Sie betreiben jetzt über 160 Studios, in denen die Leute Krafttraining machen. Allein im Raum Zürich sind es drei, im deutschsprachigen Europa gehören Sie zu den Grossen der Branche. Geht da in Zukunft noch was?

Werner Kieser:
Ja, sicher. Im Moment sind wir gerade dabei, einen neuen Vorstoss zu unternehmen. Wir etablieren ein neues Geschäftsmodell. Das wird es uns erlauben, Studios auch in kleineren Agglomerationen zu betreiben, dort, wo wir derzeit noch nicht vertreten sind. Wir werden in den nächsten Jahren auch in Städten ab 50 000 Einwohner Fuss fassen können.

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Vor drei Jahren sind Sie aus der operativen Führung des Geschäfts ausgestiegen. Da waren Sie 71. Was Sie gerade sagten, hört sich nicht so an, als genössen Sie den «verdienten Ruhestand» ...
Die grosse Kreuzfahrt, von der viele träumen, solange sie keine Zeit dafür haben, würde mich nicht ausfüllen. Da frisst man sich durch die Welt, aber das ist nur passiv, rezeptiv. Man hat keine Aufgabe, kann nichts gestalten. Langweilig. Das wäre nichts für mich. Ich arbeite eigentlich immer. Ich unterscheide in meinem Leben nicht zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Das halte ich auch im Kopf nicht auseinander, ich kann das nicht trennen, habe es auch noch nie getan.

Worum kümmern Sie sich seit dem Ausscheiden aus dem Operativen noch?
Meine Kernkompetenz ist die Entwicklung neuer Trainingsgeräte. Hier kann ich einen wichtigen Beitrag leisten.

Ihre Rolle bei Kieser Training heute ist also eine andere als noch vor fünf Jahren. Wie haben Sie sich gegenüber der Firma neu positioniert?
Jeder unternehmerisch Tätige tut gut daran, nicht die ganze Zeit ans Geschäft zu denken. Deshalb habe ich mir immer andere Felder gesucht. Vor ein paar Jahren habe ich ein Philosophiestudium begonnen und auch abgeschlossen. Eine bereichernde Erfahrung.

Moment mal. Ein Studium, neben der vollen Berufstätigkeit als CEO. Wie haben Sie das denn gestemmt?
Eigentlich wollte ich mein Englisch verbessern. Es gibt noch viel Platz auf der Weltkarte für Kieser Training. Aber auf einen klassischen Sprachkurs, so mit Vokabeln lernen, hatte ich keine Lust. Das ist nicht mein Ding. So kam ich auf das Studium. Ich wollte die englischen Philosophen einmal im Originaltext lesen, ich habe mich an der Open University für das Studium eingeschrieben.

Das ist eine britische Fernuniversität ...
Ja, in diesem Format konnte ich es leisten, weil ich überall studieren konnte, im Tram, im Zug und im Flugzeug. Ich habe in den Jahren des Studiums ein Doppelleben geführt. Im Morgengrauen aufgestanden, studiert, gelernt, anschliessend folgte der ganz normale Tag im Büro. Das ging so bis zu meinem Master-Abschluss 2012.

Was hat dieses Studium mit Ihnen gemacht?
Man sieht das eigene Wirken aus anderer Perspektive. Das bereichert. Der Stoff, mit dem ich mich befasst habe, war so interessant, dass ich das nicht missen möchte.

Aber wer so etwas macht, muss abgeben können.
Das habe ich frühzeitig gelernt. Wir führen die meisten unserer Betriebe im Franchising, da trägt ein Lizenzpartner die unternehmerische Verantwortung. Das läuft nur, wenn man abgeben kann; ein Unternehmen muss dafür transparent und gut dokumentiert sein. Ich habe meine Arbeit immer strukturiert, Aufgabenlisten und Durchführungsbeschreibungen aufgesetzt. Das hat mir bei meiner Arbeit immer geholfen, weil es den Kopf entlastet – und es hilft auch den Mitarbeitern. So lassen sich Aufgaben leichter weitergeben. Wenn ein Arbeitspaket beschrieben ist, lässt es sich herauslösen und delegieren.

