Der 22. November. Ein Schicksalstag für die Post. Am 22. November 2011 präsentierte der damalige Post-Präsident Peter Hasler vollmundig seine neue Konzernleiterin: Mit Susanne Ruoff habe man «mit Abstand die beste Wahl» getroffen, sagte er mit Verweis auf die sieben Kandidaten, die es in die engere Auswahl geschafft hatten. Er bezeichnete sie, die damals neben ihm sass am früheren Post-Hauptsitz, gar altväterlich als «Perle». Doch der Lack bröckelte schnell. Und als Ruoff im Sommer 2018 wegen des Postauto-Skandals ihr Büro räumen musste, war er definitiv ab.

Exakt gleiches Datum, sieben Jahre später: Die Post präsentiert wieder einen neuen Chef, doch diesmal nur mit einem dürren Communiqué. Ein kurzer, unpräziser Abriss über eine Karriere durch ausländische, hierzulande kaum bekannte Firmen und ein einziges Foto – mehr Informationen zum völlig unbekannten schweizerisch-italienischen Doppelbürger Roberto Cirillo gibt es nicht.

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Nachfragen bleiben unbeantwortet – sowohl zur Person als auch zum Auswahlprozess. Und eine Würdigung gibts auch nicht. Post-Präsident Urs Schwallers einziges Statement: Cirillo verfüge «über langjährige Managementerfahrung in verschiedenen grossen und mittelgrossen Unternehmen und hat diese durch Transformationsprozesse geführt». Dabei habe er stets eine Verbindung zur Schweiz bewahrt. «Ich bin deshalb überzeugt, dass er die Post erfolgreich in die Zukunft führen wird.»

«Die Post präsentiert den Angestellten wie auch der Bevölkerung eine Blackbox.»

Stefan Müller-Altermatt, CVP-Nationalrat

So weit, so ungefähr. Jedenfalls wird man Haslers Nachfolger nie vorwerfen können, er habe bei der Wahl von Cirillo allzu hohe Erwartungen geschürt. Im Gegenteil. Cirillo startet aufgrund dieser «missratenen Kommunikation» mit einem «Malus», wie es Transfair-Präsident und CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt formuliert. Er sei enttäuscht vom Vorgehen der Post. Nach dem Postauto-Skandal und dem Führungsversagen auf Konzernebene müsse das Vertrauen in die Post wieder aufgebaut werden. «Und was macht die Post? Sie präsentiert den Angestellten wie auch der Bevölkerung eine Blackbox.» In der Tat hätte Cirillo, der nicht weniger als fünf Sprachen fliessend spricht, mit seiner «offenen, umgänglichen und positiven Art» bei einem Auftritt vor Medien und Post-Mitarbeitern punkten können. So jedenfalls sieht das einer, der ihn von früher kennt. Doch diese Chance hat Cirillo nicht erhalten. Er darf erst im April raus.

Immer wieder etwas Neues

Das Resultat: Cirillo gilt schon jetzt als «Hors-sol-Manager», als McKinsey-Boy und für den Post-Chefposten als «garantiert der Falsche», wie die Gewerkschaftszeitung «Work» nach seiner Ernennung titelte. Doch ganz so geschliffen, wie es von einem smarten Berater zu erwarten wäre, verlief Cirillos Karriere nicht. Sie hat auffällig viele Brüche, immer wieder machte er etwas ganz anderes als zuvor, immer wieder sattelte er um: von den Theoretikern an der ETH zu den Praktikern bei McKinsey, vom polyglotten Beraterdasein zum französischen Grosskonzern, vom Tanker in Frankreich zum Kleinboot in London, von einer kleinen, britischen Augenklinikgruppe im Besitz eines international ausgerichteten Finanzdienstleisters zum stark politisierten Service-public-Unternehmen im Besitze der Eidgenossenschaft. Und nicht alle Wechsel waren wohl ganz freiwillig.

