Zwei Stunden pro Tag weniger arbeiten – bei gleichbleibendem Lohn! So eine Forderung verschlägt erst einmal vielen die Sprache. Der Sechs-Stunden-Tag bedeutet für Arbeitgeber eine Minderung der Wettbewerbsfähigkeit. Für manche Arbeitnehmer klingt es wie der weit entfernte Traum, ein ruhigeres Leben zu führen.

Das muss so nicht sein: In einigen Ländern stehen Arbeitgeber diesem Konzept deutlich offener gegenüber als erwartet. Etwa in Schweden, wo einzelne Arbeitgeber schon seit Jahren von Erfolgen mit der verkürzten Arbeitszeit berichten. Die Mitarbeiter seien schlichtweg motivierter bei der Arbeit und würden sich seltener kurzfristig krankschreiben lassen, berichten Unternehmen. Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika experimentieren Arbeitgeber mit kürzerer Arbeitszeit. Zum Beispiel arbeiten Angestellte des Softwareunternehmens Treehouse mit Sitz in Orlando nur vier Tage die Woche.

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Wissenschaftliche Studie soll Effekte aufdecken

Ab Februar kommenden Jahres versucht die Stadtverwaltung von Göteborg, Schwedens zweitgrösster Stadt, diese Effekte erstmals wissenschaftlich zu belegen: Ein Jahr lang werden 60 Mitarbeiter nur sechs Stunden pro Tag arbeiten, ihre Kollegen hingegen weiterhin ihrer bisherigen Arbeitszeit nachgehen. «Mit der 30-Stunden-Woche wollen wir die Gesundheit und Zufriedenheit unserer Angestellten fördern», sagt Mats Pilhem von der Linkspartei Vänsterpartiet. «Besonders ältere Angestellte werden davon profitieren.»

Aber auch Frauen werde der Sechs-Stunden-Tag entgegenkommen, hofft Pilhelm: «Frauen mit einem Teilzeitjob arbeiten bei nur sechs Stunden de facto Vollzeit.» Das Experiment wird auch von Arbeitsmedizinern mit Spannung beobachtet, denn noch immer gibt es zu wenig belastbare Daten über die Auswirkungen von «weniger Arbeit».

Seit 20 Jahren gleichbleibende Arbeitszeit

In der Schweiz hingegen ist die Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn immer noch unmöglich. «Wir haben in der Schweiz seit mehr als 20 Jahren keine Verkürzung der Arbeitszeit mehr erreicht», sagt Martin Flügel, Geschäftsleiter von Travail.Suisse, dem Dachverband der Schweizer Gewerkschaften. Im Gegenteil: Es scheint, als wollten die Eidgenossen eher mehr arbeiten als weniger. Mehrfach haben sie sich gegen eine Kürzung der Arbeitszeiten entschieden.

Jüngst vor zwei Jahren, als sich im Volksentscheid die Mehrheit der Schweizer gegen einen Anstieg des Jahresurlaubs um zwei Wochen aussprach.In den letzten Wochen vor der Abstimmung überzeugten die Arbeitgeber mit ihrer Kampagne und dem Slogan «Mehr Ferien = Weniger Jobs» die Mehrheit der Stimmbürger. Travail.Suisse musste eine herbe Niederlage gegen die Arbeitgeberverbände einstecken. Ein gutes Jahrzehnt zuvor hatten die Schweizer schon einmal dagegen votiert, weniger zu arbeiten: 74,6 Prozent der Eidgenossen lehnten damals im Volksentscheid eine 36-Stunden-Woche ab. In keinem der 26 Kantone gab es eine Mehrheit für das Vorhaben.


Jahrzehntelange Debatte um reduzierte Arbeitszeit

Sind die Schweizer ein zu arbeitsames Völkchen? Der ehemalige Nationalrat Pierre Aguet von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz machte bereits 1996 eine ähnliche Erfahrung wie vor zwei Jahren Travail.Suisse-Chef Martin Flügel. Auch er wollte den Schweizern ermöglichen, bei vollem Lohn weniger zu arbeiten. Und zwar mit dem, was in Schweden heutzutage immer populärer wird: Dem Sechs-Stunden-Tag. Schweizer sollten ihre Arbeit entweder von 7 bis 13 Uhr oder von 13 bis 19 Uhr verrichten. Über die restliche Zeit sollte jeder frei verfügen: «Mehr Freiheit ist nie zu viel verlangt», schrieb Aguet in einem Antrag, den er im Dezember 1996 im Nationalrat einreichte.

