Nach den Bresse-Hühnern und den Sisteron-Lämmern entdeckt die Spitzengastronomie endlich auch die Fleischraritäten des östlichen Alpenraums: Wollschweine aus der Schweiz, sogenanntes «alpines Kobe-Beef» aus Oberbayern oder die edlen Kaiserhühner aus dem steirischen Sulmtal. Regionale Luxus-Delikatessen, für die hohe Preise bezahlt werden.

Anfangs wurden die Pioniere etwas belächelt, als sie vor etwa zwanzig Jahren begannen, auf der Vogelinsel vor Kreuzlingen im Winter eine der europäischen Urschweinerassen anzusiedeln, die Wollschweine. Jene Schweine, die direkt vom Wildschwein abstammen und die wenig mit den heutigen Schweinen zu tun haben. Denn die Schweinerassen, die in der Schweiz gehalten werden, stammen fast ausnahmslos von den chinesischen Schweinen ab, die vor allem die Engländer im 19. Jahrhundert in Europa einführten und einkreuzten: helle oder rosafarbene Borstenschweine, wie sie heute weltweit gezüchtet werden. Sie verdrängten die Hausschweine, die noch bis Ende des 18. Jahrhunderts den europäischen Wildschweinen glichen.

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Zwanzig Jahre nach der Wiedereinführung dieser alten Haustierrasse, die in Ungarn als Mangalitza überlebt hat, werden die Züchter alter Tierrassen kaum mehr belächelt. Im Gegenteil. Selbst die Grossverteiler bemühen sich immer wieder, mehr Bauern davon zu überzeugen, auf die Zucht dieser zusehends gefragten Tiere umzustellen. Vergeblich. Denn die Wollschweine eignen sich nicht für Massenzucht.

Ihr Fleisch, das bedeutend kompakter und schmackhafter ist als jenes der weit verbreiteten hellen Zuchtschweine, hat sich dennoch in den vergangenen Jahren zu einer wahren Delikatesse gemausert. Die Wollschweine lassen sich nicht innert weniger Monate auf ein Schlachtgewicht von 200 Kilogramm oder mehr mästen. Sorgsame Fütterung ist gefragt, bisweilen fast nur mit Gras, da die Tiere sonst viel zu schnell und vor allem zu viel Fett ansetzen. Entsprechend werden Wollschweine frühestens nach einem Jahr geschlachtet. Womit sie in der Regel zwei- bis dreimal länger leben als das durchschnittliche Schlachtschwein.

Robuste Rassen

Wurden alte Haustierrassen in den vergangenen Jahren erst wieder als Fleischlieferanten entdeckt, haben sie sich als Milchtiere im Alpenraum längst etabliert. Ein Beispiel sind die Capre Orobiche, die langhörnigen Bergamasker Ziegen, deren Milch schon seit Jahrzehnten wieder Bestandteil vom italienischen Alpkäse Bitto Storico ist. Und damit vom wohl ältesten Hartkäse des Alpenraums überhaupt. Ein Käse auch, für den Liebhaber tief in die Taschen greifen.

Das ist nicht mehr nur bei Käse so, sondern auch beim Fleisch. Heute löst ein Wollschweinezüchter einen bis zu dreimal höheren Preis für das Fleisch seiner Tiere als für Schweinefleisch aus der breiten Standardzucht. Er profitiert zudem vom Vorteil, dass die Tiere in der Haltung unkomplizierter sind, da die robusten und das Leben auch im Freiland gewohnten Tiere kaum Medikamente benötigen und auch genügsamer sind als hochgezüchtete Mastschweine.

Die Wollschweine liefern eine Fleischqualität, nach der eine zur Regionalisierung und zur Terroirküche neigende Gastronomie seit Jahren lechzt. Der Aargauer Spitzenkoch Albi von Felten vom «Hirschen» in Erlinsbach gehört zu den Vorreitern dieser Entwicklung. An die achtzig Wollschweine verarbeitet er in Zusammenarbeit mit einem Bauern aus der Region jährlich, so viele wie kein anderer Schweizer Gastronom. Dennoch sagt von Felten: «Die Nachfrage ist weit grösser als unser Angebot, doch halten leider viele Züchter an der hergebrachten Massenzucht fest.» Auch der Wirt und Bergbauer Jürg Trionfini gehört zu den Pionieren der Wiederansiedlung der Wollschweine im Alpenraum. Von der Qualität seiner Wollschweinwurst und seines Schweinebratens kann man sich in seinem Berggasthaus Wissifluh mit Blick über Vitznau am Vierwaldstättersee überzeugen lassen. Auch Stefan Mathis vom Holzenhof in Ennetbürgen hat Produkte geschaffen, wie etwa die Wollschwein-Thymian-Salami, die in der Schweiz ihresgleichen suchen.

