Die Via Stendhal ist keine Strasse, an der man zufällig vorbeikommt. Schon gar nicht als Tourist oder Uneingeweihter. Trotzdem steht ein Türsteher vor der Hausnummer 36. Er öffnet höflich die Wagentür, schaut aber so fragend, dass man sich genötigt fühlt zu erklären, ein Tisch sei reserviert und der Geschäftsführer informiert. Dabei ist das «Circle Lounge & Restaurant» kein Privatclub und an diesem Abend nicht einmal sonderlich gefüllt. Doch das Lokal befindet sich im Hauptquartier des Modelabels Diesel in Mailands trendiger Zona Tortona, und allein diese Tatsache verlangt offenbar nach einer sorgfältigen Überprüfung aller unbekannten Gäste.

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Diesel-Chef Renzo Rosso, der Rockstar unter den Jeansherstellern, hat den Trend diesmal aber verschlafen. Als er im Frühjahr 2009 sein Restaurant eröffnete, mit tiefen Sofas, schweren Ledersesseln und einem hufeisenförmigen Bartresen, der wie eine Bühne unter 8300 Glühbirnen erstrahlt, hatten sich Kollegen von Giorgio Armani bis Roberto Cavalli längst mit eigenen Bars, Clubs und Restaurants etabliert. Denn in Mailand reicht es nicht mehr, mit Läden präsent zu sein. Die Kunden wollen mehr, davon ist Stefano Gabbana überzeugt: «Sie möchten einkaufen, legen aber auch Wert auf einen guten Haarschnitt und setzen sich gerne in eine schicke Bar.» Also eröffneten Dolce & Gabbana direkt neben ihrem Herrenladen am Corso Venezia nicht nur einen nostalgischen Barber Shop, sondern auch die im D&G-Stil gestaltete «Martini Bar» – mit schwarzen Wänden und Ledersofas, blutroten Servietten und einem rotgoldenen Drachen, der über den pechschwarzen Mosaikboden kriecht. Die durchwegs gut aussehenden Kellner tragen, was in der D&G-Herrenkollektion gerade aktuell ist: körperbetonte, einreihige Sakkos mit schmalem Revers, enge Hosen und schneeweisse Hemden. Es ist der Look von Marcello Mastroianni in «La Dolce Vita», leicht verwegen, südländisch, ein wenig mafiös.

Die Vorliebe der beiden für Italiens Süden widerspiegelt sich auch im kulinarischen Angebot. Auf der Karte stehen: Orangen-Fenchel-Salat sowie Nudeln mit Sardellen, Kapern und schwarzen Oliven, aber auch eine gelungene Fish’n’Chips -Variante auf Seeteufelbasis und eine perfekt zubereitete Costoletta alla milanese, die Mailänder Version des Wiener Schnitzels. Die «Martini Bar» eröffnete 2003, sie wurde schnell zu einem Hot Spot der Modemetropole und wird auch von Gästen wie Eros Ramazzotti, Naomi Campbell oder den Beckhams frequentiert. Domenico Dolce und Stefano Gabbana entschieden sich für eine Steigerung und weihten im Oktober 2006 das zweistöckige «Gold» ein. Der Midas-Touch ist allgegenwärtig: Gold an Tischen und Lampen, an Armaturen, am Treppengeländer und am Bartresen. Die Monogramme auf den Servietten glänzen ebenso wie die kleinen Plaketten, die für die abgegebene Garderobe ausgehändigt werden. Auch der Goldtini-Cocktail scheint Gold zu enthalten, jedenfalls schlägt er mit 18 Euro zu Buche. Nicht ganz billig ist auch das Vergnügen, einen Risotto mit Kaviar-Häubchen zu verspeisen. Doch Dolce & Gabbana standen noch nie für Understatement. Aufsehenerregende Geschmacksverirrungen gehören eher zu ihrem Stil. So sitzt man im «Gold» in einer konsequent gestalteten D&G-Welt – an der Piazza del Risorgimento nicht eben zentral gelegen –, die jedoch weder Models noch sonstige Celebrities lockt, sondern nur einige völlig unglamouröse Mailänder.

