Schweizer Pharmaexporte nach Russland haben sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine als recht stabil erwiesen. Gemäss dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) lieferte die Branche im vergangenen Jahr Medikamente im Wert von 1,8 Milliarden Franken in die Russische Föderation.
Das ist zwar etwas weniger als in beiden Vorjahren, entspricht jedoch dem Niveau von 2019 - also vor Kriegsausbruch und Pandemie. Auch dieses Jahr ist die Branche auf Kurs, ihre Vorjahreszahlen zu erreichen.
Von Sanktionen ausgenommen
Der Anteil Russlands an den gesamten Schweizer Pharmaexporten liegt zwar bei unter zwei Prozent, jedoch machen pharmazeutische Produkte derzeit über 80 Prozent der Schweizer Ausfuhren nach Russland aus. Vor dem Krieg lag der Anteil bei 50 Prozent.
Viele Schweizer Unternehmen haben nach Kriegsbeginn ihre Aktivitäten stark reduziert oder komplett eingestellt. Die Pharmaexporte sind rechtlich jedoch zulässig: Die vom Bundesrat übernommenen Sanktionsmassnahmen der EU betreffen vor allem den Güterhandel, das Finanzwesen und Energie, nicht aber die Lieferung von humanitären oder medizinischen Produkten.
Public Eye fordert Rückzug
Pharmaexporte in den russischen Markt sieht die Nichtregierungsorganisation Public Eye dennoch kritisch. «Im Zuge der Verschärfung der Sanktionen westlicher Länder gegen Russland sollten sich auch die Schweizer Pharmaunternehmen aus Russland zurückziehen», sagt Sprecher Oliver Classen.
Wenn sie dies nicht täten, dann aus kommerziellen Gründen. «Es gibt genügend Alternativen für jene von der WHO definierten unentbehrlichen Arzneimittel, die Roche oder Novartis nach Russland liefern.»
Den Abbruch klinischer Studien fände Public Eye hingegen unethisch. Produkte dafür müssten die Konzerne weiter liefern, findet Classen. «Aber eben ausschliesslich für diese Studien.»
Die grossen Pharmakonzerne begründen die Exporte in die Russische Föderation allesamt mit der Verantwortung gegenüber Patienten. «Novartis setzt sich dafür ein, Menschen überall auf der Welt den Zugang zu Medikamenten zu ermöglichen - unabhängig davon, wo sie sich befinden», schreibt der Konzern auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP. Der Lieferstopp lebenswichtiger Medikamente könne schwerwiegende Folgen für die Betroffenen haben.
Aktivitäten eingeschränkt
Auch Roche exportiert weiterhin Arzneien und Diagnostikprodukte. Man habe jedoch die Aktivitäten «deutlich eingeschränkt», erklärt eine Sprecherin. So wurden neue klinische Studien und die Aufnahme neuer Patienten gestoppt.
«Trotzdem sorgen wir im Einklang mit dem Völkerrecht dafür, dass Patienten wichtige Medikamente erhalten.» Russland mache etwa 1 Prozent des Roche-Umsatzes aus.
Sandoz liefert ebenfalls weiter, vor allem Antiinfektiva und Atemwegsmedikamente. «Etwa die Hälfte unserer Produkte in Russland sind Teil der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel», erklärt ein Sprecher. Die Aktivitäten in Russland machen ebenfalls nur einen geringen einstelligen Prozentsatz des weltweiten Konzernumsatzes aus.
Lonza wiederum verfügt weder über Anlagen noch über Büros oder sonstige operative Präsenz in der Russischen Föderation und spricht von «sehr begrenzten» Geschäftsbeziehungen.
Aufgrund der Umsatzzahlen und Marktanteile lasse sich zwar sagen, dass Schweizer Pharmaunternehmen nicht wirklich zu Putins Kriegskasse beitragen, kommentiert Public-Eye-Sprecher Classen. «Ihr Rückzug wäre aber dennoch ein wichtiges politisches Signal der Branche an die russische Regierung.»