Die Konzertbühne ist absurd gross für den Mann mit Sonnenbrille, schwarzem Hemd und dunklen Jeans. Dann aber stellt er sich breitbeinig hin, umklammert das Mikrofon, ruft zu den 20’000 Zuschauern in die Halle: «Denkt ihr nicht, dass die bestgeführten Unternehmen der Welt, den besten Entertainer verdienen?» Applaus. Er hält inne. Setzt erneut an: «Seid ihr bereit für Justin Timberlaaaaaake?» Schreit, reisst die Arme in die Luft und brüllt «Let’s go baby! Justin gib uns die Show deines Lebens!»

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Das eben war kein Rockstar. Auf der Bühne stand der Chef eines deutschen Konzerns. Bill McDermott führt seit 2010 das Softwareunternehmen SAP. Und er liebt es, seine wichtigsten Mitarbeiter mit Partys zu Höchstleistungen anzutreiben. Mit dem Konzert des US-Popstars krönte er eine dreitägige SAP-Messe, die freilich nicht am Hauptsitz im beschaulichen Walldorf stattfand, sondern in der amerikanischen Entertainment-Metropole Orlando.

Umsatz mehr als verdoppelt

Die nüchternen deutschen Software-Entwickler haben sich längst gewöhnt an ihren Chef, den Showman aus New York. Ihn auch schätzen gelernt.

McDermott verlieh dem soliden, aber trägen Unternehmen Schub: Vor seiner Zeit kroch der Umsatz von 7,3 Milliarden Euro (2001) auf 10,6 Milliarden (2009). Seit McDermott übernahm, die ersten vier Jahre noch Seite an Seite mit dem damaligen Co-Chef Hagemann Snabe, hat sich der Umsatz mit zuletzt 23,4 Milliarden mehr als verdoppelt.

Auch der Aktienkurs schoss hoch: von 24 Euro auf 112 Euro. SAP ist mit einem Börsenwert von 122 Milliarden Euro das wertvollste Unternehmen im deutschen Leitindex DAX – vor Siemens, Allianz und Bayer.

Bill McDermott

Seit 2010 ist Bill McDermott CEO von SAP. Bereits mit 17 Jahren machte er sich selbstständig, baute während Schule und Studium sein eigenes kleines Unternehmen auf, das er später erfolgreich verkaufte. Er wechselte zum Drucker-Hersteller Xerox, ehe er im Jahr 2000 zum Marktforschungsunternehmen Gartner wechselte. Dort machte McDermott Karriere, wurde jüngster Corporate Officer und Geschäftsbereichsleiter, ehe er im Jahr 2000 zum Marktforschungsunternehmen Gartner wechselte. Nach einem Jahr als Executive Vice President beim Softwarehersteller Siebel Systems, wurde SAP-Gründer Hasso Plattner auf ihn aufmerksam. 2002 wurde McDermott CEO von SAP America, 2010 Co-Chef des Gesamtkonzerns und seit 2014 ist er alleiniger Chef.

 

Bill McDermott
Quelle: Keystone

SAP verschiebt den Fokus

Klar ist das nicht genug. Nicht für McDermott, der in Superlativen denkt. Anvisiert hat er einen Platz auf Augenhöhe mit Microsoft, Apple und Google. SAP als europäisches Gegengewicht zu den US- Techgiganten. Sein Plan: Den Börsenwert auf 300 Milliarden hochpeitschen. Helfen soll das wachsende Cloud-Geschäft und eine neue Lösung, die er in Orlando präsentierte. Und mit der SAP den Fokus verschiebt. Doch der Reihe nach.

Erfolgreich wurde das 1972 gegründete Unternehmen, indem es die Buchhaltung digital machte. Heute ist der Konzern unbestrittener Weltmarktführer in der Sparte Enterprise-Resource-Planing (ERP) – Software zur Steuerung eines Unternehmens; von Materialwirtschaft bis zu Personalwesen und Buchhaltung.

Entscheidend ist CRM

Für die Zukunft entscheidend ist jedoch die Sparte Customer Relationship Management (CRM). Während ERP das Backoffice eines Unternehmens ist, gilt CRM als Frontoffice. Hier laufen sämtliche Kundenbeziehungen zusammen: Marketing, Verkauf, Analyse der Kundendaten, Auftragserfassung. Laut Zahlen des Marktforschers Gartner wuchs der CRM-Markt 2017 auf knapp 40 Milliarden Dollar und soll bald das Datenbankgeschäft überholen und zum grössten Softwaremarkt avancieren.

Das Problem: In diesem Bereich hinkt SAP hinterher. Der amerikanische Konkurrent Salesforce dominiert mit einem Marktanteil von 19,6 Prozent. SAP liegt mit einem Anteil von 6,5 Prozent auf Platz drei hinter Oracle (7,1 Prozent).

