BILANZ: Herr Allemann, der BrandAsset Valuator zeigt, dass der Trend zur Swissness erneut zugenommen hat. Warum?

David Allemann: Die Marke Schweiz ist von aussen nach innen gewachsen. Was vor ein paar Jahren als Lifestyle-Hülle mit dem allgegenwärtigen Schweizer Kreuz begann, hat sich jetzt zu einer Rückbesinnung der breiten Bevölkerung auf die Schweizer Grundwerte entwickelt. Die klassischen helvetischen Tugenden wie Ordentlichkeit, Sauberkeit und Pflichterfüllung, verbunden mit einem gewissen Wertkonservatismus, sind wieder gefragt.

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Die heutige Swissness umfasst also mehr als den Lifestyle-Schnickschnack eines Tyler Brûlé?

Bestimmt. Die Konsumenten haben genug vom Marketing-Stakkato der letzten Jahre. Sie suchen nach Bodenständigkeit und Echtheit. Für eine Marke sehe ich deshalb zwei Herausforderungen: Sie muss eine kraftvolle und einfach verständliche Haltung zeigen, und sie darf zweitens ihr Profil nicht dauernd ändern.

Wer erst heute auf den Swissness-Trend aufspringt, kommt zu spät?

Jetzt noch schnell ein Matterhorn in die Werbung zu rücken, wäre bestimmt kontraproduktiv. Marken, die Echtheit ausstrahlen, lassen sich nur langfristig aufbauen. Wir haben vor über zehn Jahren die Schweizer Milch als Muntermacher der Natur positioniert. Und der Verband der Schweizer Milchproduzenten war so weitsichtig, bis heute an der steppenden Milchkuh als Symbol festzuhalten. Auch ausländische Marken können mit einer unverwechselbaren Haltung zu einer starken Marke werden, wie die Beispiele Ikea oder EasyJet gezeigt haben.

Warum suchen die Konsumenten wieder vermehrt das Echte und Bodenständige?

Wir beobachten einen interessanten Wandel im psychologischen Profil der Konsumenten. Der so genannte Mainstreamer, der sich jahrelang auf dem Rückzug befand, ist wieder zurück. Er sucht vor allem Sicherheit und will den Status quo verteidigen. Gleichzeitig sehen wir, dass der Anteil der entdeckungsfreudigen und kritischen Konsumenten sinkt.

Erleben wir nun eine Gegenbewegung zur Globalisierung der Markenwelt in den neunziger Jahren?

Ich denke schon. Die Menschen entdecken wieder ihre lokalen Marken, die sie noch verstehen und als echt empfinden. Das Bier aus der Region oder die Bank von nebenan stiften Identifikation und vermitteln Sicherheit. Demgegenüber leiden manche globale Marken unter mangelnder Fokussierung und Bodenhaftung.

Globales und Lokales stehen allerdings nicht zwingend im Widerspruch: Die Marke Ovomaltine ist zwar in ausländischen Besitz übergegangen, wird aber immer noch als echt schweizerisch wahrgenommen.

Das Beispiel zeigt, warum eine langfristige Markenführung so wichtig ist. Bei der Ovomaltine wurde in den achtziger Jahren die Energie ins Zentrum gestellt: die natürliche Power, die schmeckt («Häsch Dini Ovo hüt scho ghaa?»). Dieses Prinzip haben wir mit unseren Werbekampagnen ständig weiterentwickelt: «Mit Ovo kannst Du’s nicht besser. Aber länger.» Heute zeigen wir die Energie als Lebenshaltung («Gib niemals auf»). Gerade bei den Jungen konnte die Marke in den letzten zehn Jahren nochmals deutlich zulegen. Auf der anderen Seite stellen wir heute oft einen unproduktiven Marketing-Aktivismus fest.

Weniger wäre häufig mehr?

