Wenn in St. Moritz die Lichter ausgehen, knipst irgendwer die Sonne an. Hell ist es hier immer, schön auch, reich sind die meisten. Ulrich und Silvia Evertz-Pauls sitzen auf der Terrasse ihres umgebauten und vor Weihnachten neu eröffneten Restaurants Chesa Chantarella. Das deutsche Ehepaar hat es sich auf Salastrains gemütlich eingerichtet. Das Zielgebiet der Skiweltmeisterschaften (1. bis 16. Februar) ist von hier aus nur einen Steinwurf weit entfernt. Doch Frau Evertz, Juristin und seit etwas mehr als einem Jahr Gastronomin, blickt mit gemischten Gefühlen auf die Zeltstadt. «Wir werden draussen an der Piste einen Grill aufstellen. Das schon», sagt sie vorsichtig. Richtig Kasse machen mit den Skitouristen, das will sie offenbar nicht. Die Zimmer in den oberen Stockwerken des Hauses sind an die Angestellten vermietet – oder vom Ehepaar Evertz selber bewohnt. «Wir haben für sie drunten im Tal keine Übernachtungsmöglichkeiten gefunden», meint Silvia Evertz-Pauls und zuckt – angesichts des ihr entgehenden Geschäftes mit Mietern oder Käufern von Wohnungen an bevorzugter Ski- und Schaulage – entschuldigend mit der Schulter. Dabei wüsste ihr Ehemann genau, wie dieses Geschäft anzugehen wäre. Bis vor drei Jahren war er Eigentümer und Geschäftsführer einer IT-Schmiede, die er kurz vor New-Economy-Ende für geschätzte hundert Millionen Euro verkaufen konnte. Evertz schaffte den Absprung gerade noch. Und hat flugs vom Urlaubsdomizil Sylt nach St. Moritz gewechselt. Seither veräussert er Immobilien auf Salastrains. Beispielsweise eine «nette, feine Wohnung, sicherlich die höchstgelegene im Dorf», wie Hans-Olaf Henkel das Schmuckstück beschreibt. Für umgerechnet 2,3 Millionen Franken hätte sie Henkel, früherer Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, vielleicht genommen. Der Preis kletterte weiter, und Henkel musste aus dem Bieterrennen aussteigen. Andere haben längst eine Bleibe im Engadiner Dorf gefunden. Unterhalb des Zielgebiets der Ski-WM, am Suvretta-Hang, konzentrieren sich die Reichsten der Reichen. Dort stehen ihre Villen. Dort leben sie. Normalerweise. Derzeit halten sie es wie die Evertz, die wenig mit dem Skirummel anfangen können. Spätestens Anfang Februar werden sie anderswo sein, ihre Saison ist bereits beendet. Die Agnellis, Guccis, Heinekens und die anderen millionen- bis milliardenschweren Villenbesitzer im nobelsten Quartier der Schweiz meiden für einmal die Alpenstadt. Wer sich für alpine Prunkarchitektur interessiert, dem bietet sich deshalb im Februar die ideale Gelegenheit. Nie lässt es sich so unbekümmert durch die Villengegend streifen und die aufgeblasenen Engadiner Häuser studieren wie während der Ski-WM. Im zweiwöchigen Skispektakel gehen aufmerksame Architekturwanderer in der Menschenlawine unter, die sich ins unmittelbar angrenzende Zielgelände Salastrains ergiesst; 30 000 Zuschauer werden es an Spitzentagen sein. Auch die Szenen am Rand des sportlichen Wetteiferns sind nicht nach dem Geschmack der vornehmen Gäste. Statt Champagner und Lachs werden Bier und Bratwürste serviert, wie am Grillstand vor der Chesa Chantarella. Indes, ganz ohne vornehme Gaumenfreuden geht es auch in der «skiverseuchten» Zeit dann doch nicht überall zu und her. Als VIP-Caterer tritt das Casino Luzern an. In einem 130 Meter langen und 40 Meter breiten Zelt haben Sponsoren und Mäzene im Zielgebiet für je 45 000 Franken eine der siebzig Logen gemietet. Casino-CEO Beat Rauber und Projektleiter Thomas Haupt bewirten täglich 10 000 Personen