Es muss schon einiges passieren, damit ein Mann wie Anshu Jain den einflussreichen Chefposten bei einer der grössten Banken der Welt aufgibt. Noch im Mai hatte der CEO auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank unbeirrt und selbstbewusst gegen massive Kritik von Aktionärsvertretern und Betriebsräten angeredet. Nur Wochen später dann der Paukenschlag: Beide Vorstandschefs, er und Co-Chef Jürgen Fitschen, verlassen das Unternehmen.

Während die internationale Wirtschaftspresse Eilmeldungen zum spektakulären Blitzabgang des umstrittenen Führungsduos verfasste und die Aktionäre noch ihren Sieg feierten, kritisierte die Ratingagentur Moody's den Schritt scharf: Der abrupte Wechsel im Management unterstreiche die Dringlichkeit und die Schwierigkeit, das Institut umzubauen, schrieb die Agentur. Unter den gegebenen Umständen erscheine John Cryan, der Nachfolger für die gescheiterten Co-Chefs, zwar als vernünftige Wahl. «Doch das Unvermögen, sofort einen internen Kandidaten als Nachfolger für den Vorstandsvorsitz zu benennen, deutet auf eine nicht angemessene Pipeline an Führungspersönlichkeiten hin.»

Schlechtes Signal nach aussen

Die Kritik der Ratingagentur zeigt: Ein ungeplanter und schlecht vorbereiteter Führungswechsel gilt Investoren und Analysten als Hinweis, dass im Unternehmen etwas im Argen liegt. Ein solcher Vertrauensverlust wiege schwer, findet Frank Pedersen, ehemals CEO von Siemens Security Solutions und heute Mentor für Führungskräfte bei der Consultingfirma Merryck in Zürich. «Wenn Unternehmen einen Führungswechsel nicht ordentlich hinbekommen, entsteht ihnen ein grosser Schaden», betont Pedersen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Die direkten Kosten des Führungswechsels wiegen dabei gar nicht so schwer: «Kosten für Recruiting, Abfindungen für den alten und Sign-on-Packages für den neuen Chef summieren sich in der Regel auf das Zweifache eines CEO-Jahres-Packages», rechnet der CEO-Mentor vor. Zwar ist eine kurzfristige Aktion in der Regel teurer als ein planmässiges Nachfolgeverfahren. Doch das ist für die Firmen verkraftbar.

Indirekte Kosten wiegen schwerer

«Viel grösserer Schaden entsteht durch die indirekten Kosten eines schlecht geplanten Wechsels», sagt Pedersen. Mitarbeiter sind verunsichert, die Fluktuation steigt, wichtige Entscheider verlassen das Unternehmen. Das wirkt sich auf Performance und Kundenzufriedenheit aus. Presse und Investoren spekulieren über die Ursachen der Führungskrise, Interna werden in der Öffentlichkeit diskutiert. «Das alles schlägt aufs Image und aufs Ebit und zieht die Performance weiter runter», konstatiert der Berater. «Je länger es dauert, bis ein adäquater Nachfolger benannt wird, desto grösser der Schaden.»

Eine internationale Studie der Beratungsgesellschaft Strategy& (vormals Booz & Company) zu Führungswechseln in den 2500 grössten börsennotierten Unternehmen der Welt bestätigt die schädlichen Auswirkungen: Selbst wenn ein Führungswechsel planmässig vonstattengeht, sinkt in der Übergangszeit meist die Performance. Geht der CEO-Wechsel schief, wird es jedoch richtig teuer. Ein erzwungener Wechsel an der Spitze kostet Unternehmen gemäss der Studie im Schnitt 1,8 Milliarden Dollar mehr als ein planmässiger.

Schweizer Chefs wechseln meist geplant

In der Schweiz sind solche ungeplanten Führungswechsel eher selten, ein plötzlicher Entscheid wie der Rücktritt von Klaus Stahlmann bei Sulzer ist aussergewöhnlich. Das belegen die Zahlen: Im Jahr 2014 fanden 83 Prozent der CEO-Wechsel hierzulande planmässig statt, zeigt eine Studie der Beratungsgesellschaft PwC. 60 Prozent der turnusmässig neu ernannten Spitzenmanager stammten dabei aus den eigenen Reihen, 40 Prozent der Chefsessel wurden mit externen Kandidaten besetzt.

Chef-Coach Pedersen ist sich allerdings nicht sicher, ob die hohe Quote turnusgemässer Führungswechsel ausschliesslich positiv zu bewerten ist. «Oft halten Verwaltungsräte auch zähneknirschend bis zum Ende der Vertragslaufzeit an einem glücklosen CEO fest, obwohl schon lange klar ist: Der darf nicht bleiben», berichtet Pedersen. «Das ist natürlich nicht sehr motivierend für den jeweiligen CEO und daher auch nicht unbedingt gut für die Performance.»

Kontinuität bringt Erfolg

Auch Heike Bruch, Professorin für Leadership und Human Resources Management an der Universität St. Gallen, will die Statistik nicht allzu positiv lesen. «Im Durchschnitt sind CEOs im deutschsprachigen Raum nur etwas mehr als drei Jahre im Amt», sagt Bruch. «Das ist eindeutig zu kurz, um Strategien nachhaltig umzusetzen.» Aktuelle Forschungen würden belegen: «Hochleistungsorganisationen haben durchweg Kontinuität im obersten Management.» Je mehr Kontinuität, desto mehr Erfolg also.

Vor allem, wenn die Geschäfte nicht gut liefen, tauschten Unternehmen heute aber schnell ihre Führungsspitzen aus, berichtet Bruch. «In vielen Unternehmen wird der kurzfristige Einfluss von Einzelpersonen auf den Unternehmenserfolg überbewertet. Letztlich ist es eine Kulturfrage, wie langfristig Unternehmen ausgerichtet sind und wie konsequent sie Strategien verfolgen, die eine Nachhaltigkeit im Handeln erfordern, wie Innovation, Qualität oder Kundennähe», so Bruch. Unternehmen, die auf eine hohe Kontinuität setzten, würden auch häufiger interne Kandidaten als Nachfolger auf dem Chefsessel auswählen.

Verwaltungsrat und Führungskräfte verstehen sich in diesen Unternehmen als Partner, die den langfristigen Erfolg des Unternehmens sichern wollen. «Firmen, die eine eher kurzfristige strategische Ausrichtung haben, wählen hingegen oft Kandidaten von aussen», sagt Bruch. Der Verwaltungsrat mache den Managern in diesen Unternehmen oft grossen Druck durch einseitige, kurzfristige Kennzahlen – und begünstige damit kurze Amtszeiten und überraschende Abberufungen.

Mehr zum Thema lesen Sie in der aktuellen «Handelszeitung», seit Donnerstag am Kiosk erhältlich oder mit Abo bequem jede Woche im Briefkasten.