Der 35-jährige Mann mit den halblangen Haaren liebte Kunst, Autos sowie Zigaretten. Und er hatte einen Traum: Er wollte unbedingt am legendären 24-Stunden-Rennen in Le Mans teilnehmen – nicht als Privatmann, wie er später betonte, sondern «als Werksfahrer mit der Infrastruktur einer grossen Firma».

Der Mann hiess Hervé Poulain, er war von Berufes wegen Kunst-Auktionator, und in der Freizeit fuhr er gerne Rennen. Seine Idee: Weltberühmte Künstler bemalen einen Rennwagen, der dann tatsächlich an Rennen gefahren wird. So würde die Kunstwelt mit der Autowelt verbunden. Und vor allem: So würde er, Hervé Poulain, es endlich ans Steuer eines Rennwagens in Le Mans schaffen.

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Von Alexander Calder bis Jeff Koons

Tatsächlich brachte ihn die Idee auf die Rennstrecke. Vor allem aber, das konnte damals noch niemand ahnen, war sie die Zündung für eine der grossartigsten Kunst-Operationen der jüngeren Geschichte. 17 Autos haben weltberühmte Artisten wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Jenny Holzer und Jeff Koons seit 1975 bis heute für den bayrischen Autobauer BMW bemalt und zu Art Cars gemacht – der Erste war Alexander Calder.

Für den 35-jährigen Hervé Poulain, der schon damals exzellente Kontakte zur Kunstwelt verfügte, begann die Sache 1975 allerdings harzig. Alexander Calder brauchte er nicht lange zu beknien, der vorab für seine Riesen-Mobiles bekannte Künstler war von der Idee begeistert und sagte sehr schnell zu. Doch in der Automobilbranche biss Poulain zunächst auf Granit. «Wer ist denn dieser Calder?», fragte der Rennleiter einer grossen französischen Marke zum Beispiel.

Der gute Tipp

Entmutigt wandte sich Hervé Poulain an Jean Todt, den ehemaligen Rennfahrer, Formel-1-Teamchef und bestvernetzten Mann der Rennwelt. Der, so berichtet Poulain in seinem Buch «Mes Pop Cars», kannte Calder zwar auch nicht so richtig, hatte aber einen Rat: «Wenn dieser Künstler wirklich so wichtig ist, wie du sagst, dann gibt es nur einen Rennsportleiter, der das zu schätzen wissen wird, Jochen Neerpasch, der Patron von Motorsport bei BMW. Komm, wir rufen ihn an.»

Es war der entscheidende Tipp. Und der Beginn einer erfolgreichen Fortsetzungsgeschichte für BMW. Philippe Dehennin, CEO und Präsident von BMW Schweiz, sieht sich heute angesichts der Art Cars an die «universelle Energie und ewige Bewegung» erinnert. Ein Meisterwerk unserer Generation – «schnell wie das Licht und subtil wie die Luft, die wir einatmen». Und man finde darin überdies die Freude und Freiheit, die zur Haltung von Hervé Poulain und der involvierten Künstler gehöre.

«Ich schicke Ihnen den Vertrag»

Er habe, bedauerte bei BMW Jochen Neerpasch zunächst allerdings, alle verfügbaren Autos in den USA. Doch kurz danach kam telefonisch die Zusage: «Ich schicke Ihnen den Vertrag.» Die schriftliche Abmachung ist bemerkenswert. «Ich brachte den Künstler und BMW das Auto», sagt Poulain. Und: «Kein Sponsoring durfte, wenn ich so sagen darf, den Wagen oder das Kunstwerk verunstalten.» BMW war überdies für die Wartung des Autos zuständig, übernahm die Kosten für das Château, in dem das Rennteam während der Rennwoche wohnte, stellte die Mechaniker und organisierte den Transport der Wagen. Hervé Poulain durfte das Auto für das Rennen auf seinen Namen registrieren – eine Anerkennung dafür, so erinnert er sich, «dass es meine Idee war». Und vor allem: Poulain durfte das Auto fahren, mit Sam Posey und Jean Guichet im Piloten-Team. Das Auto war ein BMW 3.0 CSL mit Sechszylinder-Reihenmotor, 3,5 Liter, 430 PS stark. Höchstgeschwindigkeit: 270 Kilometer pro Stunde. Damals eine Rakete.

Am 29. Mai 1975 fuhr der Calder-BMW zunächst im Musée des Art Décoratifs an der Rue de Rivoli 107 in Paris ein – so etwas hatte bislang kein Auto geschafft. Das Vorwort zum Katalog schrieb der mit dem Prix Goncourt dekorierte Literat Pierre Gascar. Hervé Poulains Idee war mithin definitiv zur Kunst geadelt: Kunst, wenn der Begriff erlaubt ist, mit Benzin im Blut.

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