Ganz oben glitzern die sonnenbestrahlten Berge über dem «schönsten Hochtal der Alpen». Unten blubbern die Zwölfzylindermaschinen. Glatter als hier, auf dem Eisfeld neben dem Flugplatz Samedan, kann es nirgendwo sein. Die dünne Schneeschicht ist bald an vielen Stellen blank gefahren, darunter glänzt das nackte Eis in der Sonne. Und die unebene Rasenfläche, auf der das Eis liegt, sorgt mit ihren Höhenunterschieden für zusätzliche Schweissperlen: Bergab rutscht es sich deutlich einfacher. Hier reicht ein gefühlter Millimeter zu viel Druck aufs Gaspedal, und das Heck schwenkt zu einem hämischen Gruss zackig nach vorne.

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Insgesamt 180 Zylinder hat der britische Sportwagenbauer Aston Martin zum Winterfahrtraining, oder gefühlvoller: zu «Aston Martin on Ice», nach St. Moritz gekarrt. Bis auf den mit 426 Pferdestärken «kleinen» Achtzylinder-Vantage feuern in allen Modellen Kraftwerke mit zwölf Töpfen. Und die wollen beherrscht werden, gerade auch von Fahrern, die nicht zu den Speed-Aficionados gehören, sondern vor allem ihr schönes Auto lieben. Die Astonians gehören gemeinhin nicht zu jenen, die mit verbotenen Rennen und Geschwindigkeitsrekorden auf öffentlichen Autobahnen auf sich aufmerksam machen. Dazu verleiten offensichtlich eher motorisch überzüchtete Kleinwagen oder die Boliden von Lamborghini. Die schicken britischen Schätzchen hingegen, preislich zwischen 160 000 und 370 000 Franken angesiedelt, werden von ihren Eigentümern geschont. Normalerweise.

Die Ausnahme heisst Wolfgang Schuhbauer. Er hat sich ein «Rapidchen» geschnappt und fährt Kreisbögen um einige orangefarbene Warnkegel herum. Wir sollen das später auch machen. Der 45-Jährige ist Direktor des Aston Martin Testzentrums, das praktischerweise am Nürburgring liegt, und als Konzernmanager quasi Miteigentümer der Sportwagenflotte in St. Moritz. Wie ruhig die Autos gleiten, die später in den Showrooms auf Kunden warten, wie tückisch oder unaufgeregt sie im Grenzbereich agieren – für diese Fahrwerksabstimmung ist Schuhbauer zuständig. Nebenbei betätigt er sich als Rennfahrer. Und wenn er im Aston-Martin-Stammwerk in Gaydon, zwischen London und Birmingham gelegen, zu tun hat, setzt er sich am Freitag gern in einen Testwagen, dem ein Probeteil eingeschraubt wurde, und fährt damit nach Hause in die deutschen Mittelgebirge. Auf der Fahrt prüft er die neuen Komponenten, «da ist Reisezeit wirklich Arbeitszeit», sagt Schuhbauer. Zehn Stunden braucht er ungefähr, inklusive Kanalüberquerung.

Schuhbauer zieht weite Kreise um die Pylonen. Ständig korrigiert er den Lenkeinschlag, dreht das Steuer manchmal vom linken bis zum rechten Anschlag. Meist lenkt er aber in homöopathischen Dosierungen – so glatt die Oberfläche ist, der Mann scheint vorab zu wissen, was das Auto gleich tun wird, und arbeitet dem vorbeugend entgegen. Den Viertürer Rapide, den Aston Martin seit eineinhalb Jahren verkauft, zirkelt Schuhbauer mühelos und richtungsstabil über den Eiskreis – allerdings im Volldrift: Das Auto «schaut» in die Kreismitte, nur die Vorderräder zeigen in Fahrtrichtung. Tief entspannt hält der Aston-Mann die 477 Pferdestärken im Zaum. Die elektronischen Stabilisierungshelfer hat Schuhbauer ausgeschaltet, natürlich, und grinst: «So macht Autofahren doch richtig Freude.»

