Mehr «ich» und weniger «wir». Das wünscht sich nach der diesjährigen Studie «Wohlbefinden am Arbeitsplatz» ein Grossteil der Büroarbeiter. Die knapp 7500 befragten Angestellten in zehn Ländern, die vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos und der Beratungsfirma Steelcase untersucht wurden, beklagen sich über immer weniger Privatsphäre am Arbeitsplatz. 41 Prozent der Befragten sind zudem nicht zufrieden mit ihrer Arbeitsumgebung. 67 Prozent der Angestellten sehen sich jeden Tag dem Bürolärm ausgesetzt, wodurch ihre Arbeit beeinträchtigt wird. Gut jeder zweite Angestellte fühlt sich regelmässig unterbrochen und aus seiner Arbeit herausgerissen. Konzentrationsstörungen aufgrund solcher Arbeitsumgebungen geben über ein Drittel der Befragten an.

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Trotz dieser Zahlen und den negativen Effekten dieser Störungen auf die Arbeitsleistung gelten Mitarbeiter, die gegensteuern, sich bewusst zurückziehen und alleine, wenn nicht sogar isoliert arbeiten wollen, als verdächtig. Wenn das Unternehmen noch nicht so fortgeschritten ist, dass es verschiedene Büroumgebungen für die Erfüllung des Isolationswunsches bietet, klebt diesen Mitarbeitern schnell einmal der Stempel teamunfähig oder arbeitsscheu auf der Stirn.

Kopfhörer als Symptom des Problems

Diese weit verbreitete Meinung über Mitarbeiter, die es vorziehen, alleine zu arbeiten, hat ihre Gründe. In den letzten Jahrzehnten war Privatsphäre am Arbeitsplatz nicht gefragt. Firmen haben sich in ihrer Büroarchitektur vor allem auf die Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter fokussiert. Die Büros haben sich von geschlossenen Räumen zu offenen Flächen gewandelt. «In einigen Unternehmen ist diese Entwicklung aber zu weit gegangen, es herrscht ein Ungleichgewicht zwischen Interaktion und Privatsphäre», so Studienautor Chris Congdon. Der Mangel an Rückzugsmöglichkeiten wirke sich in solchen Firmen negativ auf Kreativität, Produktivität und Engagement der Mitarbeiter aus.

Wenn ein Mitarbeiter nun Privatsphäre im Grossraumbüro sucht, bleibt ihm eigentlich nur der Griff zum Kopfhörer. Aber auch dieser hat unter vielen Kommentatoren einen desaströsen Ruf. Die Managementzeitschrift «Harvard Business Review» bezeichnete Kopfhörer als «Karrieregift». Die Buchautorin Anne Kreamer sieht Kopfhörer als Zerstörer der kreativen gegenseitigen Inspiration im Grossraumbüro und empfiehlt der Personalabteilung sobald sie einen Kopfhörer bemerkt, sofort einzuschreiten. Kreamer vertritt die Ansicht, dass Firmen Arbeitsumgebungen so gestalten müssen, dass jeder Mitarbeiter das «informelle Wissen der Belegschaft» aufsaugen kann. Ob es relevant für ihn ist oder nicht.

Nur ein Symptom eines grösseren Problems

Kopfhörer scheinen aber nur das Symptom eines grösseren Problems zu sein. Denn ob Headsets wirklich zu besserer Arbeitsleistung führen oder nicht, konnte bisher nicht geklärt werden. Es gibt dazu nur Studien mit viel zu kleinen Untersuchungskreisen, als dass man darüber eine definitive Aussage treffen könnte. Eine taiwanesische Studie mit 102 Studenten zeigt, dass Studenten, die während eines Tests Musik hörten, eine schlechtere Leistung erbrachten. Das Hören von Hip-HopMusik verringerte die Leistungen von Versuchsteilnehmern in einem Lesetest. Die Verallgemeinbarkeit solcher Ministudien, die zudem nicht direkt Leistung im Büro messen, bleibt aber äusserst begrenzt.

Mit Kopfhörern scheinen Mitarbeitende aber ihrem grundsätzlichen Bedürfnis Ausdruck zu geben. Dem Bedürfnis nach Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten. Dafür sind Kopfhörer nicht die perfekte Lösung. Solange Firmen aber keine architektonische Lösung für das Bedürfnis schaffen, ist es die einzige.