bei edlem Frühstück und Mittagessen. Das gehört sich so in St. Moritz, vermag jedoch die Villenbesitzer nicht zu trösten. Vergeblich hatten sie sich gegen die Grossveranstaltung gestemmt und Einsprache erhoben gegen die Verbreiterung der Via Alpina, die durch den Hang führt. Auf dieser Strasse wird der Verkehr vom Zielgebiet zurück nach St. Moritz rollen, alle sieben Minuten ein Personenbus, zudem 50 Kleinbusse für Journalisten und Sponsoren sowie unzählige Fahrzeuge mit Betreuern und Prominenten. Ein Führer durch den Reichtum Zeit also für einen Spaziergang durch den Suvretta-Hang. Wer sich abseits der Ski-WM zuverlässig im Nobelquartier orientieren möchte, sollte vorgängig die Mitgliedschaft bei Pro Suvretta St. Moritz beantragen, dem Verein, der «dahin wirkt, die Region Suvretta und Oberalpina als Ruhe- und Erholungszone im gegenwärtigen naturgegebenen Rahmen zu erhalten». Für eine Jahresgebühr von 100 Franken kommt man in den Besitz einer vollständigen Liste der Villenbesitzer samt Adresse und Telefonnummer. Zweckmässig ist zudem ein Ortsplan der Gemeinde St. Moritz, Massstab 1:5000. Mit diesen Hilfsmitteln ausgerüstet, lassen sich die Ferienresidenzen ansteuern. Es mangelt nicht an bekannten Namen. Aus Italien oder dem Tessin sind Agnellis, Guccis, Bassanis, Mantegazzas da, aus Deutschland neben vielen anderen Unternehmensberater Roland Berger, Karl Otto Pöhl, Verleger Hubert Burda, Heidi Horten (Witwe des Kaufhauskönigs Helmut Horten) oder Joachim Herz (Tchibo). Selbstverständlich ist die Schweizer Wirtschaftsprominenz vertreten. Hans Imholz, die Familie Hirschmann (Jet Aviation), Klaus J. Jacobs oder Walter Kielholz residieren schon länger am Hang. Vor zwei Jahren hat sich Ex-CS-Chef Lukas Mühlemann eine standesgemässe Unterkunft erbauen lassen. Jüngst zugezogen ist der Textilunternehmer Jochen Holy, der mit der Firma Strellson nach Höherem strebt. Gottlieb Knoch hat ein paar der Millionen Franken, die er mit dem Verkauf seiner Bachem-Aktien verdient hat, in einen wuchtigen, mit Holzriemen eingekleideten Kubus gesteckt, dessen grossspuriger Eingang es mit einem Grandhotel aufnehmen kann. Es ist ein exklusives Hobby, das der Geldadel hier in Suvretta pflegt. Für bevorzugte Parzellen werden Quadratmeterpreise bis zu 4000 Franken bezahlt; bezogen auf die geringe Ausnützungsziffer, werden nirgends in der Schweiz höhere Werte erzielt. Der Villenhang im Oberengadin kennt keine Rezession. So hat alles begonnen Mit ein paar Ausnahmen standen bis zum Zweiten Weltkrieg nur ein paar Ställe am Suvretta-Hang, erinnert sich Heinrich Schneider, ehemaliger Chef des Vermessungsamtes von St. Moritz und heute 92-jährig. Noch 1955 sei der Boden zu fünf Franken der Quadratmeter verkauft worden, sagt Schneider. «Das waren noch Magerwiesen, auf denen Kühe weideten.» Bis in die Siebzigerjahre schnellten die Preise aber in die Höhe, und Schneiders Arbeit wurde genau beobachtet, denn die Dicke seines Bleistifts, mit dem er die Parzellen einzeichnete, entschied über Quadratmeter und konnte einem Verkäufer ein paar Tausend Franken mehr einbringen. Bewegung war nach dem Zweiten Welt-krieg nach Suvretta gekommen. Zu jenem Zeit-punkt war St. Moritz überschuldet und stand unter Kuratel des Kantons, das gleiche Schicksal, das fünfzig Jahre später Leukerbad ereilen sollte. In der Hoffnung, neue Steuerzahler anzuziehen, schuf die Gemeinde eine Siedlung im lichten Lärchen- und Fichtenwald. Die Grundstücke durfte nur erwerben, wer sich verpflichtete, innert zweier Jahre