Immer ausgebucht. Nach dieser Demonstrationsfahrt können die vorbeigleitenden Skilangläufer besichtigen, wie so etwas aussieht, wenn es Laien nachmachen wollen. Wir, eine kleine Gruppe Journalisten aus Europa und den USA, bekommen hier das Programm gezeigt, das Aston Martin seinen Kunden verabreicht – zum Preis von knapp 3000 Euro. Die aufwendigen Events, seit 2009 im Angebot, sind begrenzt verfügbar und in kürzester Zeit ausgebucht. Schickes Abendessen auf einem Berg, Hotel und Empfang im VIP-Zelt namens «Iglu» sind inbegriffen. 340 Teilnehmer zählte Aston Martin bisher.

Erst mal also: Kreise fahren, Gruppen von drei oder vier Autos teilen sich einen Pylonenring. Anfangs haben wir noch die Stabilitätskontrolle eingeschaltet. Man startet vorsichtig, merkt aber bald, wie die Elektronik, die sich traditionsgemäss hinter zahlreichen Kürzeln verbirgt, das Auto blitzschnell stabilisiert und zurechtrückt – solange man es nicht übertreibt. Gegen mutwilliges «Angasen» sind die besten Helferlein machtlos. Wie viel diese Computereingriffe tatsächlich wert sind, lernt man beim schrittweisen Verzicht: Die zentrale Hilfskraft DSC, Dynamic Stability Control, kennt eine Track Mode, die mehr Freiheiten zulässt, sowie den Tiefschlaf. Also noch mal fünf Sekunden Knopf drücken, und sie ist deaktiviert.

Nun wird die Show für die Skilangläufer unübersichtlich: Eine komplette Runde schafft praktisch niemand. Die meisten Versuche enden zunächst in wilden Kreiseln um die eigene Achse. Räder drehen durch, Motoren heulen auf, beim Versuch, wieder anzufahren, drehen die Räder erneut durch. Dann erst einmal warten, die Kollegen vorbeilassen, neuer Versuch. Richtig eng wird es zwar nie, weil sich keiner die Peinlichkeit antun will, einer Aston-Karosse Beulen zu verpassen. Aber der Gedanke an den Crash fährt mit, denn viel braucht es nicht: zu schnell anfahren – Abflug. Zu abrupt einlenken – Abflug. Zu stark bremsen – totaler Abflug.

Nach der Kreisbahn folgt das Oval, dann die Acht – der Wechsel von Geradeausfahrt in die Kurve, auf Asphalt nicht weiter problematisch, stellt sich auf Eis als prekäres Manöver heraus. Die Kurve zu schnell anzugehen, bewirkt «Untersteuern», das Auto drängt geradeaus weiter. Es dann in die Biegung zu zwingen, gehört zu den schwierigeren Übungen. Zu langsam einfahren und dann zu viel Gas geben führt unweigerlich zum Abflug – zum Kreiseln auf der Stelle. Gemächlich einfahren und genauso fortsetzen schliesslich ist so langweilig, dass es auf dem Index steht. Man übt ja nicht auf der öffentlichen Strasse, man will den Grenzbereich spüren …

An der Funk-Leine. Die Betreuer Sven und Ricardo melden sich gelegentlich via Sprechfunk – sie halten ihre Geräte in der Hand, in jedem Auto liegt ein Empfänger. Oft müssen sie nicht ordnen oder warnen, und die kurzen Anweisungen («hier nicht zu viel Gas geben») sind meist von einem trockenen Lacher begleitet. Die beiden haben genauso viel Spass wie wir.

Obwohl sämtliche Aston-Modelle für das Eiskreiseln gute Voraussetzungen mitbringen (Hinterradantrieb, an dem sehr viel Leistung zerrt), verblüfft beim Herumprobieren durch die Fahrzeugpalette, wie unterschiedlich die Arbeitsauffassung der einzelnen Typen ist.