Wie der Schwede Mats Pilhem heute führte der Sozialdemokrat Aguet bereits Mitte der 1990er-Jahre die gleichen Argumente an: Der Sechs-Stunden-Tag würde Arbeitnehmer entlasten und für mehr Kreativität sorgen. Auch die Arbeitslosigkeit könne man damit bekämpfen. Schliesslich werde bei stetig steigender Produktivität auch der Bedarf an neuen Stellen steigen. Doch der Bundesrat lehnte ab: «Forderungen dieser Art haben einzig höhere Produktionskosten, eine Verschlechterung der Konkurrenzfähigkeit der betroffenen Unternehmen und damit einen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge», hiess es in der Begründung des Rates. Damit war das Thema in der Schweiz für lange Zeit weg von der politischen Agenda.

Arbeitgeber bezahlen Lohn für Zeit und Leistung

Warum ist weniger zu arbeiten keine Alternative für die Schweiz? Ist etwa die protestantische Arbeitsethik daran schuld, auf die die Schweizer zu Recht stolz sind? Für den Schweizerischen Arbeitgeberverband scheint die Sache klar: «Bei gleichem Lohn weniger zu arbeiten, würde die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz gefährden», erklärt Philipp Bauer, Bereichsleiter für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Die Argumentation dahinter geht so: Arbeitgeber bezahlen Lohn für Zeit und erbrachte Leistung.

Verbringen die Schweizer weniger Zeit mit dem Arbeiten, sinkt die Leistung. Die Produktivität wäre geringer, die Löhne müssten sinken. «Kürzere Arbeitszeiten bei höheren Löhnen sind für Arbeitgeber nicht nachvollziehbar», sagt Bauer.

Flexiblere Arbeitszeiten sind gefragt

Der schwedische Politiker Pilhelm hält dagegen: «Die Produktivität von Unternehmen ist in der Vergangenheit gestiegen, ohne dass die Firmen die Gesellschaft massstäblich an diesem Gewinn beteiligten.» So lohnt es sich, noch einmal den Vergleich mit Skandinavien herbeizuziehen. Denn die Schweiz und Schweden ähneln sich in demografischen Faktoren stark, gehören etwa beide seit einigen Jahren zu den führenden Ländern des United Nations Human Development Report.


Bei der Wirtschaftskraft sind die Schweizer den Schweden sogar um einiges voraus. Auch Travail.Suisse-Chef Martin Flügel kann dem Sechs-Stunden-Tag etwas abgewinnen: «Die Idee ist grundsätzlich richtig», sagt Flügel. Eine Reduktion der Arbeitszeit könne die Produktivitätsgewinne der Unternehmen neu verteilen. Aber auch Flügel priorisiert anders: «Was die Arbeitnehmenden in der Schweiz dringender brauchen als den Sechs-Stunden-Tag sind Arbeitszeiten, die sich besser mit dem Privatleben und der Familie vereinbaren lassen», fordert Flügel. Besonders bei männlichen Angestellten werde der Wunsch danach immer grösser. Nur würden Schweizer Unternehmen noch viel zu wenig darauf eingehen.

Maschineller Arbeitsrythmus

Der Acht-Stunden-Arbeitstag ist schliesslich auch ein Relikt der Industriegesellschaft. So war der Takt der Arbeiter auf den der Maschinen abgestimmt. Erstaunlich ist, dass sich dieser Arbeitsrhythmus überhaupt in der Schweiz durchgesetzt hat. Die Schweiz war noch nie ein Land, das sich ausschliesslich auf gigantische Industriebetriebe gestützt hat. Ähnlich wie in Schweden dominieren kleine Betriebe mit nicht einmal 100 Mitarbeitern die Unternehmenslandschaft. Die Schweiz war schon immer eine Wissensgesellschaft, Kreative sind nicht an den Schreibtisch gebunden.

Der schwedische Politiker Pilhelm glaubt deshalb, dass eine Reduktion der Arbeitszeit auch für die Schweiz der richtige Weg ist: «Schweden und die Schweiz teilen ähnliche Probleme bei der Geschlechtergleichheit und dem Anspruch auf ein besseres Leben.» Die Schweizer scheinen das bisher anders zu sehen.