Geboren wurde Roberto Cirillo 1971 in Zürich, als Sohn süditalienischer Einwanderer, sein Vater war Arbeiter, die Mutter Lehrerin. Die Familie zügelte später ins Tessin, nach Novazzano, einem Ort mit 2500 Einwohnern oberhalb von Chiasso, wo Cirillo wie auch seine beiden jüngeren Geschwister – ein Bruder und eine Schwester – die Primarschule besuchten. Sein Lehrer Luigi Soldini zeigte dem «SonntagsBlick» nicht ohne Stolz das Klassenfoto des Jahrgangs 1981/82, wo auch Klein Roberto zu sehen ist.

Soldini hat dann seinem ehemaligen Schüler auch noch einen Gratulationsbrief zur Ernennung zum Post-Chef geschrieben, konnte ihn aber bis heute nicht abschicken, da er dessen Adresse nicht kennt. Denn Cirillo hat das Tessin schon vor langer Zeit verlassen und ist nie mehr zurückgekehrt, wie auch die anderen Mitglieder seiner Familie. Sie sind alle weggezogen, in die Deutschschweiz. Das ist wohl auch ein Grund, weshalb kaum jemand im Südkanton Roberto Cirillo kennt. Weder Politiker noch Wirtschaftsvertreter noch die in der Regel gut vernetzten PR-Spezialisten. Kopfschütteln überall. Sogar bei der ETH-Alumni-Vereinigung der Tessiner Studenten kennt ihn niemand.

«Sehr umgänglich»

Nach der Sekundarschule in Chiasso und dem Gymnasium in Mendrisio geht Cirillo nach Zürich. Er erhält ein Stipendium, studiert an der ETH, macht seinen Abschluss als Maschineningenieur und bleibt danach als Forscher und Lehrbeauftragter an der Eidgenössischen Hochschule, konkret: am Institut für Mess- und Regeltechnik, dem heutigen Institut für Dynamische Systeme und Regelungstechnik. Kollegen, die sich an ihn erinnern, beschreiben ihn als «sehr umgänglich», «sehr offen» und «sehr intelligent». Und er hat sie nach seinem Weggang zu McKinsey auch nicht ganz vergessen. Jedenfalls gratulierte er ihnen Jahre später per Mail, als er erfahren hatte, dass sie mit einem Brennstoffzellenfahrzeug einen neuen Weltrekord aufgestellt hatten: Ihr «Auto» war hochgerechnet mit einem Benzinäquivalent von 1 Liter Benzin sagenhafte 5385 Kilometer gefahren.

Plötzlich lässt sich der Globetrotter Cirillo in Frankreich nieder.

Für McKinsey reist Cirillo rund um den Globus – zuerst von Zürich aus, dann ab 2002 von Amsterdam. Er begleitet Projekte in China, Australien, Russland und in der Türkei und wird Associate Partner, bevor er sich 2007 plötzlich in Frankreich niederlässt und mit nur 35 Jahren das jüngste Mitglied der Geschäftsleitung von Sodexo wird, einem 1966 in Marseille gegründeten Grosskonzern, der heute mit rund 460 000 Mitarbeitern in 72 Ländern über 20 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet.

Sodexo ist eine Art erweiterte SV Group, eine Kantinenanbieterin, angereichert mit einer weit gefassten Dienstleistungspalette aus dem sogenannten Facility Management. Der Konzern bietet alles an – von der Sterilisation chirurgischer Instrumente über Kinderkrippen für Firmen bis hin zur Abfalltrennung. Ein Koloss, von dessen Existenz Cirillo noch ein paar Wochen vor seinem Stellenantritt gar nichts gewusst hatte, wie er gegenüber der französischen Presse freimütig zugibt.