Am störrischsten gibt sich der Vantage mit V12-Motor. Der Vantage ist eigentlich das einzige Modell, das den «kleinen» Achtzylinder spazieren fährt. Vor zwei Jahren allerdings haben die Ingenieure in den engen Vorderwagen den grossen Motor mit seinen vier zusätzlichen Töpfen hineingepresst. Der brachiale Antrieb, der kurze Radstand und die betont sportliche Abstimmung machen den kleinen Zwölfender, erkennbar an den Lufteinlässen auf der Motorhaube, zu einem giftigen Gefährt, wenn es draussen spiegelglatt und die Elektronik stillgelegt ist. Sogar das Spitzenmodell DBS ist gutmütiger. Es basiert auf dem Unterbau des DB9. Dieses Modell ist gut 30 Zentimeter länger als der Vantage und auf der Strasse eher als Gleiter und Cruiser ausgelegt. Der DB9 gibt sich am problemlosesten im Umgang. Aber auch der Viertürer Rapide reagiert dank seiner Fünf-Meter-Karosserie träger und damit fehlerverzeihender als die kürzeren Zweitürer.

Weitere Übungen: aus Tempo 60 voll bremsen und einem Hindernis ausweichen, dasselbe mit folgender Wiedereinfädelung auf die ursprüngliche Spur, wie beim schnellen Fahrstreifenwechsel auf der Autobahn. Beides zunächst mit, dann ohne elektronische Unterstützung. Man fährt also vorsichtig an, damit die 517 PS nicht die Antriebsräder des schwarzen DBS durchdrehen lassen, und beschleunigt langsam, aber stetig. Wer zackig, aber sparsam lenkt, hält das Auto gut in der Spur. Die Zauberformel lautet ohnehin: wenig machen! Je geringer die Lenkeinschläge und je zärtlicher der Gasfuss, umso kontrollierter rutscht der Aston Martin um die Pylonen. In guten Momenten hat man sogar Grip.

Höhepunkt des Events ist das Kräftemessen mit den Konkurrenten. Sven und Ricardo haben einen Parcours aufgebaut, der Slalomfahrten, enge Kurven und volle Richtungswechsel verlangt.

Etwa zwei Minuten dauert eine Rundfahrt, drei Chancen hat jeder, die Bestzeit zu erzielen. Ich trete mit dem schwarzen DBS an – der sieht einfach am besten aus, und mit seiner Fahrdynamik habe ich mich angefreundet. Zu viel Leistung kann auf Eis zum Problem werden. Gegen die Aston-Power-Truppe, jeder einzelne mit über 400 PS und bärigem Drehmoment ausgerüstet, hätte ein Mercedes 200 Diesel aus den Achtzigern mit 70 PS durchaus Siegchancen gehabt. Ackergäule sind einfacher zu zügeln als Rennpferde.

Für eine Proberunde nehme ich Wolfgang Schuhbauer als Tippgeber auf dem Beifahrersitz mit. Als er urteilt, das sei ja «gar nicht so schlecht», rechne ich mir einige Chancen aus. Auch die folgenden Wertungsläufe scheinen mir ganz gelungen. Als in der Siegerehrung die ersten drei aufgerufen werden, bin ich aber nicht dabei. Sven lässt allerdings die Kombattanten wissen, dass «man gut die unterschiedlichen Herangehensweisen beobachten konnte: Einige sind ohne elektronische Hilfen gefahren, andere mit.» Ich hatte die DSC natürlich ausgeschaltet, man hat ja Sportsgeist und will das Heck in Schwingung bringen. Auch der österreichische Kollege, ein Bruder im Geist, schaffte es nicht aufs Podest. Sieger wurde der Franzose – mit Computerhilfe, wie wir unterstellten. Danach zu fragen, verkniffen wir uns. In der Spasswertung waren definitiv wir vorne.

Dirk Ruschmann
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