McDermott und Trump

Bill McDermott (links) am Business-Dinner mit US-Präsident Donald Trump am diesjährigen WEF in Davos.

Quelle: Keystone

So will McDermott Konkurrent Salesforce überholen

McDermott jedoch ist überzeugt, Salesforce zu überholen, wie er zu erkennen gibt: «SAP hat den Status quo bei CRM nie akzeptiert und ändert ihn jetzt vor allen anderen», sagt er auf der Bühne in Orlando und erklärt: Ein normales CRM habe nicht den einzelnen Kunden in Sicht, es fokussiere sich bloss auf den Verkauf. Nun breitet er seine Arme aus, schüttelt sie, holt Luft und sagt: «It’s Time to change!»

Die neue Software konzentriere sich voll auf den Endkunden. Sie soll die Anwendung so einfach machen wie möglich. SAP drehe den Spiess um: Die neue Losung heisst nicht mehr Business to Customer, sondern Customer to Business. Nicht nur das hat McDermott von Apple abgeschaut, auch die Show, wenn es darum geht, neue Produkte zu vermarkten. Fast schreiend verlautet er den Namen der neuen Software: «C/4 Hana», und wiederholt: «C/4 Hana».

Die neue Software bündelt mehrere bestehende SAP-Lösungen unter einer Marke, etwa Cloud for Customer, Gigya, Calli- dus Cloud und Hybris. Neu korrespondieren die Anwendungen besser untereinander und greifen auf denselben Datenbestand zu. Das soll für Online-Shops das Kauferlebnis der Endkunden verbessern, den Prozess vereinfachen und schneller abwickeln.

«Er hat die richtigen strategischen Schritte eingeleitet und rastet nie.»

Andreas Wolf, Analyst Warburg Research

SAP hat noch Potenzial

Andreas Wolf, Analyst bei Warburg Research, sieht es positiv, dass SAP sich auf den wachsenden CRM-Markt fokussiert. Zwar sei Salesforce noch klarer Marktführer. «SAP hat jedoch noch Potenzial, die Wahrnehmung bei den Kunden in diesem Markt zu steigern. Im zweiten Quartal ist SAP mit C/4 HANA bereits dreistellig gewachsen.»

McDermott tue SAP gut, findet Wolf: «Er hat die richtigen strategischen Schritte eingeleitet und rastet nie. Er setzt immer weitere ambitionierte Ziele, die SAP zu Wachstum verhelfen.» Mit dieser Strategie startete er seine Karriere beim Kopiererhersteller Xerox: McDermott stieg vom Studienabgänger auf zum jüngsten Bereichsleiter, getrieben von ehernem Arbeitseifer und unerschütterlichem Optimismus. Nachzulesen ist sein Aufstieg aus der Arbeiterklasse in seiner Biografie «The Winners Dream».

Sonnenbrille trägt er nicht aus Spass

Dabei wäre der Karriere-Traum fast geplatzt: Es war im Sommer 2015 als er in den USA alleine im Haus seines Bruders war. Mit einem Wasserglas in der Hand geht er nachts die Treppe hinunter, stürzt und landet mit dem Gesicht in den Scherben. Ein Splitter dringt in sein linkes Auge. Er verliert das Bewusstsein und viel Blut. Als er zu sich kommt, schleppt er sich mit aller Kraft auf die Strasse, hofft, dass ihn jemand findet. Sein erster Anruf nach der Intensivstation soll laut «Süddeutscher Zeitung» seinem Mentor Hasso Plattner, SAP-Mitgründer und VR-Präsident, gegolten haben: «Ich arbeite jetzt wieder!»

Die Ärzte mussten McDermotts linkes Auge entfernen. Seither trägt er eine Sonnenbrille. Heute ist sie sein Markenzeichen. Gegenüber «CNBC» schilderte er, wie ihm der Unfall geholfen habe, in turbulenten Situationen Ruhe zu bewahren: «Wenn sich die Dinge für alle anderen beschleunigen und hektisch werden, nehme ich sie viel langsamer wahr. Ich sehe die Ereignisse dann in Zeitlupe.» Chaotische Zustände durchblicke er nun besser und finde schneller geeignete Lösungen. McDermott besitzt nun quasi eine Superkraft.

Und die wird er nötig haben, will er die hochtrabenden Ziele erreichen und zu Apple aufschliessen. Während der Aktienkurs von SAP zuletzt sank, schiesst jener von Apple in immer absurdere Höhen und durchbrach jüngst die Marke von einer Billion Dollar. Einer wie McDermott dürfte das aber kaum beeindrucken.