Aufstrebender Jungstar

Zuerst ist Cirillo «nur» Strategie- und Innovationschef, doch er steigt schnell auf, übernimmt 2008 auch die Verantwortung für die Kommunikation, wird 2009 zusätzlich Chief Operation Officer (COO) des Konzerns, kurz darauf auch Chef der gewichtigen französischen Einheit, die damals mit rund 35 000 Mitarbeitern knapp ein Fünftel zum Gesamtumsatz beiträgt. Die Zeitung «Les Echos» schreibt von einer «kometenhaften Karriere». Das Magazin «Capital» sieht in ihm gar einen potenziellen Nachfolger von «Big Boss» Michel Landel, wenn dieser sich in ein paar Jahren zur Ruhe setzen sollte. Cirillo selbst schwärmt in den Artikeln von den «bei McKinsey gelernten Techniken». Und seine Mitarbeiter, die «Cirillo-Boys», beschreiben ihren Chef als «perfekte Mischung aus germanischer Strenge und lateinischer Geselligkeit». Es sind wohlwollende Porträts eines aufstrebenden, bis anhin in Frankreich völlig unbekannten Jungstars im Sodexo-Universum. Doch damit ist bald Schluss.

Plötzlich ist Cirillo wieder weg. Im Geschäftsbericht 2012 ist er nicht mehr Teil der operativen Konzernleitung. Der Titel des COO gebührt neu dem Nordamerika-Chef George Chavel. Auch wird Cirillo im 320 Seiten starken Bericht mit keinem einzigen Wort erwähnt. Bei Sodexo will man sich nicht zur Degradierung äussern. Klar ist: Cirillo ist fortan nur noch Chef der französischen Einheit. Die ist zwar gross, doch als er im Juli 2014 seine Koffer packt und nach London zieht, lässt das die französische Presse kalt.

Seine neue Wirkungsstätte ist die seit 2008 operative Augenklinikgruppe Optegra mit 23 Spitälern, Kliniken und Praxen in Grossbritannien, Tschechien, Polen, Deutschland und China. Die Gruppe mit Sitz auf den Bermudas gehört Eight Roads, dem Venture-Capital-Arm des Finanzdienstleisters Fidelity. Zahlen sind spärlich, Informationen auch. Aus einem Geschäftsbericht vom 30. Juni 2017 geht hervor, dass die sieben Spitäler und sechs Kliniken in Grossbritannien mit 211 Mitarbeitern rund 34 Millionen Pfund Umsatz und 9 Millionen Pfund Verlust ausweisen. Die gesamte Gruppe dürfte also einen Umsatz von umgerechnet 80 bis 100 Millionen Franken machen. Und einen Verlust von 15 bis 20 Millionen Franken, wobei rote Zahlen bei einem Start-up auf Expansionskurs nichts Aussergewöhnliches sind.

Vom Grosskonzern zur Mikrofirma – Cirillos Karriere hat viele Brüche.

Der Bruch könnte nicht grösser sein: vom französischen Grosskonzern zum Mikrounternehmen, über das selbst in der britischen Presse kaum jemand schreibt. Grössere Artikel gibt es eigentlich nur auf Investorenportalen mit Fokus auf Gesundheitsfragen, und auch diese sind rar. Weder Cirillo noch die Post wollen den erstaunlichen Wechsel kommentieren. «Optegra welcomes new CEO», vermeldet das Unternehmen am 4. November 2014. Cyrus Jilla, der Chef von Eight Roads und Präsident von Optegra, lässt sich darin wie folgt zitieren: «Roberto stösst in einer entscheidenden Phase unserer internationalen Expansion zu Optegra.» Und weiter: «Unser Ziel ist es, die weltweit führende Gruppe von Augenkliniken zu werden, die für ihre klinische Exzellenz und ihren aussergewöhnlichen Patientenservice bekannt ist.» Er habe keinen Zweifel, dass Roberto Cirillos Vision und Führungsqualitäten die Gruppe «in die nächste Phase der Entwicklung und Reife» führen würden.