zu bauen und so dem lokalen Gewerbe zu Arbeit zu verhelfen. Wer damals zugriff, konnte sein Geld leicht vermehren. Die Familie Pieper machte es vor: Die Franke-Küchenbauer zählten zu den ersten Grundstückbesitzern. Heute haben die Geschwister Michael, Ronald und Beatrice je ein eigenes Haus. Warum konzentriert sich die Prominenz aus dem In- und Ausland gerade an diesem einen Ort? Wirtschaftsprofessor Jörg Baumberger von der Universität St. Gallen spricht vom Snob-Effekt. «Die Leute haben einen positiven Einfluss aufeinander. Das funktioniert wie ein Netzwerk – je mehr Millionäre und Milliardäre angeschlossen, desto attraktiver wird es, dabei zu sein.» Nebst dem Auto und der Villa am festen Wohnsitz ist das passende, zehn bis zwanzig Millionen Franken teure Ferienhaus vonnöten, um in dieser Gesellschaft seinen Platz zu markieren. Der Suvretta-Hang zeichnet sich durch seine bevorzugte geografische Lage aus. Abgesehen von der sprichwörtlichen Engadiner Höhenluft ist der Hügel präzise nach Süden ausgerichtet, was auch im Winter reichlich Besonnung und einen Blick auf Champfèrer- und Silvaplanersee garantiert. Schliesslich kommen sich die Hausbesitzer im Verein Pro Suvretta oder bei einem Drink im Nobelhotel Suvretta House nahe genug, um miteinander Geschäfte abzuschliessen. Der Italiener Luca Bassani kann hier seine exklusiven Jachten, die er baut, unter die Leute bringen. Wirtschaftsanwälte wie Peter Hafter oder Jean-Claude Wenger finden ihre Klientel ebenso wie der Finanzberater Hans C. Bodmer. Doch das harmonische Bild trügt. Untereinander geraten die Anwohner regelmässig aneinander. «Sobald jemand im Besitz einer Baubewilligung ist und seine Parzelle ausbauen kann, gönnt er keinem seiner Nachbarn mehr etwas», sagt der Architekt Werner Wichser, der seit über dreissig Jahren in Suvretta baut. Mit Argusaugen werden die Nachbarn beobachtet und mit Einsprachen eingedeckt, um Ausbauten zu verhindern oder wenigstens um ein paar Jahre zu verzögern. Der «Ferienhausegoismus», wie es Wichser nennt, führt dazu, dass der eine die im Garten aufgestellte Eisenplastik entfernen muss, um im Gegenzug einen Neubau zu verhindern, der in 200 Metern Entfernung geplant ist. Nach aussen gibt man sich auf dem Millionenhügel weltmännisch grosszügig – ist aber der eigene Besitz tangiert, so regiert ein biedermännischer Reflex, wie er in jeder Einfamilienhaussiedlung im Unterland anzutreffen ist. Aufregung herrscht in St. Moritz auch über den architektonischen Stil. Liebhaber von Engadiner Häusern treffen auf die Verfechter moderner Bauten. Mit den überdimensionierten Imitationen, die entfernt an Bauernhäuser erinnern, hat man sich abgefunden, nun erregen andere Formen die Gemüter. Zum Beispiel die Chesa Futura, für die der Investor und Hotelbesitzer Urs Schwarzenbach den englischen Weltarchitekten Lord Norman Foster beauftragt hat. Das mit 250 000 Holzschindeln verkleidete Riesenei hält mitten im Dorf zehn exklusive Eigentumswohnungen bereit. Für Werner Wichser ist es eine «Katastrophe». Dasselbe Urteil gibt er über den Neubau von Lukas Mühlemann ab, den er abschätzig als «Trutzburg» bezeichnet: «Bis in die Neunzigerjahre hat Einigkeit über den Stil geherrscht. Jetzt macht jeder, was er will.» Kein Architekt hat in den letzten Jahren in Suvretta mehr gebaut als Werner Wichser, der typische Vertreter einer pseudoalpinen Architektur. «Ich pflege einen Mix aus traditionellen Elementen, solidem Mauerwerk, aufgelockert mit grossen Glasfenstern, modernster Haustechnik.» Kubische