Der Aufbau einer Marke braucht Zeit. Kontinuität ist das Allerwichtigste. Doch gleichzeitig agieren viele Manager immer kurzfristiger. Mit abrupten Konzeptänderungen riskieren sie, den Wert einer anfänglich guten Markenarbeit wieder zu vernichten. Häufig ist die Werbeagentur länger im Boot als das ständig wechselnde Management. Umso wichtiger wird es, die Agentur als Gralshüter einer langfristigen Markenpositionierung zu nutzen. Einige unserer Kunden betreuen wir schon seit Jahrzehnten.

Allerdings ist diese Entwicklung zur Kurzfristigkeit auch eine Folge der zunehmenden Wettbewerbsintensität in vielen Branchen.

Zugegeben, Power-Marken wie Toblerone, Ricola oder Migros wurden in einer Zeit aufgebaut, als die Konkurrenz noch relativ gering war. Wichtiger erscheint mir jedoch, dass die Markenführung in den Händen von langfristig orientierten Erfindern oder Patrons lag. Das ist zum Beispiel bei Apple oder Virgin noch heute so. Umgekehrt staune ich regelmässig darüber, wie leichtfertig erfolgreiche Konzepte über Bord geworfen werden.

Konkret?

Die Uhrenmarke TAG Heuer hatte in den neunziger Jahren eine sensationelle Kampagne mit dem Slogan «Success. It’s a mind game» und dem Motiv eines Hürdenläufers, der über eine überdimensionierte Rasierklinge sprang. Heute wirbt die Marke mit Prominenten, wie unzählige andere auch. Eine eigenständige Haltung kann ich in der jüngsten Kampagne nicht mehr entdecken.

Was braucht es, damit eine Marke Kultstatus erreicht?

Eine Kultmarke entsteht aus dem Zusammentreffen von vielen glücklichen Umständen. So etwas lässt sich nicht im Sitzungszimmer planen, sondern geschieht in den Köpfen der Konsumenten. Das Marketing kann jedoch möglichst viele glückliche Umstände von sich aus schaffen. Dazu gehörten eine prägnante Botschaft, ganz ohne Firlefanz, und vor allem der Mut, das Konzept konsequent umzusetzen.

Sie wünschen sich mehr Mut in der Werbung?

Der Erfolg von M-Budget zeigt eindrücklich, dass es sich lohnt, einen eigenständigen Weg zu gehen. Es gibt so viele Möglichkeiten für freche und überraschende Ideen in der Werbung: Die TV-Spots für M-Budget produzierte unsere Retail-Agentur Exxtra Kommunikation ganz bewusst im Low-Cost-Stil mit Laienmodels, um so die Idee der Sparsamkeit auf eine witzige Art zu transportieren. Wichtig ist dabei, dass die Kreatividee auf einem soliden strategischen Fundament fusst und nicht zum ziellosen Gag wird.

Der nächste BrandAsset Valuator erscheint in zwei Jahren: Welche Trends sehen Sie für die Zukunft?

Ich erwarte, dass die Kriterien von Echtheit und Bodenständigkeit noch mehr ins Bewusstsein der Konsumenten rücken. Auch die Preisorientierung dürfte weiter zunehmen. Ausserdem wird das Bedürfnis der Menschen nach Individualität zu einer zusätzlichen Fragmentierung der Märkte führen.

Keine einfachen Konditionen für eine erfolgreiche Markenstrategie.

Nein, umso mehr plädiere ich dafür, dass das Marketing wirklich Chefsache ist. Die Positionierung einer Marke ist für ein Unternehmen eine der fundamentalsten Fragen überhaupt. Eine Strategie gegen die zunehmende Fragmentierung ist beispielsweise, ein breit abgestütztes Markenportfolio zu bilden. So hat Nike, statt den Fokus der eigenen Marke zu erweitern und damit zu verwässern, den traditionsreichen Namen Converse übernommen. Ich denke, dass in nächster Zeit noch mehr solche Deals stattfinden. Die Markenlandschaft wird also auch in Zukunft stark in Bewegung bleiben.

David Allemann (35) leitet als Managing Director die Agentur Advico Young & Rubicam (AY&R) in Gockhausen ZH. Bis Mitte 2002 arbeitete der Jurist als Strategieberater bei McKinsey, nachdem er bereits ab 1996 für AY&R tätig gewesen war.