Wenn dieser Tage bei der Firma Zellweger Luwa in Uster die Umzugskartons angeliefert werden, gilt es auch etwelche Kunstfotografien von den Wänden zu nehmen und transportfertig zu machen. Die delikaten Exponate gehören zu einer der spannendsten Firmensammlungen im Land und bleiben vom Verkauf der Zellweger Analytics an die amerikanische Honeywell ausgeklammert. Gleichwohl verschwinden Dutzende ausgesuchter Fotoarbeiten aus den letzten dreissig Jahren, die bisher in den Fluren und Büros des Traditionsunternehmens hingen, vorübergehend im Depot.

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Die Besitzer des exklusiven Fotografiekonvoluts, Thomas und Ruedi Bechtler, gehören zum harten Kern der Schweizer Kunstszene, sei es als Förderer und Mäzene, Sammler von Gegenwartskunst oder von einflussreichen Mandaten. Als die meisten Kunstliebhaber ihre Brieftasche beim Galeriebummel noch fest im Griff hatten, deckten sich die Industrieerben – effizient beraten von der Zürcher Kuratorin und «Parkett»-Mitherausgeberin Bice Curiger – mit Arbeiten von Künstlern wie Fischli/Weiss, Pipilotti Rist und Roman Signer ein.

Neben der Fotosammlung in Uster verfügen die Zürcher Kunstenthusiasten noch über mindestens vier weitere hochkarätige Werksballungen. Rechnet man all das zusammen, was sich im Verlauf von Jahrzehnten im privaten und beruflichen Umfeld der Familie an Kunst angesammelt hat, dann verfügen die Bechtlers – sieht man von der Emanuel-Hoffmann-Stiftung der Roche-Erben einmal ab – schweizweit womöglich über den komplettesten und qualitativ höchststehenden Fundus an internationaler Gegenwartskunst.

Zu den schnell wachsenden, vorbildlich angelegten Corporate Collections der Schweiz gehört auch die Sammlung von Ringier. Mit der künstlerischen Aufwertung von Kantine, Sitzungsräumen und Büros verfolge er keinen bestimmten Zweck, schreibt Michael Ringier im Vorwort des Sammlungskatalogs «Kunst bei Ringier», in dem die Ankäufe der Jahre 1995 bis 1998 dokumentiert sind. «Die Kunst soll rumhängen, rumstehen, präsent sein, aber nicht um jeden Preis auffallen.» In Korrespondenz zum eigenen Tätigkeitsfeld war die Ringier-Sammlung ursprünglich auf zeitgenössische Fotoarbeiten mit erkennbarem Textbezug fokussiert. Mittlerweile wird im grössten Schweizer Verlagshaus jedoch breiter und auch näher am Mainstream gesammelt. «Früher war die Auswahl sehr persönlich geprägt», erklärt ein mit der Sammlung vertrauter Galerist. «Heute kauft Ringier alles, was bereits etabliert ist.»

Corporate Collections mit langfristiger Ausrichtung und einigermassen klarem Profil deuten auf die Existenz eines passionierten Sammlers im Hintergrund, dessen Vorlieben ihren Niederschlag in der thematischen Ausrichtung bis hin zur Bildauswahl finden. Nicht immer leicht davon zu unterscheiden sind rein private Kunstanhäufungen, die mit Mitteln aus unternehmerischer Tätigkeit aufgebaut wurden. In diese Kategorie fallen etwa die Anker-Gemälde in den Räumlichkeiten der Ems-Chemie oder die museumswürdige Kollektion der Basler Kosmetikgrossistin Esther Grether. Als patronale Sammlungen sind auch die Kunstbestände im Besitz von Unternehmern wie Alfred Richterich, Willy Michel, Charles Vögele, Franz Wassmer oder Thomas und Stephan Schmidheiny zu betrachten. «Gute Firmensammlungen sind immer mit Köpfen verbunden, beispielsweise mit Generaldirektoren oder Vorständen, die sich persönlich für Kunst einsetzen. Oder aber es handelt sich um Firmen im Besitz von aktiven Sammlern», sagt die Zürcher Kunsthändlerin Eva Presenhuber. Gerade Grosskonzerne, nicht selten Global Player auf ihrem Gebiet, sind gegen ein bunt zusammengewürfeltes Kunst-Sammelsurium nicht gefeit, zumal sich ihr Bilderfundus nicht selten über Jahrzehnte hinweg aufgebaut hat: durch periodische, oft unkoordinierte Ankäufe wechselnder Funktionsträger, durch Übernahme von Konkurrenten oder infolge von Zusammenschlüssen (siehe Nebenartikel «Kunst bei Novartis: Hier sammelt der Chef»).