Klingt überzeugend, nach einer erprobten Technik. Aber es setzt ein gewisses Mass an Vernunft voraus – und den Willen, auch wirklich abzugeben. Warum tun sich Chefs dennoch oft schwer damit?
Ich sehe zwei Probleme. Viele Chefs können nicht mit Mitarbeitern umgehen, die eine starke Persönlichkeit haben. Und, fast wichtiger noch, einige Vorgesetzte geben nicht gerne preis, was sie wissen und können. Dadurch wollen sie unentbehrlich bleiben. Das steht dem Abgeben im Weg. Deshalb rate ich jedem Unternehmer, das Gegenteil zu tun. Man soll daran arbeiten, entbehrlich zu werden.

Dann kommt aber direkt der nächste Einwand: «Mir fehlen die richtigen Leute. Ich kann nicht abgeben.»
Klar, aber auch das lässt sich überwinden. Der Unternehmer soll Leute beobachten und entwickeln. Das braucht Zeit, die A-Führungsjobs besetzt man nicht innerhalb von zwei Tagen. In einem Vorstellungsgespräch erfährt man nichts. Kreativitätspotenziale stehen nicht im Abschlusszeugnis der Uni, sie zeigen sich im Kopf, im Herzen und im Tun. Deshalb ist beobachten wichtiger als fragen. Bei Bedarf sollte der Unternehmer fördern, aber auch bereit sein, die Reissleine zu ziehen, wenn es nichts wird.

Woran erkennen Sie denn gute neue Führungsleute?
Natürlich ist viel Erfahrung dabei, ein innerer Kompass. Aber es gibt auch konkrete Merkmale. Zum Beispiel verhalten sich gute Führungsleute nach oben und unten gleich. Sie machen keinen Unterschied, ob sie mit einem Mitarbeiter oder mit einem Vorgesetzten sprechen. Sie zeigen immer den gleichen verbindlichen, verlässlichen und professionellen Ton. Ausserdem haben die Guten keine Angst vor starken Charakteren unter ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Sie sind heute VR-Präsident der Kieser Training AG, das operative Geschäft führt ein angestellter CEO. Gehörte für Sie zum Abgeben von Verantwortung auch die Weitergabe von Gesellschafter-Anteilen?
Anfangs habe ich unterschätzt, wie wichtig die Anteilsübergabe ist. Aus meiner Sicht hatte das gar keine Bedeutung. Heute bin ich hier aber anderen Sinnes, das hat mich die Erfahrung der Übergabe gelehrt. Führungskräfte schätzen das Miteigentum am Unternehmen sehr. Damit kann der Unternehmer ihnen gegenüber Wertschätzung und Anerkennung ausdrücken. Die Weitergabe von Anteilen an der Kieser Training AG an die nächste Generation hat einen Motivationsschub ausgelöst. Es wurde als Vertrauensvotum empfunden. Heute halten die Führungskräfte 10 Prozent der Anteile an der AG.

Mancher Unternehmer kann sich trotz Generationswechsel nicht von seinem Lebenswerk lösen. Wie haben Sie Zeichen gesetzt, dass es Ihnen ernst ist mit dem Stabwechsel?
Ich habe kein Büro mehr in der Firmenzentrale. Das gibt dem heutigen Management die Freiheit im Kopf. Das ist wichtig. Denn ein präsenter Gründer zieht zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Deshalb habe ich mich aus dem Alltag der Firma auch physisch zurückgezogen, durch meine Anwesenheit hätte ich die Abläufe nur gestört. Jede Führungsgeneration hat ihren eigenen Stil, das sollte ein scheidender Unternehmer respektieren, sonst verstellt er den Weg in die Zukunft.

Der Fitness-Guru

Name: Werner Kieser
Alter: 74

Unternehmen:
Die Firma Kieser-Training mit Hauptsitz in Zürich betreibt 160 Kraftstudios. Geschätzter Umsatz: 139 Mio. Fr.

Nachfolge:
Im Jahr 2011 zog sich Werner Kieser aus der operativen Führung zurück und übergab das Geschäft an den angestellten CEO Michael Antonopoulos.