Wo findet man das sonst noch? Heute gilt schon als anrüchig, wer einen Motor mit mehr als vier Zylindern herumsteuert und dessen Pferdestärken das 150-PS-Limit übersteigen. Eine Ausnahme machen die von den Amerikanern liebevoll Muscle- Cars genannten Autos. Diese hatten in den 50er- bis 70er-Jahren, als Wachstum und Erdölressourcen noch grenzenlos schienen, ihre besten Zeiten.
Weil heute aber jeder Deziliter Treibstoff beim Verbrauch zählt, ernten Lenker öfters missbilligende Blicke, wenn sie einen Camaro über Schweizer Strassen chauffieren. Dennoch: Diese Art Autos übt selbst in der sich so sehr um politische Correctness im Umweltbereich bemühenden Schweiz eine starke Faszination aus – wie fast alles Technische, das für Kraft und Geschwindigkeit steht. Sonst liessen sich auch die Grossaufmärsche bei Motorsportveranstaltungen oder Flugmeetings wohl nicht erklären.
Wer sich hinter das Steuer eines Camaro setzt, der spürt die von diesem Wagen ausgehende Faszination spätestens dann, wenn sich das V8-Aggregat mit seinen blubbernden bis grollenden Tönen meldet. Diese «Musik» ist heutzutage in der Autowelt fast ausgestorben. Setzt man den Wagen in Bewegung, verhält der sich ganz manierlich. Normales Anfahren – ohne dass der Motor über seine acht Zylinder (jeder fast 800 Kubikzentimeter fassend) gleich grell aufschreit und die Umgebung in Aufruhr versetzt – lässt sich problemlos bewerkstelligen. Und wer auch noch – selbstverständlich und gesetzeskonform – vor dem Fussgängerstreifen anhält, erntet nicht selten erstaunte Blicke. Wenn der Fahrer dann noch mit einer freundlichen Geste den Fussgängern oder auch Radfahrern trotz 432 PS unter der Haube andeutet, sie können bedenkenlos die Strasse überqueren, ohne dass sie rücksichtslos überrollt würden, der hat zumindest die herrschenden Vorurteile nicht noch angeheizt.
Aber wer hinter dem Steuer eines Camaro sitzt, der möchte auch einmal die Muskeln dieses Wagens spielen lassen. Zugegeben, in der Schweiz bietet sich dafür kaum Gelegenheit – wenn die Gesetze eingehalten werden. Auf deutschen Autobahnen wiederum einfach mit dem Bleifuss dem Vortrieb freien Lauf zu lassen, bietet ebenfalls nicht das absolute Highlight. Das Potenzial des Camaro wenigstens ein wenig zu kitzeln, bot sich anlässlich einer Passfahrt in den Schweizer Alpen. Gegen Abend, wenn man die Strasse allein für sich hat, lässt sich, ohne Geschwindigkeitsexzesse wohlverstanden, sehr flott vorankommen und auch das Kurvenverhalten ausloten.
Dabei zeigt der in Gewicht und Dimensionen doch recht massige Wagen (Gewicht je nach Ausführung etwas über 1800 Kilo, Länge 4,83 Meter, Breite 1,91, Höhe 1,36) seine Qualitäten. Bemerkt werden muss allerdings, dass das Anbremsen der Kurven aus einer Geschwindigkeit im Achtzigerbereich gewöhnungsbedürftig ist. Die Verzögerungskräfte sind beim Einlenken am Lenkrad deutlich zu spüren. Und beim Herausbeschleunigen aus Kurven gilt: Lieber etwas später als zu früh Gas geben. Selbst mit diesem Biest von Wagen kann aber auch entspanntes Cruisen Spass machen, ganz speziell mit der Cabriolet-Version.
Trotz so viel Euphorie und Erinnerungen an frühere Tage sei aber auch eine Schattenseite dieses Wagens erwähnt. Natürlich verbraucht der Achtzylinder heute nicht mehr jene Mengen Sprit wie seine Vorgänger. Aber nach der beschriebenen Passfahrt sind ein Blick auf die Benzinuhr sowie das Ansteuern einer Zapfsäule angezeigt. Gerechterweise aber sei gesagt, dass der Durst des V8 im täglichen Verkehr weit weniger gross ist.
Das Werk gibt den Durchschnittsverbrauch nach EUNorm mit 14 Litern für 100 Kilometer an. Doch Vorsicht. Im Stadtverkehr können es unter ungünstigen Bedingungen auch gegen 20 Liter werden. Diese Werte sind politisch alles andere als korrekt. Dennoch sei die Frage erlaubt: Muss auf alles mit dem Finger gezeigt werden, was den (ungeschriebenen) Normen nicht entspricht?
Das Camaro-Coupé (6-Gang-Handschaltung) kostet in der Schweiz ab 48'950 Franken, das Cabriolet mit 6-Stufen-Automat ab 56'990 Franken.