Als der Glaube an die New Economy vor ein paar Jahren in sich zusammenbrach und mit ihm die Börsenkurse abstürzten, sah es zunächst danach aus, als hätten viele Corporate Collections ihre beste Zeit gesehen. In Schieflage geratene Grossunternehmen wie der US-Energiekonzern Enron, der Consultingriese Andersen oder der französische Unterhaltungsmulti Vivendi warfen damals Teile ihrer umfangreichen Kunstbestände auf den Markt. Auch in der Schweiz strichen nach dem Einbruch an den Finanzmärkten wichtige Corporate Collectors ihre Ankaufsbudgets vorübergehend zusammen.

«Früher wurde oft dezentral, gewissermassen von den Filialleitern eingekauft», erläutert der Basler Galerist Nicolas Krupp. Deswegen habe sich in den Firmensammlungen «viel lokaler Ballast» angesammelt, sagt er. Inzwischen sei das aber anders: «Die meisten Konzerne haben ihre regionalen Budgets gekürzt und kaufen Kunst heute zentral ein.» Allen voran die United Bank of Switzerland, Hauptsponsor der Kunstmesse «Art Basel»: Im Konzernbereich Wealth Management ist Toni Schönenberger, Leiter des UBS-Ausbildungszentrums Wolfsberg, für eine adäquate Umsetzung des «Art at Work»-Programms zuständig (siehe Nebenartikel «Sammlung UBS: Plattform zur Kundenpflege»). «Überall auf der Welt, wo wir ein Besprechungszimmer haben, brauchen wir Kunst», führt er aus. Bei der Werkauswahl stützt sich Schönenberger auf die Meinung gut informierter Beiräte und die Empfehlungen externer Fachleute ab: «Unser Fokus», sagt er nicht ohne Stolz, «liegt bei junger, aufstrebender Gegenwartskunst, wobei wir bewusst auch gewisse Risiken eingehen.»

Da viele Firmen einheimische Kunst bevorzugen, sind ihre Ankäufe für die Künstlerinnen und Künstler in der Schweiz ein nicht zu unterschätzender Faktor. «Rechnet man die Emanuel-Hoffmann-Stiftung hinzu, dann sind die grossen Firmensammlungen für die Nachfrage nach zeitgenössischer Schweizer Kunst wichtiger als die Privatsammler», sagt Eva Presenhuber, die mit Fischli/Weiss, Ugo Rondinone und Urs Fischer ein paar der gefragtesten Gegenwartskünstler des Landes im Programm hat. Nimmt man die Zahl der Zürcher Galerie-Neugründungen der letzten zwölf Monate zum Massstab, dann geht es der Branche der Kunstvermittler und -händler blendend. Befeuert wird der anhaltende Boom von einer steigenden Zahl von Museen, privaten Liebhabern und – nicht zuletzt – immer mehr Unternehmen, die Werke zeitgenössischer Künstler ankaufen. Dass Corporate Collecting einen steigenden Einfluss auf das Geschehen am Kunstmarkt hat, lässt sich auch daran ablesen, dass es in den letzten Jahren immer mehr Kunstmessen, von Firmen gesponserte Ausstellungen und unternehmensfinanzierte, öffentliche Sammlungen gibt.

Auf der Suche nach dem statuskonformen Kick tigern Firmenbesitzer, Grossaktionäre, Selbstständigerwerbende und ungezählte Funktionsträger mittlerer und grosser Unternehmen auch dieser Tage wieder durch die Basler Messehallen. War die Nachfrage vor zwanzig Jahren noch von Bildungsbürgern dicht an der Pensionierungsgrenze geprägt, setzt sich die Klientel der führenden Galerien heute vorab aus Bankern, Ärzten, Anwälten, gut salarierten Kaderangestellten sowie vermögenden Erben im Alter zwischen 40 und 50 Jahren zusammen. Das neue Käufersegment ist typischerweise renditeorientiert und zeigt ein ausgeprägtes Label-Verhalten, ganz nach dem Motto: Was gefragt ist und sich steigender Preise erfreut, kann nicht schlecht sein. «Der Typus von Sammler, der sich mit originärem Interesse und bescheidenem Budget durch die Messehallen kämpft, stirbt aus», prophezeit Fabian Walther, der mit seiner Galerie auch in diesem Jahr an der «Art Basel» mit dabei ist.

