Der Zeitpunkt wäre ideal gewesen. Kurz vor der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Lage der Nation und während des Besuchs von US-Präsident Joe Biden in der Ukraine wollte Moskau die Fähigkeiten seiner neuen mächtigsten Militärrakete vorführen. Das war als Warnung an den Westen und im Inland als ein Beleg für die eigene Militärstärke gedacht. Doch der zweite geplante Langstreckenflug der Interkontinentalrakete Sarmat, die im Westen auch als Satan 2 oder «Weltzerstör-Rakete» bezeichnet wird, ging offenbar schief.

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Eine offizielle Bestätigung für den Fehlschlag am 20. Februar gibt es zwar nicht. Dafür aber mehrere Hinweise. So berichtet der US-Sender CNN unter Berufung auf zwei US-Militärs von dem missglückten Flug. Auch russische Militärblogger melden ein angebliches Versagen der zweiten Stufe der Rakete. Zudem gab es eine Luftraumsperrung im Umfeld des nördlichen russischen Startplatzes Plessezk.

Die Geheimdienste kennen sicherlich mehr Details. Starts von Interkontinentalraketen werden meist monatelang vorbereitet und in der Regel informiert Moskau Washington im Vorfeld über einen Versuch und umgekehrt die USA auch Russland. Wie es heisst, soll Moskau auch beim jüngsten Test Washington vorgewarnt haben.

Durch die Vorabinformation soll vermieden werden, dass ein Teststart als realer Angriff gewertet und ein Gegenschlag ausgelöst wird. Zu Beginn des Ukraine-Krieges vor einem Jahr stoppten die USA sogar einen ursprünglich geplanten Testflug einer Interkontinentalrakete, um auf keinen Fall ein Missverständnis auszulösen. Regelmässig erproben die beiden Grossmächte die Einsatzfähigkeit ihrer Interkontinentalraketen, die aus unterirdischen Silos abgeschossen werden.

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Eine russische Rakete startet auf der Russia-Space-Anlage in Baikonur, Kazachstan.

Quelle: IMAGO/SNA

Reichweite von mehr als 15'000 Kilometern

Moskau hatte bereits im April 2022 seine neue, über 200 Tonnen schwere Sarmat-Rakete in einem ersten Langstreckenflug über 5000 Kilometer erprobt. Damit wollte der Kreml ein Signal seiner Militärmacht am Beginn seines Angriffskriegs in der Ukraine senden. Wie Putin nach dem ersten Flug in einer Fernsehansprache sagte, zwinge die Rakete «jene zum Nachdenken, die im Feuereifer einer abgebrühten, aggressiven Rhetorik versuchen, unser Land zu bedrohen». Bei seiner jetzigen Rede in Moskau erwähnte er die Rakete nicht. Dabei hätte ein erfolgreicher Flug perfekt in Putins Drohkulisse an den Westen gepasst.

Die gut 35 Meter grosse Sarmat mit Flüssigkeitstriebwerken soll künftig das Prunkstück für Russlands künftige Langstrecken-Atomraketen werden. Mit einer Reichweite von mehr als 15.000 Kilometer könnte das Modell – wenn es voll einsatzfähig ist – beispielsweise die USA erreichen. Die Nato spricht dramatisch vom Modell SS-X-30 Satan 2.

Westliche Raketenexperten geben zu bedenken, dass ein Testflug einer neuen Interkontinentalrakete längst noch keine Einsatzreife bedeute. Bei den Testflügen stecken gewöhnlich Gefechtskopf-Attrappen und Messinstrumente unter der Raketenspitze. Das Sarmat-Projekt hat sich bereits um Jahre verzögert. Ursprünglich war bereits für 2017 ein erster Testflug geplant, der sich dann aber um fünf Jahre verzögerte.

Der Münchner Raketenexperte Markus Schiller spricht bei der Sarmat von einer «Weltzerstörrakete», weil sie zehn Atomsprengköpfe tragen kann. Damit könnte bildlich gesprochen eine Rakete komplette Staaten auslöschen, etwa die zehn grössten Städte der Bundesrepublik oder die Grossstädte an der US-Ostküste. Denkbar ist auch der Einsatz von sogenannten Awangard-Stratosphären-Gleitkörpern, die auf den äusseren Schichten der Erdatmosphäre wie ein hüpfender Kieselstein auf einer Wasseroberfläche ihr Ziel ansteuern.

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Diese Flugtechnik macht die Berechnung des anvisierten Ziels und damit die Abwehr extrem schwierig. Bei der Sarmat handelt es sich zwar um eine russische Interkontinentalrakete, also für weite Entfernungen, aber letztlich sei auch ein Einsatz auf ein Zielgebiet in Europa nicht auszuschliessen, sagt Experte Schiller. Er gibt zu bedenken, dass Russland schon jetzt über die enormen Atomschlagfähigkeiten über seine älteren SS-18 Interkontinentalraketen verfügt. Eine erste Version dieses Modells hatte 1973 den Erstflug.

Zu den bemerkenswerten Besonderheiten der künftigen Sarmat-Rakete gehört, dass ihre Entwicklung bereits vor über einem Jahrzehnt vom russischen staatlichen Raketenzentrum Makejew begonnen wurde. Die Interkontinentalrakete SS-18 als bisheriges Rückgrat der strategischen Raketentruppen Moskaus und die stärkste Militärrakete der Sowjetunion während des Kalten Krieges wurde hingegen massgeblich vom Raketenentwickler KB Juschnoje in der heutigen Ukraine konstruiert. Wie es in der Branche heisst, müssen die russischen Entwickler wohl noch Erfahrung sammeln.

Das neue russische Sarmat-Modell soll die SS-18 mit ukrainischen Wurzeln in den 46 Abschusssilos ablösen – aber wann das konkret passiert, ist offen. Geplant war dies bis 2020. Womöglich erklärt Putin bereits vorzeitig die Einsatzreife seiner neuen grossen schweren Interkontinentalrakete, auch wenn noch nicht alle Tests abgeschlossen sind, heisst es jetzt in der Branche.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt unter dem Titel: «Putins Plan mit der «Weltzerstör-Raktete» ist gescheitert».