Klein und geheim: Für erotische Darstellungen entwickelte sich insbesondere mit dem «Zeitalter der Galanterie», das sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts von Frankreich aus in den nobleren Schichten Europas verbreitete, eine diskrete, aber stete Nachfrage. Grosse Gemälde eigneten sich weniger für Frivolitäten, man wollte ja seine Besucher nicht schockieren. Doch wo ein Markt ist, ist auch ein Wille. Also wichen die Künstler auf Miniaturen aus, auf Medaillons, Schnupftabak- und Pillendosen – und selbstverständlich auf Taschenuhren.

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Mit ihren Klappdeckeln eigneten sich diese besonders gut für versteckte Bildchen, die man nur im kleinen Kreis herzeigte. Mit dem Aufkommen erotischer Literatur (Casanova, 1725–1798; Marquis de Sade, 1740–1814) wurde das Thema angeheizt. Es sollte – bis heute – nicht mehr zu stoppen sein.

Wunsch nach Exklusivität

Frühe Uhren waren sehr teuer und nur einer wohlhabenden Kundschaft zugänglich. Mit dem Aufkommen rationellerer Produktionsmethoden wurden die Uhren erschwinglicher, sie waren nicht mehr nur dem Adel vorbehalten. Folglich wünschten sich die Reichen exklusivere Uhren, bei denen die Zeitmessung zur Nebensache verkam. Ein Trend, der übrigens bis heute anhält und nicht zuletzt der Schweizer Uhrenbranche zu volkswirtschaftlich relevanten Umsätzen verhilft.

Galanterie und der Wunsch nach Exklusivität ergaben also einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung von erotischen Uhren. Findige Uhrmacher realisierten, dass man Mechanismen, die man für Schlagwerke benutzt, auch zur mobilen Darstellung von Körperbewegungen umnutzen könnte. Ein klassischer Frühfall von Dual Use also. Besonders pikant: Die Uhr symbolisierte auf der einen Seite Disziplin, Pünktlichkeit und Ordnung, auf der anderen Seite wurde sie mit ihrer erotischen Zusatzfunktion zur Verkörperung von Hemmungs- und Zügellosigkeit.

Sofort ein Thema für die Kirche

Wie heikel diese Doppelbödigkeit damals war, zeigte sich darin, dass die meisten Hersteller ihre Uhrenmodelle nicht signierten. Bald schon blieb den gestrengen Sittenwächtern der klerikalen Kreise nicht verborgen, was sich da unter Uhrendeckeln so abspielte. 1816 wandten sich Pfarrer aus den Uhrenhochburgen Le Locle sowie La Chaux-de-Fonds an die Regierung mit der Bitte, die Hersteller zum Verzicht auf Produktion und Handel mit diesen Uhren zu bewegen.

Man fürchtete nicht zuletzt um die Moral des Personals in der Uhrmacherei, die oft mit Heimarbeit verbunden war. Eine eigens eingesetzte Kommission ging der Sache gründlich nach. Es geht heute das Gerücht um, dass sich insbesondere Gendarmen am meisten an den beschlagnahmten Uhren ergötzt haben sollen.

Nicht der Konkurrenz überlassen

Ein weiterer wirtschaftlicher Grundsatz, der oft noch heute Gültigkeit hat, gelangte in der Folge zur Anwendung: Wenn wir die Uhren nicht mehr bauen, baut sie die Konkurrenz auf der anderen Seite des Doubs. Kein Wunder, wollte man nicht auf das Marktsegment erotische Uhren und den damit verbundenen Umsatz verzichten, die heisse Ware wurde schliesslich in die ganze Welt geliefert.

Man bat also wenigstens um Diskretion, wenn sich die schändlichen Mechaniken denn schon nicht verhindern liessen. Diese wird übrigens bei den erotischen Uhren bis heute einigermassen eingehalten, mehr dazu später. Was dann wirklich produziert wurde, ist teilweise deftiger Natur.

Ausnahmslos Männerphantasien

Fast ausnahmslos sind es Männerphantasien, die teilweise mit sehr viel Liebe zum Detail umgesetzt wurden. Die Uhren zeigen meist heterosexuelle Paare beim Akt, allenfalls sich selbst berührende Damen, jedoch keine Männerpaarungen – das wäre dann des Guten doch zu viel gewesen. Sehr beliebte Sujets sind übrigens als Nonnen verkleidete Männer oder lüsterne Priester, die sich im Kloster vergnügen.

Kirchenvertreter zur Weissglut – oder vielleicht auch deren Blut in Wallung – gebracht haben dürfte beispielsweise ein Modell des legendären Uhrmachers Henry Capt aus dem Jahr 1810, bei dem sich ein Mönch und eine Nonne unter den wachsamen Augen eines Heiligenbilds äusserst explizit vergnügen, bewegt dargestellt mit einem Automatenmechanismus, aber nur unter dem Deckel sichtbar. Ein zweiter Mechanismus auf der sichtbaren Frontseite der Uhr zeigt harmlose Musikanten und Vögelchen in idyllischer Landschaft.

