Bei der politischen Aufarbeitung des milliardenschweren Wirecard-Bilanzskandals hat der ehemalige Chef Markus Braun jede Hilfe abgelehnt. Der 51-jährige Österreicher, der seit Wochen in einem Augsburger Gefängnis in Untersuchungshaft sitzt, verlas am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss im deutschen Bundestag eine fünfminütige Erklärung, verweigerte darüber hinaus aber jede weitere Aussage.

Allerdings sagte er, Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfer hätten aus seiner Sicht keine Fehler gemacht. Braun erschien im Paul-Löbe-Haus im Bundestag in seinem typischen schwarzen Rollkragenpullover und Jackett - aber ohne Handschellen. Er wurde extra nach Berlin gebracht. Eine von seinem Anwalt geforderte Videovernehmung lehnte der Bundesgerichtshofs ab.

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«Ich habe zu keiner Zeit Feststellungen getroffen oder Hinweise darauf erhalten, dass sich Behörden, Aufsichtsstellen oder Politiker nicht korrekt, pflichtwidrig oder in irgendeiner Form unlauter verhalten hätten», sagte Braun vor neun Abgeordneten von CDU/CSU, SPD, AfD, Grüne, Linke und FDP. «Das gilt auch für den Aufsichtsrat als Kontrollorgan und die Wirtschaftsprüfer, die im Rahmen der Abschlussprüfungen offenbar massiv getäuscht wurden und daher trotz umfangreichster und tiefgreifender Prüfungshandlungen keine Unregelmäßigkeiten feststellen konnten.» Vor diesem Hintergrund sei es für ihn nicht nachvollziehbar, warum externe Aufsichtsstellen, die viel weiter weg seien, Versäumnisse zu verantworten hätten.

Vorwurf gegen Bafin und EY

Unter anderem der Finanzaufsicht BaFin und Wirtschaftsprüfern von Ernst & Young (EY) wird vorgeworfen, zu spät die Bilanzunregelmässigkeiten bei Wirecard entdeckt zu haben. Die Pleite des Zahlungsabwicklers kostete Investoren Milliarden. Insgesamt meldeten geprellte Gläubiger beim Insolvenzverwalter 12,5 Milliarden Euro Schaden an. Sie dürften nur einen Bruchteil davon je weitersehen.

Braun bügelte sämtliche Fragen der Abgeordneten ab. «Ich werde mich nicht abweichend von meinem Statement äußern», sagte er immer wieder. Die Fragen der Abgeordneten drehten sich vor allem um Kontakte von Braun und Wirecard zu Politik und Regierung, aber auch zu Behörden, ebenso zum Geschäftsmodell des pleitegegangenen Zahlungsabwicklers. Ein Sitzungsteilnehmer sagte zu Reuters, Braun sei in den Saal gekommen, habe kurz innegehalten, sich umgesehen und sei zu seinem vorgesehenen Platz geschritten. «Er ist höchst angespannt und macht in seiner Haltung einen wackeligen Eindruck.» Ein anderer ergänzte, Braun wirke schwach. «Die Hände zittern. Er verweigert jedwede Aussage. Er klammert sich offenbar an die Empfehlung seines Anwalts.»

«Militärischer Korpsgeist»

Der Wirtschaftsinformatiker war fast zwei Jahrzehnte lang Chef von Wirecard und gilt laut bisherigem Kenntnisstand der Staatsanwaltschaft als zentrale Figur in dem milliardenschweren Bilanzbetrugsfall. Braun habe ein hierarchisches System bei dem Zahlungsabwickler aufgebaut, das geprägt gewesen sei von einem militärisch-kameradschaftlichem Korpsgeist sowie Treueschwüren untereinander.

Die Ermittler werfen Braun und anderen Vorständen, wie dem auf der Flucht befindlichen Jan Marsalek vor, über Jahre die Bilanzen des Konzerns aufgebläht und Banken, Investoren und Kunden getäuscht zu haben und damit gewerbsmässigen Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Marktmanipulation betrieben zu haben.

Nach der Aufdeckung eines 1,9 Milliarden Euro schweren Lochs in der Bilanz durch Wirtschaftsprüfer sprach Braun zunächst davon, Opfer eines grossen Betrugs zu sein, bevor er kurze Zeit später zurücktrat und von der Staatsanwaltschaft verhaftet wurde.

Gegenüber den Ermittlern wolle er eine Aussage machen, versprach Braun vor dem Untersuchungsausschuss. «Ich werde mich zeitnah zu den verfahrensrelevanten Themen äussern. Aber vorrangig gegenüber der Staatsanwaltschaft»

«Markus Braun war Wirecard»

Die Parlamentarier wollen durch den Untersuchungsausschuss aufklären, wie es zu der spektakulären Pleite des ehemaligen Dax-Konzerns kommen könnte. Sie wollen vor allem herausfinden, welche politischen Kontakte und Netzwerke Wirecard zum Kanzleramt und den Ministerien hatte. «Das ist nicht irgendein Zeuge», sagte FDP-Politiker Florian Toncar.

Als Chef habe er über alles Bescheid gewusst, was zentral für die Aufklärung sei. «Markus Braun war Wirecard.» Der Ausschuss werde genau überprüfen, ob er bei Fragen zurecht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache oder dies nur vorschiebe. «Wenn es vorgeschoben wird, wird es nicht der letzte Besuch in Berlin gewesen sein.»

Im Fokus steht unter anderem ein Treffen Brauns mit Staatssekretär Jörg Kukies aus dem SPD-geführten Finanzministerium am 5. November 2019 - als es schon konkrete Vorwürfe gegen Wirecard gab und ein Sondergutachten in Auftrag war. 

(reuters/mlo)