Der Unabhängigkeitsdrang der Katalanen hat Spanien in die tiefste Krise seit 40 Jahren gestürzt. Doch im Epizentrum des Konflikts in Barcelona ist nicht viel vom Drama zu spüren. Der abgesetzte Lokalpräsident Puigdemont soll in Belgien sein.

Der Showdown in Barcelona blieb aus. Seit dem frühen Montagmorgen postierten sich Journalisten vor dem Sitz der katalanischen Regierung im Herzen der Altstadt in der Hoffnung, dass der von Madrid abgesetzte Regionalpräsident Carles Puigdemont vor seinem bisherigen Amtssitz auftaucht und für einen Eklat sorgt.

Doch es passierte nicht viel. Die Polizeibeamten am Haupteingang des Palau de la Generalitat wurden zu unfreiwilligen Fernsehstars in den Liveschaltungen Dutzender TV-Kameras. Selbst nachdem am Mittag Anklage gegen Puigdemont und andere ranghohe Regierungsbeamte erhoben wurde, blieb alles ruhig.

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Verwirrung mit Instagram-Foto

Puidgemont sorgte am Morgen noch für Verwirrung mit einem Instagram-Foto. Darauf war ein Stück Himmel zu sehen, aufgenommen eindeutig aus dem Innenhof des Regierungspalasts. Dabei stand nur «Guten Morgen!» und ein Smiley.

Relativ schnell waren sich alle einig, dass es nur ein Scherz des 54-Jährigen mit einem alten Bild war. Der Aufenthaltsort des abgesetzten Provinzpräsidenten blieb über Stunden unklar. Dann sickerte durch, dass er der Konfrontation aus dem Weg geht: Puigdemont reiste nach Belgien aus, wie ein Anwalt am Abend schliesslich bestätigte.

Auf Asylfragen spezialisierter Rechtsanwalt

Der abgesetzte Regionalpräsident hat dort einen auf Asylfragen spezialisierten Rechtsanwalt engagiert. Der Anwalt Paul Bekaert sagte am Montag im flämischen Fernsehsender VRT, er habe einen «ersten Kontakt» mit Puigdemont gehabt.

Er habe persönlich mit ihm gesprochen. «Er hat mich formell zu seinem Anwalt ernannt.» In dem Gespräch sei es um die juristische Vorbereitung im Umgang mit der spanischen Zentralregierung gegangen. «Herr Puigdemont war nicht in Belgien, um Asyl zu beantragen», sagte Bekaert. «In dieser Hinsicht ist noch nichts entschieden.»

Viel Erfahrung

Bekaert ist Experte für Asylrecht und ehemaliger Verteidiger mutmasslicher Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA. «Ich habe mehr als 30 Jahre Erfahrung mit Auslieferung und politischem Asyl spanischer Basken», sagte Bekaert. «Wahrscheinlich hat er mich aufgrund dieser Erfahrung kontaktiert.»

Laut der Nachrichtenagentur Belga hatte der zur Anwaltskammer von Brügge gehörende Bekaert unter anderem das baskischstämmige belgische Paar Luís Moreno und Raquel García verteidigt, denen die spanischen Behörden Mitgliedschaft in der ETA vorwerfen. Experten zufolge ist es unwahrscheinlich, dass Puigdemont als EU-Bürger politisches Asyl in einem anderen EU-Staat erhält.

Ruhe in der Stadt

Einige Weggefährten von Puidgemont wie der abgesetzte Transportminister Josep Rull und die Chefin des aufgelösten Lokalparlaments, Carme Forcadell, tauchten dagegen am Montag kurz in ihren Büros in Barcelona auf - verliessen sie dann jedoch schnell wieder.

Im Rest der Stadt ist nichts von der Krise um die katalanische Unabhängigkeitserklärung zu spüren. Die Sonne scheint, die Strassencafés sind bei 20 Grad gut gefüllt.

Auch auf dem Platz zwischen Provinzregierung und dem Rathaus von Barcelona tauchten vor allem Schaulustige auf. Die Stadt ist voller Touristen, die sich über den besonderen Kick freuen, bei schönem Wetter auch noch einen Hauch Zeitgeschichte mitzubekommen.

Wenige aktive Anhänger

Nur wenige aktive Anhänger eines der beiden Lager schauen vorbei. Die meiste Aufmerksamkeit bekommt der 22-jährige Student Joan Correa, der mit einer grossen katalanischen Flagge aufkreuzt. «Ich bin hier, um unseren gewählten Präsidenten zu unterstützen», verkündet er und schwenkt die Fahne unermüdlich für die Kameras.

Die Unabhängigkeit sei der einzige Weg für Katalonien, sagt Joan. Denn bisher würden trotz der eigentlichen Autonomie der Region zu viele Initiativen von der Zentralregierung blockiert. «Wir haben gute Gesetze, aber können sie nicht umsetzen.» So zum Beispiel das Verbot, armen Bürgern, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können, den Strom abzudrehen.

Neben Joan läuft ein etwas älterer Mann mit einer spanischen Nationalflagge und einem Schild, auf dem «Victoria» - Sieg - steht. Spanien müsse geeint bleiben - und das werde jetzt auch der Fall sein, unter anderem dank der Position der EU, die kein unabhängiges Katalonien akzeptieren wolle.

Wenig Aggressivität

Am Ende fällt besonders auf, wie wenig Aggressivität im Umgang der beiden Lager miteinander zu spüren ist. Kein Streit, keine hitzigen Diskussion in den Strassen, man ignoriert sich eher.

Schon am Vorabend zogen nach der grossen Demonstration hunderttausender Abspaltungsgegner versprengte Grüppchen von Anhängern beider Lager friedlich durch die Stadt. Die Anhänger der Unabhängigkeit scheinen so entspannt, weil sie die felsenfeste Überzeugung ausstrahlen, dass sie sich am Ende durchsetzen werden.

Manche machen ein Spektakel aus dem Konflikt, wie der Lichtkünstler Jamal, der normalerweise mit Installationen auf der Flaniermeile Las Ramblas sein Geld verdient. Jetzt befestigte Jamal, der jamaikanische Wurzeln hat, Papierblumen, Lichterketten und viele spanische Flaggen an seinem Fahrrad und fährt damit im Dunkeln durch die Strassen.

«Das ist meine persönliche Demonstration für die Einheit Spaniens», sagt Jamal. Katalonische Autonomie sei schon in Ordnung, aber dabei müsse es auch bleiben, - als Symbol dafür hat Jamal ein kleines katalanisches Fähnchen zwischen die Spanien-Flaggen geklemmt.

(sda/ccr)