Architektur als Lösung

Für den Gebrauch von Kopfhörern raten Experten, einfache Regeln einzuführen: «Ich empfehle, im Unternehmen das Tragen von Kopfhörern im Personalreglement aufzunehmen und so Klarheit zu schaffen», so Christian Moro, Verhaltenstrainer und Knigge-Coach aus Rothrist. Zudem soll darauf geachtet werden, dass Mitarbeiter auch wirklich schallabweisende Hörer verwenden. Feste Zeiten für das Tragen der Hörer können genau so Unsicherheiten beseitigen wie Ankündigungen, wie lange nicht gestört werden soll.

Die optimale Reaktion auf das Bedürfnis von Mitarbeitern nach Isolation erreicht man aber nicht über ein möglichst ausgefeiltes Kopfhörer-Reglement, sondern durch architektonische Lösungen. Wie diese aussehen, zeigen Versuche an der Fachhochschule Nordwestschweiz (siehe Box). Dort wird das Büro nach verschiedenen Bedürfnissen sozialer Interaktion unterteilt: Eine soziale Zone beim Eingang, eine Teamarbeitszone in der Mitte und komplett ruhige Rückzugsorte im hinteren Bereich. «Die Regel Nummer eins bei solchen Lösungen ist, dass man sich bei der Raumgestaltung an den Tätigkeiten und Bedürfnissen der Mitarbeitenden orientiert», sagt Hartmut Schulze, Leiter des Instituts für Kooperationsforschung und -entwicklung.

Regal-Riegel von fast zwei Metern Höhe gliedern die Räume in die verschiedenen Bereiche. Mitarbeiter, die an längerfristigen Projekten arbeiten, haben ihren eigenen Bereich, genau so wie solche, die den Austausch mit Kollegen suchen. Auch die Credit Suisse hat inzwischen einige interessante architektonische Lösungen gefunden, die die Privatheit im Büro unterstützen. So gibt es an einigen Standorten raumtrennende Elemente zwischen den Schreibtischen, die ein leises Rauschen erzeugen und damit störende Geräusche schlucken sollen. Mitarbeiter können je nach Bedarf einen Schreibtisch mit unterschiedlichem «Abschottungsgrad» wählen.

Bedürfnis ernst nehmen

Für Firmen, die sich solche gross angelegten Lösungen nicht leisten können oder wollen, sind sogenannte Workbays eine Alternative. Das sind kleine, leicht installierbare Miniräume, die als Rückzugsorte für Mitarbeiter dienen. Solche architektonischen Mikrosysteme, wie sie Büropsychologen nennen, lassen sich unabhängig von festen Bürorastern einrichten, erweitern oder an veränderte Bedingungen anpassen. Verarbeitet werden in solchen «Workbays» spezielle Materialien, wie dünnes Aluminium oder Polyestervlies, das besonders geräuschdämmend wirkt. Auch die Höhe der Büroboxen ist variabel.

Firmen können Rückzugsmöglichkeiten im Büro architektonisch gewährleisten, aber auch durch leichte Eingriffe erhöhen. Nehmen Firmen das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach ein bisschen «Einsamkeit» im Büro aber überhaupt nicht ernst, riskieren sie nachlassende Konzentration und eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Arbeitsumgebung, wie die Ipsos-Studie auch in diesem Jahr wieder gezeigt hat.

Büros von morgen ermöglichen Rückzug

  • Mikrosysteme An der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten wird erforscht, welche Raumgestaltung im Büro die Arbeit erleichtert. Dabei wird der Wunsch vieler Mitarbeitenden nach Rückzugsorten und der Möglichkeit isolierten Arbeitens berücksichtigt.
  • Raumaufteilung So ist die Raumaufteilung nach dem Geräuschpegel organisiert. Betritt man das Modellbüro, so darf es laut sein, es handelt sich um eine «social zone». Hinter diesem Bereich beginnt die Projektzone, in der es schon deutlich ruhiger wird. Hier setzen sich Kleingruppen zur Arbeit zusammen. Die Computer sind so angeordnet, dass sich die Leute nicht in die Augen schauen müssen. Berücksichtigt werde der Wunsch nach  «visueller Privatheit».
  • Silent Zone Dahinter beginnt die  «ruhige Zone». Telefone fehlen hier, es sind keine Gespräche oder Telefonate erlaubt. Ein Sichtschutz trennt die Arbeitsplätze voneinander ab. Zweck der Zone ist kreative und konzentrierte Einzeltätigkeit.
Stefan Mair
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