Gut drei Jahre später, am 7. März 2018, publiziert die öffentlichkeitsscheue Augenklinik-Gruppe wieder ein Communiqué mit dem Titel «Optegra welcomes new CEO». Diesmal ist es der Belgier Peter Byloos, der per sofort den Chefposten übernimmt. Ein Mann, der aus der Gesundheitsbranche kommt. Jilla freut sich, dass Byloos «unsere Leidenschaft für den weiteren Ausbau des unvergleichlichen Rufs von Optegra in der Augenheilkunde teilt und dass er verspricht, unsere ehrgeizigen klinischen und kommerziellen Ziele mit neuer Kraft zu verfolgen.» Kein Wort zum Vorgänger, auch auf mehrfache Nachfragen hin nicht. Eight Roads und Fidelity lehnen es explizit ab, zu Cirillos Abgang Stellung zu nehmen. Nicht einmal mit einer nichtssagenden Standardfloskel.

Klar ist, dass der erwünschte Expansionskurs unter Cirillo nicht stattfand, auch wenn in seine Ära die Eröffnung der Optegra-Klinik respektive des «Flaggschiff-Spitals» an der für ihre medizinischen Dienste bekannten Harley Street im Zentrum von London fällt. Aber unter dem Strich ist die Bilanz negativ: Als er den Chefposten übernahm, hatte Optegra 25 Einrichtungen, beim Start von Byloos waren es noch 23.

Arbeitslos in London

Faktisch war Cirillo nach dem Abgang bei Optegra also arbeitslos, als er in den Auswahlprozess für den Post-Chefposten einstieg. Ein Umstand, den die Post nicht weiter stört. Cirillo habe «den Verwaltungsrat insbesondere mit seiner fundierten Erfahrung in der Führung von Grosskonzernen in anspruchsvollen Transformationsprozessen» überzeugt, heisst es dort. «Sein breites Wissen – auch aus anderen Marktbereichen – wird der Post künftig neue Impulse geben.» Zudem kenne er internationale Marktmechanismen und könne diese Erfahrung in die Schweiz einbringen.

Angesichts der Tatsache, dass Cirillo nebst dem Verwaltungsratsmandat beim Spezialitätenchemieunternehmen Croda, das er auch in Zukunft behalten wird, keinen operativen Job hatte, stellt sich die Frage, wieso er den Post-Chefposten erst im April übernimmt. Und wieso er bis dahin nicht in Erscheinung tritt. «Es gibt ihn tatsächlich», sagen jene lachend, die ihn in den letzten Wochen schon mal gesehen oder mit ihm telefoniert haben. Viele sind das nicht. Auch die Spitzenbeamten der Bundesverwaltung, welche die Eignerinteressen gegenüber der Post vertreten, haben Cirillo noch nicht zu sehen bekommen. Sie wurden vom Post-Präsidenten im Vorfeld der Wahl nur mit schriftlichen Unterlagen versorgt. Und auch bei der zuständigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga war Cirillo noch nie.

Die Order kommt aus dem Post-Konzern und lautet: Funkstille bis im April. Dann soll Cirillo der Welt präsentiert werden, und bis dahin sollen sich alle gefälligst gedulden. Diese Kommunikationsstrategie stammt offenbar von Urs Schwaller. Der Post-Präsident wollte nach dem Krisenjahr 2018 zuerst reinen Tisch machen. Mit dem Post-Urgestein Ulrich Hurni als Interimschef zog er von parlamentarischer Kommission zu parlamentarischer Kommission, mit ihm an der Seite handelte er nach dem Postauto-Subventionsskandal die Modalitäten für die Rückerstattung an die Kantone aus. Hurni ist es auch, der ihn jetzt zu den Eignergesprächen, zum ersten Treffen mit der neuen Post-Ministerin Sommaruga und vor die Medien für die Präsentation des Jahresabschlusses begleitet. Schwaller will einen «sauberen Übergang», wie er zu sagen pflegt, einen «klaren Schnitt». Die offizielle Stabsübergabe erfolgt dann an der Generalversammlung vom 16. April. Die Post, aufgeschreckt und zutiefst verunsichert durch den Postauto-Skandal und die mediale Dauerkritik, will jetzt alles ganz korrekt machen. Überkorrekt.

