Die Schweizer Uhrenindustrie blickt auf das beste Jahr aller Zeiten zurück – einzelne Marken jubeln über ein Wachstum von bis zu 30 Prozent oder mehr. «Wir haben mehr Nachfrage, als wir erfüllen können», lässt etwa Marc Alexander Hayek verlauten, unter anderem Chef der Spitzenmarken Blancpain und Breguet. Und Philippe Léopold- Metzger, CEO der Marke Piaget, legt noch einen drauf: «Unsere grösste Herausforderung ist es, die Produktionskapazitäten zu erhöhen.»

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So viel Erfolg ist erstaunlich. Denn im Grunde genommen braucht heute kein Mensch eine mechanische Armbanduhr. Jedenfalls nicht, wenn er die Uhrzeit wissen will. Jedes Handy zeigt akkurat die Zeit an. Und jede Billig- Quarzuhr aus Fernost ist viel genauer als zum Beispiel eine 800 000 Euro teure Preziose aus der Edel-Manufaktur Patek-Philippe. Eine teure mechanische Uhr ist ein bisschen wie ein Zwölfzylinder im Stop-and-go-Verkehr. Hübsch, aber sinnlos.

Am überflüssigsten ist wohl das Tourbillon, ein besonders aufwendig gebautes Teil in vielen Luxusuhren. Das Tourbillon, so muss man wissen, wurde 1795 von Abraham Louis Breguet erfunden, um die Uhren genauer zu machen. Erdmagnetismus und Schwerkraft beeinflussten die Taschenuhren negativ. Dies schaltet das Tourbillon aus, indem es das Herz der Uhr, nämlich Anker, Ankerrad und Unruh, in einen drehenden Kasten legt. Heute ist das Teil überholt: Moderne Materialien geben der Erdanziehung sowieso keine Chance mehr.

Trotzdem bauen die Manufakturen Tourbillons. Viele Tourbillons. Sie forschen anachronistisch an raffinierten neuen mechanischen Hemmungen, als sei das Rennen gegen die Elektronik doch noch zu gewinnen. Und sie verzieren allerlei Werk-Platinen und Brücken mit aufwendigsten Zierschliffen, obwohl kein Mensch sie sieht. Ausser der Uhrmacher, wenn er die Uhr zur Wartung im Atelier öffnet. Reine l’Art pour l’Uhr ist das – und es ist, wie gesagt, in diesen Tagen höchst erfolgreich. Warum? Weil es überflüssig ist. Luxus beginnt eben dort, wo das Begehren stärker ist als die Vernunft.

Manchmal zeigen Zahlen, was Uhrenfreunde mitunter fast ein wenig aus dem Häuschen bringt: Die Manufaktur Jaeger-LeCoultre in der Vallée de Joux etwa braucht 100 Teile für das Tourbillon in der legendären Gyrotourbillon 2. Die Teile wiegen zusammen exakt 0,34 Gramm. Das allein ist schon sehr beeindruckend. Doch dazu kommt noch eine Weltneuheit: Bei 6 Uhr pulsiert gut sichtbar eine zylinderförmige, gebläute Feder – ein (siehe Bilder) höchst ergötzliches Schauspiel.

Es schickt sich für Männer nicht, mit einer Märklin-Eisenbahn zu spielen. Doch in der Uhr haben sie einen wunderbaren Ersatz gefunden. Sie sei, so wird oft behauptet, der einzige Schmuck für den Mann. Das greift viel zu kurz. Richtig ist: Die mechanische Uhr ist das schönste Spielzeug für den Mann. Die mechanische Uhr mag überflüssig sein. Aber sie hat eine Seele. Und erzählt eine Geschichte. Davon handelt fortan einmal im Monat diese Kolumne.

Pierre-André Schmitt ist Chefredakteur des Schweizer Stil-Magazins „First“ und leidenschaftlicher Fan feiner Uhren-Mechanik