Stützt man sich auf die spärlichen Quellen in diesem nur wenig erforschten Bereich, dann war der amerikanische Computerriese IBM unter VR-Präsident Thomas J. Watson weltweit eines der ersten Unternehmen, das gezielt Kunstwerke erwarb, um eine eigene Corporate Collection aufzubauen. Von 1939 an kaufte IBM Arbeiten von jeweils zwei zeitgenössischen Künstlern aus jedem der amerikanischen Bundesstaaten. Fast ebenso weit zurück reichen die Ursprünge des Corporate Collecting in der Schweiz. In den späten dreissiger Jahren begannen Kunst liebende Firmenchefs wie Arthur Stoll bei Sandoz oder Emil Barell bei Hoffmann-La Roche – wenn auch anfänglich eher sporadisch – Bilder für repräsentative Räume anzuschaffen.

Als Schweizer Pionier auf dem Gebiet der Firmensammlungen gilt jedoch Hans Theler, ehemaliger Generaldirektor der Basler National Versicherung. Unter seiner Ägide begann 1943 der kontinuierliche, bis heute andauernde Aufbau einer Sammlung vornehmlich expressiver Schweizer Kunst. Während seinerzeit in den meisten Unternehmen noch vergilbte Kalenderblätter oder im besten Fall van Goghs «Sonnenblumen» als Reproduktion die Wände zierten, verfolgte Theler als einer der ersten das Ziel, jedem National-Angestellten ein Original ins Büro zu hängen. Mittlerweile ist der Bilderschatz der Versicherung auf 1200 Werke angewachsen. Betreut wird die exemplarische Sammlung von zwei ausgebildeten Kunsthistorikern.

Zu den Gesellschaften, die sich schon relativ früh um den konsequenten Aufbau einer Firmensammlung kümmerten, gehört auch die Tessiner Gotthard Bank. Heute brilliert das vergleichsweise kleine Kreditinstitut mit einer Sammlung zeitgenössischer Schweizer Kunst, die nach dem Urteil von Fachleuten zu den komplettesten im Lande gehört. Über eine repräsentative Sammlung an junger Schweizer Kunst verfügt auch die Bank Bär. Vor einem Vierteljahrhundert wurde hier mit dem Aufbau einer Firmensammlung begonnen. Bei den 40 bis 50 Werken, die jedes Jahr von der Zürcher Privatbank angekauft werden, handelt es sich mehrheitlich um Positionen von Schweizer Nachwuchstalenten, die zum Zeitpunkt der Anschaffung dem Publikum noch weitgehend unbekannt sind. Die bewusste Ausrichtung auf junge, experimentell gelagerte Beiträge unterstreicht den mit der Sammlung verbundenen Fördergedanken und verleiht dieser einen besonders aktuellen Bezug.

Über nennenswerte Bestände an zeitgenössischer Kunst verfügen des Weiteren die Bâloise, die «Winterthur», die Mobiliar, die Bank Leu, verschiedene Kantonalbanken sowie viele weitere Firmen und Finanzinstitute mit Domizil in der Schweiz. Erwähnung verdient auch der Grossverteiler Migros, der aus seinem Kulturprozent nicht nur experimentelle Kunstströmungen fördert, sondern sich zu diesem Behuf auch noch ein eigenes Museum leistet.

Im betrieblichen Alltag wird moderne Kunst nicht selten als eine Art visuelles Trostpflaster verabreicht. Sie soll bauliche Unzulänglichkeiten mildern helfen und dort einen Ausgleich schaffen, wo Architektur und Inneneinrichtung versagt haben. Die damit verknüpften Erwartungen könnten ebenso gut einem Grünpflanzenlieferanten gelten: Schön bunt, möglichst pflegeleicht und preiswert sollte es sein. Aber eine triste Arbeitsumgebung lässt sich weder durch Gummibäume noch durch das Anbringen farbiger Leinwände kaschieren. Für die Mitarbeiter ist gezielter Kunsteinsatz weit mehr als blosse Dekoration. Richtig und massvoll in Szene gesetzt, verleiht Kunst einem Unternehmen Identität, erhöht das Zusammengehörigkeitsgefühl und stimuliert unter Umständen sogar Kreativität und Motivation der gesamten Belegschaft. Im besten Fall spiegelt eine Firmensammlung die Persönlichkeit des betreffenden Unternehmens wider; dessen Corporate Image genauso wie dessen interne Kultur (siehe Nebenartikel «Sammlung Swiss Re: Corporate-Identity-Tool»). «Die Kunstsammlung kann zu einem der effektivsten Kommunikationskanäle für die Geschäftsphilosophie eines Unternehmens werden», schreibt der Kunstberater und Publizist Jeffrey Deitch.