Problem: Poststellen

Das Poststellennetz wird radikal umgebaut: 2001 gab es gut 3200 Poststellen, heute sind es noch etwas über 1000; bis ins Jahr 2020 will die Post nur noch 800 bis 900 eigene Filialen betreiben, hinzu kommen 1200 bis 1300 Agenturen mit Partnern, Aufgabe- und Abholstellen sowie Hausserviceangebote. Die Post spricht von insgesamt 4200 «Zugangspunkten». Doch die Abbaupläne stossen auf Widerstand: Anfang Jahr wurden die minimalen Vorgaben in Bezug auf die Erreichbarkeit von Poststellen verschärft.

Poststelle Schalter in Luzern
Quelle: © KEYSTONE / URS FLUEELER

Cirillo – der Mann für die neue Strategie

Kurz gesagt: Hurni ist der Übergangschef für die Vergangenheitsbewältigung, der unbelastete Cirillo soll der Chef der Zukunft und der Erneuerung werden, der Mann für die neue Strategie, für die Zeit nach 2020. Als solcher wird er gleich ein paar grundsätzliche Fragen beantworten müssen, um die sich Post und Politik bis anhin mehr oder weniger erfolgreich gedrückt haben: Was soll die Post in Zukunft leisten? Welchen Service public muss sie bereitstellen? Zu welchem Preis? Und wer soll dafür bezahlen? Falls die Post das selber tun muss, mit welchen Gewinnen aus welchen neuen Geschäftsfeldern soll sie das tun, jetzt, da die Postfinance die Rechnung nicht mehr übernehmen kann? Und lässt man sie dafür verstärkt ins Ausland gehen?

Die Zeit für eine solche Grundsatzdebatte ist günstig: Der Postauto-Skandal hat den ganzen Konzern heftig durchgeschüttelt und nicht nur die Mängel respektive Grenzen des aktuellen Markt-Staat-Mischsystems aufgezeigt, sondern eine Erneuerungswelle beim Führungspersonal eingeleitet – bei der Postauto-Geschäftsleitung, bei der Konzernleitung, im Verwaltungsrat.

Eigentlich eine Chance für einen Manager wie Cirillo, für einen, der von aussen kommt und der als McKinsey-Berater gelernt hat, Top-down-Strategien zu entwickeln und zu implementieren. Doch dafür braucht er volle Rückendeckung vom Verwaltungsrat. Und das Vertrauen der neuen Post-Ministerin Sommaruga. Sonst bleibt der Post-Tanker auf seinem alten Kurs. Und das bedeutet: Die einzelnen Bereiche machen Pläne, wie sie ihr Geschäft in den kommenden Jahren optimieren wollen. Und diese Bereichsziele werden dann – angereichert mit etwas Digitalisierungsjargon – an einer zentralen Stelle zu einer «Transformations»-Strategie zusammengefasst.

Problem: Postauto

Über Jahre hat die Post-Tochter zu hohe Subventionen eingesteckt. 2018 flogen die Machenschaften auf, die Post musste rund 200 Millionen Franken an die Kantone zurückzahlen. Die gesamte Postauto-Geschäftsleitung wurde ausgetauscht, das Frankreich-Abenteuer gestoppt. Die grundsätzlichen Fragen bleiben aber unbeantwortet: Sollte Postauto aus dem Post-Konzern ausgegliedert werden? Oder wie werden die Postautos Teil eines modernen Mobilitätskonzepts, das Zug-, Bus-, Auto- und Velo-Angebote verknüpft?

Postauto
Quelle: © KEYSTONE / PETER KLAUNZER

Fehlender Bezug zu Bundesbern

Gesucht hat die Post einen Manager, der einen Grosskonzern führen kann; einen mit Auslanderfahrung, der mehrere Landessprachen spricht und die Mechanismen von Bundesbern kennt und weiss, was Service public ist. Cirillo wird einigen Anforderungen gerecht: Er hat Auslanderfahrung, weiss dank seinen Jahren bei Sodexo, wie ein Grosskonzern mit viel Personal geführt werden muss. Und er spricht neben den drei Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch auch Englisch und Spanisch. Doch er hat keine Ahnung von Bundesbern. Ein Schweizer Pass allein genügt nicht als Qualifikation zum Post-Chef, das musste schon einer seiner Vorgänger, Reto Braun, erfahren.

