in Holland. «Ich hatte gerade in Paris begonnen, Kunstgeschichte zu studieren», erzählt sie, «als ich meinen ersten Mann, den Schweizer Beat Grüring, kennen lernte.»

Sie folgte ihm in die Schweiz, um sich bei der Hotelfachschule Lausanne einzuschreiben. Doch dazu kam es nicht mehr, weil sie sich die Wartezeit bis zum Studienbeginn mit Zeichnungen für eine Modekollektion für junge Girls vertrieb. «Damit veränderte sich mein ganzes Leben.»

Schon als 14-Jährige hatte Tally begonnen, Modefotos aus Magazinen auszuschneiden, Legenden über Stoffe und Designer zu notieren und alles in ein Schulheft zu kleben. Diese Episode hatte sie dann allerdings ganz vergessen bis zu dem Tag, als ihre Mutter ihr zur Geburt des ersten Sohnes einen Karton mit diesen Modeclippings überreichte. Eine Modefachschule hatte sie nie besucht, zu Marketingstudien reichte die Zeit einfach nie. Intuition, Learning on-the-job, das Gespür für eine völlig neue Mädchengeneration nach dem Vorbild von Paris Hilton & Co. wurden zum Erfolgsmodell.

Bescheidener Start

Der Unternehmensstart mit Beat Grüring fand 1984 äusserst bescheiden in einer Garage statt. Während Tally Weijl die ersten Teile entwarf, übte sich Beat Grüring im Erstellen eines Business-Plans. Sie erinnert sich: «Ich suchte in den Gelben Seiten nach passenden Boutiquen und klapperte diese ab, zusammen mit meiner Schwiegermutter, die am Autosteuer sass.»

Ein Jahr später war die Kollektion an einer Modemesse zu sehen - mit Erfolg. Das war der Startschuss zum Grosshandel unter dem Label Tally Weijl. 1987 wurde die erste Boutique in Freiburg eröffnet. 1989 folgte der Umzug der Zentrale und der Distribution nach Oensingen, seit 2006 befindet sich das Head Office in Basel.

Ein Entschluss, der Sinn macht, weil das europäische Verteilerzentrum von Weil am Rhein 2005 nach Lörrach umzog und sich auf 24000 m2 fast versechsfachte. Und von da war es nicht mehr weit bis Paris. Dieses Jahr wird das Tally-Weijl-Imperium 25 Jahre alt.

«Mit dem Gebrauch des Internets, der Handys, Videoclips im Fernsehen und Websites hat sich unser Geschäft enorm entwickelt», so die Unternehmerin gut gelaunt. Da bald einmal junge Mädchen mit Kreditkarten in den immer zahlreicher werdenden Tally-Weijl-Boutiquen zahlen konnten, stieg der Umsatz rapide - begünstigt noch durch die Tatsache, dass sich die Girls für den wöchentlichen Ausgang jedes Mal totally neu einkleideten.

Ob sie es ist, die Trends vorgibt? «Ich habe eine Equipe um mich, die sehr wichtig ist. Ich höre sehr gut zu, wir arbeiten zusammen im Team, das rund um die Uhr und rund um den Globus neue Trends aufspürt und sofort umsetzt.»

30 Millionen verkaufte Stücke

Die Flecken auf der Weltkarte, wo es noch keine Tally-Weijl-Stores gibt, werden immer weniger. Die ersten zwölf Jahre galten der Entwicklung im Heimmarkt: Aufbau des Head Office und der Distribution, erste Läden, das erste eigene Ladenbaukonzept. Dann kam der Sprung nach Deutschland, es folgten Polen, Dubai und Bulgarien, die Türkei, Zypern, Saudi-Arabien, Russland. In den letzten sechs Jahren wurden Filialen rund um den Globus im Wochentakt eröffnet. 2008 fiel der Startschuss zur ersten Filiale in Schanghai, mittlerweile sind es dort rund zehn Stores, 2009 sind weitere Eröffnungen in China geplant. Inzwischen werden pro Jahr fast 30 Mio Kleidungsstücke und Accessoires verkauft.

Die Kritik feministischer Kreise an der ausgesprochen aufreizenden Mode bringt die Chefin nicht aus der Ruhe: «Das bereitet mir keine schlaflosen Nächte, denn wir machen nur Mode, die unserer Zielgruppe gefällt.»

Ständig ist sie unterwegs zwischen Paris und der Schweiz, denn der Wohnsitz mit den beiden acht- und zehnjährigen Söhnen und ihrem zweiten Mann, dem Franzosen Elfassi, ist Zug. Sie liebt Zürich, weil sie da eine Zeit lang gelebt hat und hält die Limmatstadt für das eigentliche Modemekka der Schweiz, wozu die schrägen Typen der Street Parade mit Sicherheit beitragen. Sie ist ständig unterwegs im Dreieck Zug, Basel und Paris oder dorthin, wo gerade neue Tally-Weijl-Läden aufgehen.

Aber auch in New York und den Produktionsstätten in Marokko, Indien und China, fühlt sich die Kosmopolitin wohl. «Wir haben ein Kurzlieferungssystem aus Fes, Langzeitlieferungen kommen vorwiegend aus Indien und China», erklärt sie. Was heisst, dass auch in den 70 Stores in der Schweiz junge Girls für das nächste Date bereits das kaufen können, was nur wenige Tage zuvor auf den Bildschirmen in Paris kreiert wurde.