Wer in seinem Betrieb nicht nur Lemminge duldet, sollte sich den Einsatz von moderner Kunst zumindest überlegen. Der schwäbische Werkzeugfabrikant Reinhold Würth, der an mehreren Standorten seiner internationalen Schrauben-GmbH – so auch in Arlesheim BL – eigentliche Betriebsmuseen eingerichtet hat, vefügt auf diesem Gebiet über jahrelange einschlägige Erfahrung. «Wenn die Kunstwerke alle raus wären und wir stattdessen überall weisse Wände hätten, würde es ganz schnell zu massiven Reklamationen kommen», gibt sich Würth überzeugt. «Solange die Kunst da ist, wird sie als etwas Selbstverständliches aufgefasst. Erst wenn die Kunst nicht mehr da wäre, würde man bemerken, was fehlt.»

Nicht jede Kunstsammlung von Firmen sollte zwangsläufig aus avantgardistischen Werken bestehen. In Übereinstimmung mit der Unternehmenskultur sind in bestimmten Fällen eher traditionelle Stammeskunst, Asiatica oder historische Stiche zu empfehlen. «Ein gut geplantes Kunstprogramm kann effektiver und preiswerter sein als eine ausgefeilte Werbekampagne», versichert Deitch. «Ein entsprechendes Projekt sollte deshalb Teil der Unternehmensstrategie sein. Eine starke Beteiligung des Topmanagements sollte sichergestellt sein.»

Dass sich Manager auf zeitgenössische Kunst stürzen, weil sie eine tiefe Sehnsucht danach in sich verspüren, glaubt der deutsche Kunstkritiker Wolfgang Ullrich. Weniger gezielt als vielmehr aus vegetativem Selbstschutz heraus bemächtigten sich die Alphatierchen des Kunstdossiers, «als hätten sie eine verändernde, beunruhigende und sensibilisierende Kraft sowie eine Abkehr vom Konsumdenken noch nötiger als andere und als könnten sie ihre Leistungskraft ohne Bilder nicht wahren».

Könnte es sein, dass Manager beim Erwerb teurer Leinwände nicht nur auf Wertsteigerung und gesellschaftlichen Status schielen, sondern darin ein probates Mittel erkennen, ihrem Bedürfnis nach einer Gegenwelt Raum zu verschaffen? Galeriebesuch und Kunsterwerb als mentales Asyl, losgelöst von den Zwängen des Firmenalltags und frei von Produktivitätszwang und Effizienzhuberei. Was ihn persönlich dazu treibt, sich mit Kunst zu beschäftigen, begründete der Wolfsberg-Direktor Toni Schönenberger in einem Gespräch mit dem Magazin «Persönlich» so: «Wenn man sich viel mit Kunst beschäftigt, wird man toleranter und sensibler. Kunst hat ja auch viel mit Kommunikation zu tun. Und da besteht eine Verbindung zur Wirtschaft. Führen, kommunizieren, motivieren ist in der heutigen Wirtschaft sehr wichtig. Das kann man unter anderem in der Kunst lernen.»

Kultureinsatz in profitorientiertem Umfeld sei «eine Art Umweltschutz für die zweite Natur, also für die Welt des Geistes», schreibt der Medientheoretiker Norbert Bolz, Verfasser des Bestsellers «Kult-Marketing». Zur Bekämpfung ihres «blinden Flecks» sammelten erfolgreiche Unternehmen Kunst und setzten sich mit ihr auseinander, so Bolz. «Kunst ist die geistige Störung der Wirtschaft, die es ihr ermöglicht, aus dem eigenen System herauszuspringen und Neues zu tun. (…) Unternehmen brauchen die Kunst, um das Staunen zu lernen. Und Staunen heisst sich irritieren lassen. (…) Die Innovation hängt tatsächlich an Lunatics, an Spinnern – und das ist von jeher die Domäne der Kunst.»