Viele sehen Parallelen zwischen Cirillo und Braun, die beide nach einer internationalen Karriere in der Privatwirtschaft in die Schweiz zurückgeholt und an die Spitze der Post gesetzt wurden – nachdem ihre Vorgänger, Jean-Noël Rey respektive Susanne Ruoff, ihren Stuhl unfreiwillig hatten räumen müssen. Braun hatte Jahrzehnte im Ausland verbracht, hatte bei Unisys und der kanadischen Moore Corporation Karriere gemacht, bevor er 1999 als Konzernchef der Post in die Schweiz zurückkehrte. Gleich bei seinem ersten grossen öffentlichen Auftritt sprach er über seine grossen Pläne: über Preiserhöhungen bei der Briefpost und vor allem über einen avisierten Personalabbau von 800 Stellen pro Jahr. Der Aufschrei liess nicht lange auf sich warten. Die Post-Gewerkschaften machten mobil, die Politiker mischten sich ein. Obendrauf gabs ein «Päcklichaos» und Unstimmigkeiten in der Konzernleitung mit diversen Abgängen. Nach nur 16 Monaten schmiss Braun den Bettel hin und flüchtete kurz vor dem Platzen der New-Economy-Blase als Chef und Teilhaber zum Zuger Softwareunternehmen Fantastic, was sich im Nachhinein als äusserst unglückliche Entscheidung erwies.

Problem: Postfinance

Die Postbank war jahrelang die Finanzierungsquelle für den Post-Konzern. Doch wegen der anhaltenden Tief- respektive Negativzinsperiode ist ihr Kerngeschäft, das Zinsdifferenzgeschäft, zusammengebrochen. Der Gewinneinbruch und die Ankündigung des Abbaus von 500 Stellen haben die Politik wachgerüttelt. Der Bundesrat will nun das Kreditverbot für die Postfinance aufheben und im Gegenzug die Post-Tochter teilprivatisieren. Die Alternative wäre eine staatlich verordnete Schrumpfkur.

Postfinance
Quelle: © KEYSTONE / CHRISTIAN BEUTLER

Als Post-Chef ist Reto Braun letztlich an der komplizierten Verzahnung von Wirtschaft und Politik gescheitert. An der Feinmechanik von Bundesbern. Am mangelnden Verständnis, was ein Staatsbetrieb ist. Und was er leisten soll. Rentabilität ist zwar politisch gewünscht, Kundenorientierung ebenfalls, aber eben auch eine grosszügige Grundversorgung. Deshalb braucht es fürs Lenken der Post angesichts der zahlreichen Grossbaustellen ein feines politisches Gespür (siehe auch «Probleme»). Und heute wohl noch mehr als vor sieben Jahren beim Amtsantritt von Susanne Ruoff. Ihr mangelndes Gehör für die Fragen des Service public hat letztlich dazu geführt, dass die Politik die Post eher wieder an die kürzere Leine genommen hat. Ebenso wie Haslers als arrogant empfundenes Auftreten gegenüber Bundesbeamten und Parlamentariern.

Das gelbe Räderwerk läuft und läuft – ohne Cirillo

Vielleicht könnte Cirillo ein Kommunikationschef mit grosser Politaffinität helfen. Doch dieser Job wurde bereits Ende Dezember an Alexander Fleischer vergeben, den ehemaligen Kommunikationschef der Region Deutschland, Österreich und Schweiz von Ernst & Young, also jenem Beraterkonzern, der hierzulande in jüngster Zeit vor allem wegen seines MeToo-Skandals in den Medien war. Cirillo und Fleischer, der McKinsey- und der EY-Mann, wie Kritiker monieren, haben sich vor der Ernennung kurz getroffen, um zu sehen, ob sie miteinander klarkommen. Richtig involviert war Cirillo bei der Suche nicht. Die Wahl des Leiters Kommunikation obliege dem Nominationsausschuss des Verwaltungsrats, heisst es bei der Post.