Das schlüpfrige Sammlerstück erzielte im März 2013 beim Auktionshaus Antiquorum in Genf einen Erlös von 146'500 Franken. Capts Automaten, die Mehrzahl davon übrigens nicht-erotischer Art, sorgen bei Uhrenauktionen immer wieder für Top-Resultate. Bei Antiquorum finden sich in der Datenbank vergangener Auktionen nicht weniger als 400 Uhren erotischer Natur. Grosse Namen sind dabei: Blancpain, Breguet, Bovet, Corum, Reuge, Ulysse Nardin.

Erotische Musik-Taschenuhr von «Reuge»

Auch zeitgenössische Exemplare sind vertreten

Bei Weitem nicht alle erotischen Uhren allerdings stammen aus antiker Produktion. Mehrere zeitgenössische Exemplare sind vertreten. Gleich zwei kleinere Genfer Uhrenhersteller, beide übrigens Mitglieder der renommierten Uhrmachervereinigung AHCI (Association des Horlogers et Créateurs Indépendents), tun sich in dieser Disziplin besonders hervor: Antoine Preziuso und der in Genf lebende Däne Svend Andersen. Beide stellen weiterhin erotische Uhren her.

Andersen präsentierte seine erste Eros 1997, sie enthielt einen ausgeklügelten Mechanismus, der mehr Animation als bei den antiken Vorbildern ermöglichte. Für einiges Aufsehen sorgte eine kleine Serie Andersens aus dem Oval Office (damals von Scherzkeksen auch in «Oral Office» umbenannt), bei der die legendäre Szene zwischen Bill Clinton und seiner Praktikantin «That woman, Miss Lewinsky» bildlich und bewegt interpretiert wird.

Einem Sammler war eines dieser Stücke 2010 an einer Antiquorum-Auktion immerhin über 30'000 Franken wert. Ein stattlicher Betrag, wenn man sich die künstlerisch eher etwas naive bildliche Umsetzung vor Augen führt. Andersens und Preziusos Uhren präsentieren sich allesamt auf der Vorderseite harmlos – erst wenn man sie umdreht oder zusätzlich auf der Rückseite noch einen Sprungdeckel öffnet, zeigt sich die wahre Natur.

Meist in keinem Katalog

Ebenfalls immer noch im aktuellen Programm ist der Erotic Hourstriker der Le Locler Manufaktur Ulysse Nardin – bloss wird er in den offiziellen Katalogen nicht gezeigt. Rolf Schnyder, der 2011 verstorbene Patron von Ulysse Nardin, galt selber nicht als Kostverächter, da war es naheliegend, dass in seiner Kollektion immer die eine oder andere Form von erotischem Zeitmesser vertreten war.

Für das aktuelle Modell muss man einen sechsstelligen Betrag aufwerfen, allerdings erhält man dafür auch ein Stück grosse Uhrmacherkunst. Es handelt sich um eine Sonnerie en passant, bei der der komplexe Mechanismus zur halben und vollen Stunde automatisch ausgelöst wird. Auch die zur Swatch Group gehörende Firma Blancpain bietet nach wie vor Uhren mit erotischen Funktionen an, allesamt Einzelstücke, die auf Kundenwunsch gefertigt werden.

Wenn der frivole Oligarch oder der lüsterne Magnat also eine Vorliebe für bestimmte Sujets hat, kommt er bei den Uhrmachern aus Le Brassus auf seine Rechnung. Die Blancpain-Erotikuhren sind mit einer Minutenrepetition und einem Caroussel kombiniert und schlagen mit rund 450'000 Franken zu Buche. Über Stückzahlen und Lieferfristen sind Blancpain keine Informationen zu entlocken. Und auch beim Bildmaterial wird höchste Zurückhaltung gepflegt.

«Stützli»-Sex bei Perrelet

Etwas günstiger gelangt man beim Bieler Nischenplayer Perrelet zu erotischen Inhalten am Handgelenk. Bei der Kollektion Turbine rotiert ein turbinenartiger Flügel über dem Zifferblatt, wenn die Uhr bewegt wird. Durch die so entstehenden kleinen Sehschlitze wird mit einer Art stroboskopischem Effekt der Blick auf das darunterliegende Bild freigelegt. In der Serie Turbine Erotic sind das japanische Manga-Comiczeichnungen, sogenannte Hentai-Bilder, die im asiatischen Kulturkreis eine lange Tradition haben und dort sehr beliebt sind. Die Freizügigkeit der von Perrelet angebotenen Sujets hält sich allerdings im Rahmen, verglichen mit dem, was bei den älteren Vorbildern erotischer Uhren geboten wird.

Die erotische Uhr wird also wohl weiterhin in ganz kleinem Umfang hergestellt werden, solange es eine Kundschaft dafür gibt. Trotz Smartphone und Erotikseiten im Internet. Das Medium gedrucktes Papier erlaubt es leider nicht, die Funktionsweise der erotischen Automatons aufzuzeigen. Eine einschlägige Suche auf You-Tube bringt rasch mehrere Resultate.