Architektur ist ihm ein Gräuel, mehr hält er von «lebendiger Volumengestaltung und einer prägnanten Dachlandschaft». «Die meisten finden ein Engadiner Haus schön, egal, ob es echt ist oder nicht», sagt die Bündner Kunsthistorikerin Dora Lardelli. Einzig die Fassade muss traditionell wirken, innen werden die Gebäude ausgehöhlt. Nostalgie werde gross geschrieben, meint Lardelli, «man will sich einbetten in eine Welt, die es nicht mehr gibt». Beispielhaft zeigt sich die gepflegte Sentimentalität bei Klaus J. Jakobs. Was seine Unternehmen betrifft, gibt sich der Milliardär vorausblickend und international, architektonisch pflegt er mit Erker und Sgraffito hingegen ein Kontrastprogramm. Weniger Widerstand zieht auf sich, wer konsequent unterirdisch baut. So durchziehen Tunnels, Schräglifte und Tiefgaragen den Hang. Der deutsche Reeder Henry Franklin Aschpurwis liess sich aus Furcht vor einem kriegerischen Angriff gleich einen grosszügigen Bunker in den Berg bauen, der italienische Industrielle Augusto Perfetti hat sich im zweistöckigen Tiefgeschoss eine Disco und ein Privatkino geleistet. Und der Schiffsbauer Luca Bassani kann sich im eigenen Squash-Raum oder im Hallenschwimmbad, das mit einer Unterwasserstereoanlage ausgestattet ist, fit halten. Besondere Anforderungen technischer Natur stellte sein Autolift: Dieser hätte schlicht die Lichter im ganzen Quartier ausgehen lassen, wäre er kalt in Betrieb genommen worden. Doch Bassani hat die Sonne angeknipst. Eine eigene Trafostation hat sein Energieproblem lösen können – und das des Vereins Pro Suvretta.

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DER HANG ZUM CHALET Der Suvretta-Hang kennt keine Rezession. Wo einige der Reichsten in St. Moritz wohnen und bis zu 4000 Franken pro Quadratmeter bezahlt haben. 1 Adrian Urfer und René Marti, Ärzte der Gut-Klinik, St. Moritz 2 Beatrice Pieper, Küchenbauer-Dynastie (Franke) 3 Luca Bassani, italienischer Bootsbauer 4 Joachim Herz, deutscher Industrieller (Tchibo) 5 Hans C. Bodmer, Zürcher Privatbankier 6 Evangelisches Zentrum Randolins 7 Familie Gucci, Erben des italienischen Modemachers 8 Albert Schellenberg, Wirtschaftsanwalt 9 Familie Niarchos, griechische Reeder 10 Gottlieb Knoch, Chemieunternehmer (Bachem) 11 Hanspeter Osterwalder, Ostschweizer Brennstoffhändler (Avia) 12 Klaus J. Jacobs, Grossindustrieller (Barry Callebaut, Adecco) 13 Jochen Holy, Textilunternehmer (Strellson) 14 Bruno Bischofberger, Zürcher Galerist 15 Restaurant Chasellas-Suvretta 16 Seilbahn Suvretta–Randolins 17 Alexander von Boch, Miteigentümer des Keramikkonzerns Villeroy & Boch 18 Lukas Mühlemann, ehemaliger CS-Chef  20 Udo van Meeteren, deutscher Industrieller 21 Hans Imholz, Gründer von Imholz Reisen 22 Familie Hirschmann, Fluggesellschaft Jet Aviation 23 Familie Schickedanz, deutscher Detailhandel (KarstadtQuelle) 24 Antonio Bassani, italienischer Industrieller 25 Heidi Horten, Witwe des deutschen Kaufhauskönigs Helmut Horten 26 Giovanni Agnelli, Fiat-Besitzer 27 Schah-Villa, im Besitz des Financiers Urs Schwarzenbach 28 Marc Rich, Zuger Rohstoffhändler 29 Sergio Mantegazza, Tessiner Tourismus- und Immobilienunternehmer 30 Villa Onassis, Erben von Tina Onassis 31 Walter Kielholz, neuer VR-Präsident Credit Suisse 32 Alexander Hackel, ehemaliger Geschäftspartner von Marc Rich 33 Hotel Suvretta House 34 Michael Pieper, Küchenbauer (Franke) 35 André van Gils, niederländischer Financier 36 Gästehaus Familie Heineken 37 Familie Heineken, niederländische Bierbrauer