Wenn Cirillo tatsächlich der Mann der Erneuerung sein soll, wieso schlägt dann die Post dauernd neue Pflöcke ein, die den Spielraum für die Zukunft einschränken? Sei es bei der Wahl des Kommunikationschefs oder bei der neuen Poststellen-Organisation, wo sich plötzlich alle Poststellenleiter neu um ihre eigene Stelle bewerben müssen. Mag sein, dass diese Reorganisation schon früher eingeleitet wurde, dennoch könnte der Konzern kurz innehalten, bis der neue Kapitän an Bord ist. Doch das gelbe Räderwerk läuft und läuft. Ganz ohne Cirillo, der mit seiner Frau noch immer in London weilt.

Problem: Politik

Das Hauptproblem der Post ist, dass der Eigner nicht klar sagt, was er von seinem Konzern verlangt. Die aktuellen vom Bundesrat verabschiedeten strategischen Ziele gleichen einer wahllos zusammengeschusterten Wunschliste. Die Post-Spitze müsste dringend gemeinsam mit dem Bund ein paar grundsätzliche Fragen klären. Gelingt das nicht, werden die Parlamentarier, angetrieben vom jeweils neusten medial befeuerten Post-Skandal, den Konzern weiter vor sich hertreiben.

Parlament Politik Bundeshaus
Quelle: © KEYSTONE / ANTHONY ANEX

Für die Chefsuche verantwortlich waren neben Schwaller der Banker Marco Durrer und die frühere Max-Havelaar-Geschäftsführerin Nadja Lang. Zu dritt bilden sie den Nominationsausschuss. Aussen vor standen die Gewerkschaften – wenn auch ganz selbstverschuldet. Denn die Arbeitnehmervertreterin Susanne Blank hatte ihren Rücktritt im Zuge der Postauto-Affäre so kurzfristig bekannt gegeben, dass ihr Nachfolger erst nach vollendeter Chefsuche ins oberste Strategiegremium gewählt werden konnte.

Für den Post-Chef gibts maximal 1 Million Franken – Arbeitgeberbeiträge inklusive.

Bleibt die Frage: Wie haben Schwaller und seine Mitstreiter den hierzulande unbekannten Cirillo eigentlich gefunden? Offiziell mit der Suche nach einem Konzernchef beauftragt war die Amrop Executive Search. Sie hatte nach einem «Einladungsverfahren» den Zuschlag erhalten. Wie die Post die Wahl der Headhunter getroffen hatte, die sich um den Rekrutierungsauftrag bewerben durften, bleibt unklar. Sie habe aber mindestens drei Teilnehmer eingeladen. Ob dann letztlich tatsächlich Amrop Cirillos Kandidatur in Bern eingebracht hat, will die Post nicht verraten.

Klar ist, dass die Chefsuche alles andere als einfach war, umso mehr, als es unbedingt ein «richtiger» Manager sein musste. Viele Interessenten fragten sich, «ob sie diesen medialen und politischen Druck aushalten wollen», sagte Schwaller gegenüber der «NZZ am Sonntag» (Artikel für Abonnenten zugänglich). «Ob sie damit leben können, einmal pro Woche durchs Dorf gejagt zu werden.» Und das für einen Lohn von maximal einer Million Franken – inklusive Arbeitgeberbeiträgen für die Vorsorge. Ruoff hatte die Millionengrenze noch geknackt, wenn man alle Zahlungen in die berufliche Vorsorge einrechnet.

In die engere Auswahl haben es zuletzt nebst Cirillo offenbar ein IT-Chef einer mittelgrossen Bank sowie der Tamedia- und ehemalige Swisscom-Manager Christoph Brand geschafft, wobei beim Letzteren unklar ist, ob er dann seine Kandidatur zurückgezogen hat. Schwaller kann jetzt nur hoffen, dass er die richtige Wahl getroffen hat. Und nicht schon bald wieder einen neuen Chef präsentieren muss. Womöglich wieder an einem 22. November.

Dieser Artikel erschien in der März-Ausgabe 03/2018 der BILANZ.