Doch längst sind es nicht mehr nur die Wollschweine, sondern unzählige alte, wiederentdeckte Rassen, die regional vermarktet und von der regionalen Topgastronomie nachgefragt werden. Insbesondere der Alpenraum verfügt in der Haustierzucht über grosse Gen-Ressourcen und eine Vielzahl an alten Rassen, die in den vergangenen Jahrzehnten dank Bemühungen von Organisationen wie Pro Specie Rara wieder vermehrt auf den Wiesen vieler Viehzuchtbetriebe zu finden sind.

In der Schweiz gehören etwa das Grauvieh oder die Hinterwälder Rinder zu den lokalen Tierrassen, deren Fleisch wieder in den Auslagen der Metzger zu finden ist. Zwar liefern sie nicht die Fleischmengen wie die in den vergangenen Jahren auch in der Schweiz eingeführten Fleischrinder aus Grossbritannien oder Frankreich (Angus, Limousin oder etwa schottische Hochlandrinder), doch haben sie als regionale Spezialitäten vor allem ein Absatzpotenzial in der lokalen Gastronomie.

Fettarme Muskeln

Zu den Wiederentdeckungen gehört auch das Fleisch der Murnau-Werdenfelser Rinder aus Oberbayern, einst auch Oberländer genannt. Rinder, die man in der Schweiz teilweise bis ins 20. Jahrhundert vor allem als Zugochsen einsetzte. Wiederendeckt wurden sie in Bayern vor allem wegen ihres fein verteilten intramuskulären Fettanteils, wie er bei den als Zugtiere geeigneten Rinderrassen so typisch ist. Denn die Fettreserven in den Muskeln verhalfen ihnen nicht nur zu hohen Leistungen, sondern machten sie auch zu ausdauernden Arbeitstieren. Als solche sind sie nicht mehr gefragt, doch haben Züchter und Gourmetmetzger längst erkannt, dass die Qualität der fein verteilten Fettreserven aus dem Fleisch eine Art «alpines Kobe-Rind» machen. Der Münchner Grosswirt und Rinderzüchter Jürgen Lochbihler vom Gasthaus Pschorr am Münchner Viktualienmarkt setzt heute voll auf die Fleischqualität dieser Rinderrasse. Lochbihler gehört nicht nur zu den treibenden Kräften bei der Wiederaufzucht und Weiterverbreitung der Murnau-Werdenfelser, er bietet heute in seinem Gasthaus auch ausschliesslich Fleisch dieser Tiere an.

Naturgerechte Haltung

Dass man auch im alpinen Raum mit der Zucht von Tieren und der Herstellung von höchster Fleischqualität Erfolg haben kann, beweisen französische Zuchtverbände seit Jahrzehnten. Trotz der preislich billigen Konkurrenz aus Neuseeland, Australien oder Argentinien ist es ihnen gelungen, etwa mit den Sisteron-Lämmern aus der Haute Provence oder den Bresse-Hühnern aus dem Grenzgebiet zwischen dem Burgund und der Franche-Comté die Gastronomie zu erobern.

Diese Chancen haben Landwirte und Züchter auch in den mittleren und östlichen Alpen erkannt. Ein Beispiel dafür ist die Wiederentdeckung der Sulmtaler Hühner aus der Südsteiermark. Für diese, die einst die bevorzugten Hühner am Hof der österreichischen Donaumonarchie waren und selbst für die Krönungsfeierlichkeiten von Napoleon geordert wurden, zahlt heute die österreichische Gastronomie bis zu vierzig Euro pro Tier. Ein Vielfaches dessen, was für Masthühner bezahlt wird.

Grundbedingung für solche Fleischqualität ist eine tiergerechte und naturnahe Haltung und Fütterung – das haben die französischen Züchter schon vorgemacht. Und damit verbunden eine Aufzucht, die sich nicht das Tempo der Massentierzucht aufzwingen lässt. Was sich in der Südsteiermark überprüfen lässt: Während ein in der Batterie aufgezogenes Huhn schon nach vier Wochen geschlachtet wird, leben die im Freiland und mit natürlichem Futter gehaltenen Sulmtaler Hühner bis zu sechsmal so lang. Ein Unterschied, der sich leicht feststellen lässt, wenn man das Glück hat, in einem Gasthof ein Stück dieser edlen Hühner auf den Teller zu bekommen. Man wird danach Mühe haben, sich wieder an ein Hühnerbrüstchen aus der Massenhaltung zu gewöhnen.