Unverspielt. Wer auf Gold verzichten kann und im Modeambiente wirklich gut essen möchte, geht zur Piazza della Scala. Dem Opernhaus gegenüber steht ein imposanter Palast aus dem 18.  Jahrhundert, in dessen sechs Stockwerken sich die Zentrale des Trussardi-Imperiums befindet. Im Erdgeschoss sind der Flagship Store und das «Café Trussardi» untergebracht, ein Stockwerk darüber das mit zwei «Michelin»-Sternen ausgezeichnete «Il Ristorante». Es ist das Reich von Andrea Berton, der bereits mit Alain Ducasse am Herd stand und hier eine schnörkellose und auch optisch leicht verständliche Küche pflegt. Sein Risotto kommt mit knusprig gebratenem Kalbsbries auf den Tisch, das Mailänder Schnitzel liegt neben geröstetem Chicorée. Alles ist einfach und unprätentiös, aber mit erstklassigen Zutaten zubereitet – ganz so, wie es der Trussardi-Philosophie entspricht. «Unsere Präsidentin Beatrice Trussardi hat mich nicht zufällig ausgewählt», sagt Berton, «sondern weil mein Stil zu ihrem Haus passt. Sie mag keine Spielereien. Wichtig ist ihr die Qualität der Materialien, in der Mode wie in der Küche.» Eingerichtet wurde das Restaurant von Milan Vukmirovic, dem Kreativdirektor des Labels Trussardi 1911. Er setzte auf einen modernen Minimalismus, zurückhaltend, schlicht, aber keineswegs kühl. «Es geht hier nicht um Mode, sondern darum, ein angenehmes Umfeld für Menschen zu schaffen, die gerne gut essen», sagt Vukmirovic. Weshalb ein Modelabel überhaupt ein Restaurant braucht, kann der aus Jugoslawien stammende Designer nicht erklären, wohl aber der Italiener Berton: «In Italien gehört Essen zur Gastfreundschaft. Wir möchten unseren Kunden etwas Zusätzliches anbieten, etwas, woran sie Freude haben.»

Guter Riecher. Giorgio Armani hat eine andere, deutlich eitlere Erklärung: «Ich wollte einen Ort schaffen, der meine Ästhetik und mein Stilgefühl widerspiegelt. Es geht mir nicht nur um Bekleidung und Mode, sondern um ein Lebensgefühl.» Man muss ihm zugutehalten, dass er der erste der italienischen Designer war, der einen Zusammenhang zwischen Mode und Küche herstellte. Als er im Jahr 2000 einen Ableger des japanischen «Nobu» in seinem Megaladen an der Via Manzoni eröffnete, konnte er nicht wissen, dass er damit einen Trend setzen würde. Oder doch? Zumindest muss er geahnt haben, dass es Menschen Spass machen würde, in einem Modehaus zu essen. «‹Nobu› ist ein guter Ort für einen Apéritif, viele junge, schicke Leute kommen direkt nach dem Einkaufen. Ich selbst bin oft vor dem Dinner hier und geniesse die Atmosphäre», sagt Armani, der ganz in der Nähe wohnt.

Geahnt hat er wohl auch, dass Italiener gerne Sushi und Sashimi essen würden, die es damals in Mailand nicht gab, und dass sie nach dem Essen gerne einen Club besuchten, der weniger laut und voll als die anderen angesagten Nachtlokale ist. Also eröffnete er das «Privé», einen eleganten «Members only»-Club, in dem man Fussballspieler, Models und andere Modedesigner trifft – wenn man denn hineingelassen wird.

Giorgio Armani hat seinem ebenfalls im Megaladen untergebrachten «Emporio Armani Caffè» jüngst ein neues Outfit verpasst. Zurückhaltende Crème-, Beige- und Cappuccino-Töne mussten einer markanten Schwarz-Rot-Grün-Variante weichen. Noch dieses Jahr soll das erste Armani-Hotel in Mailand eröffnet werden. Damit hätte der 75-Jährige wieder die Nase vorne – sieht man vom jüngst eröffneten Hotel Maison Moschino ab, an dem der 1994 verstorbene Label-Gründer Franco Moschino aber nicht mehr beteiligt war. Gefallen hätte ihm das Fashion Hotel bestimmt: Ein blutrotes Abendkleid ziert das Bett-Kopfteil, ein Märchenwald den Baldachin, auf dem Nachttisch kauert das weisse Kaninchen aus Alice im Wunderland, und im Bett liegt der böse Wolf. Wer sein Frühstück aufs Zimmer bestellt, bekommt Cappuccino und Croissant in einer schicken Schuhschachtel serviert. Die 65 Zimmer kosten bis zu 600 Euro pro Nacht. Dafür könnte man auch eine der verspielten Kreationen aus Moschinos Cheap-&-Chic-Linie kaufen, die am Eröffnungsabend vom 25.  Februar im Hotel vorgeführt wurden.