Der für sie ungewohnten Bittstellerrolle trachten Manager zu entkommen, indem sie den Künstler durch die Bezahlung hoher Summen «beschämen» und in eine Art «Komplizenschaft» einbinden. So gesehen ist der Mäzen nicht nur ein Helfer, sondern entpuppt sich für den Künstler auch als Problem. «Nicht als Gegenleistung für das Kunstwerk, sondern um einen Sieg über den – sonst als moralisch überlegen geltenden – Künstler davonzutragen, zahlt der Kunstkäufer das viele Geld», durchleuchtet Wolfgang Ullrich die Motivationslagen beim Bildertausch. «Zwischen ihm und dem Künstler wird auf diese Weise ein Kampf um Integrität ausgetragen, und indem er sein Geld ‹irrational› opfert, nimmt der Unternehmer, Manager oder Politiker dem durch den Künstler verkörperten Antiökonomismus, dessen primäres Angriffsziel er sonst wäre, den Wind aus den Segeln.»

Sosehr das viele Geld dazu beitragen mag, das Selbstwertgefühl eines Künstlers zu heben, so sehr ist dieser in seinem Rollenverständnis versucht, die Checkbuch-Offensive des Käufers durch unangepasstes Verhalten zu parieren. Legendär ist in diesem Kontext die Reaktion des deutschen Malerfürsten Georg Baselitz auf die Annäherungsversuche eines einflussreichen Industriellen. Als ihm dieser anlässlich einer Vernissage vorgestellt wurde, soll ihn der Künstler als Erstes gefragt haben, ob er denn bereits ein Kunstwerk von ihm besitze. Als der Vorstandschef verneinen musste, liess ihn Georg Baselitz abblitzen: «Dann spreche ich auch nicht mit Ihnen.»

Nichts eignet sich aus Künstlersicht besser als ein Affront, um die mit dem Geldopfer herbeigeführte Komplizenschaft zu unterlaufen. «Nur auf diese Weise kann der Künstler beweisen, dass er sich seine Unabhängigkeit – und damit seine Unschuld – bewahrt hat», argumentiert Wolfgang Ullrich.

Für sarkastische Spitzen gegen seine Geldgeber war das verstorbene Schweizer Multitalent Dieter Roth bekannt. Mit den Unterwerfungsritualen zwischen Künstler und Mäzen scheint sich auch der 39-jährige Aktionskünstler Christoph Büchel auszukennen (lesen Sie dazu über das BILANZ-Künstlerrating 2005 ab Seite 88). Im Herbst 2002 provozierte er den Zürcher Stadtrat mit dem Projekt «Capital Affair»: Anstatt wie von ihm erwartet eine seiner faszinierenden Chaoslandschaften auszubreiten, schlug Büchel vor, die Ausstellungsräume leer zu lassen und die von der Kommune zur Verfügung gestellten 50 000 Franken stattdessen darin zu verstecken. Als der Stadtpräsident das Budget für das ungewöhnliche Steuergeldexperiment daraufhin halbieren wollte, lehnte der Künstler indigniert ab und liess das Happening platzen. Ein andermal – Büchel war zur «Manifesta», einer wichtigen Plattform für europäische Nachwuchstalente, geladen – versteigerte er sein Ticket kurzerhand über das Internet. Anstatt camionweise Sperrgut zu sammeln und dieses in mühsamer Kleinarbeit zu einem seiner begehbaren Psychogramme zu arrangieren, strich der Kunstrebell auf diesem Weg für einmal ohne nennenswerten Stress 15 000 Dollar ein. «Die Künstler wechseln vom Elfenbeinturm in den Kontrollturm», diagnostiziert der Medientheoretiker Norbert Bolz. «Die künstlerische Avantgarde ist nicht mehr das schlechte Gewissen der Gesellschaft, sondern eher die Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Wirtschaft.»

Literatur

«Art & Economy»: Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung in den Deichtorhallen. Hatje Cantz Verlag, Hamburg 2002.
Wolfgang Ullrich: «Mit dem Rücken zur Kunst – Die neuen Statussymbole der Macht». Wagenbach Verlag, Berlin 2000.