Kühe und teure Steine seien eigentlich alles, was sie täglich zu sehen bekämen, lacht Sandeep Panchal. Der 41-jährige Inder arbeitet zusammen mit sechs Kollegen in den Räumen einer ehemaligen Zivilschutzanlage im Toggenburg.

Ihre Welt ist eine Art Hochsicherheitstrakt in einem Weiler nahe Wil. Der Zugang zur Manufaktur erfolgt durch drei Kontrolltüren mit Schleusen. Der Unternehmer Urs Peter Koller muss heute über sich selber schmunzeln. Als er vor zweieinhalb Jahren gemeinsam mit einem Partner die Firma Zipangu Swiss Gems gründete, war er als Neuling im Geschäft überzeugt davon, dass Geheimhaltung und Sicherheit oberste Priorität hätten beim Umgang mit den teuren Steinen. Nach Besuchen in Schleifereien in Antwerpen und Indien stellte er aber fest, dass dort in völlig normalen Fertigungsräumen gearbeitet wird – überirdisch und mit grossen Fensterfronten.

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Das Gros der Steine, die im Besitz der Firma sind, liegt sowieso im Banktresor. Vor Ort sind nur diejenigen gelagert, die gerade bearbeitet werden. Immerhin kommen je nach Grösse der einzelnen Stücke auch so Zehn- bis Hunderttausende von Franken zusammen. Produktionschef Sandeep Panchal zeigt den Schatz. Die glitzernden Steine werden ganz unscheinbar aufbewahrt, eingewickelt in zerknitterte Papierumschläge, auf die Karatangaben und Qualitätsmerkmale gekritzelt sind.

Bubentraum. Panchal stand während 20 Jahren für Rosy Blue im Einsatz, den weltgrössten Diamantenverarbeiter aus Antwerpen, der Hochburg des Edelsteinhandels. Zuletzt war er in Moskau tätig. Das Angebot, in die Schweiz zu kommen, nahm er gerne an. Seine Teamkollegen, allesamt aus Indien und Sri Lanka stammend, wo das Handwerk Tradition hat, sind ebenfalls schon lange Jahre im Geschäft. Und jetzt also in der Schweiz, zum Diamantenschleifen zwischen Thur und Bodensee.

Ein verrücktes Projekt? «Es ist meine Leidenschaft», sagt Firmeninhaber Urs Peter Koller. «Und warum sollte ausgerechnet das Uhren- und Schmuckland Schweiz dieses Präzisionshandwerk nicht pflegen?» Dabei sind die Betriebskosten für die Manufaktur in der Schweiz wesentlich höher als in Billiglohnländern. Zipangu zahlt den Angestellten über 20-mal so viel, wie sie etwa in Indien bekämen. Dort verdient ein Schleifer im Schnitt 200 bis 300 Dollar im Monat. Im Toggenburg werden deshalb vorwiegend grosse Diamanten geschliffen, denn im oberen Preissegment fallen die Verarbeitungskosten nicht so stark ins Gewicht. Über 500 Diamanten hat das Team bisher verarbeitet, als grössten bisher einen 21-Karäter, der als Rohdiamant über 50 Karat wog.

Nach einer ersten Karriere gründete der Ostschweizer ein eigenes Start-up-Unternehmen. Gemeinsam mit seinen Partnern hatte Urs Peter Koller während 25 Jahren die Generalunternehmung HRS Real Estate aufgebaut. Das Unternehmen startete einst mit drei Bauführern, heute beschäftigt HRS 180 Angestellte. Ende 2008 verabschiedete sich Koller und verkaufte seine Aktienmehrheit an die Firmenpartner.

Nun verwirklicht er einen Bubentraum. Schon als Junge wollte er Schmuckdesigner werden, die Auslage eines kleinen Geschäfts im heimischen Bischofszell TG hatte es ihm angetan. Doch sein Vater warnte ihn, das sei eine brotlose Kunst. Koller machte eine Ausbildung zum Architekten. «Die Freude an schönen Sachen blieb», sagt er. Er selber trägt zwar keinen Schmuck, doch er kaufte Preziosen für seine Liebsten, erstand Stücke bei Sotheby’s und sei es nur, um sie zu lagern und zu betrachten.

Die Feinarbeit erfordert sehr viel Expertise. Vier Kriterien – die sogenannten 4 C – bestimmen den Wert eines Diamanten und damit auch seinen Preis: Cut (Schliff), Colour (Farbe), Clarity (Reinheit) und Carat (Gewicht). Zwei Steine von gleichem Gewicht und scheinbar gleichem Aussehen können von völlig unterschiedlicher Qualität und entsprechend differierendem Wert sein, auch wenn das ungeübte Auge keine Differenz ausmachen kann. Über 500 Farbnuancen werden unterschieden, von Weiss über Gelb bis Cognac. Für jede Farbe gibt es in der internationalen Rapaport-Preisliste zehn Qualitätskategorien. Dazu kommt eine Skala für die Reinheit eines Diamanten – noch einmal elf Klassen.

Zwischen 50 und 60 Prozent an Gewicht verliert ein roher Stein in der Regel durch die Verarbeitung. Damit aus einem Diamanten das Maximum herausgeholt werden kann, braucht es Erfahrung und moderne Technologie. In Kollers Betrieb stehen elektronische Hightechplaner, welche die Steine ausmessen und berechnen, welches die optimale Form ist: ob der rechteckige Emerald-, der quadratische Princess-, der längliche Navette- oder Marquiseschliff, ob Herzform oder der klassische Brillantschliff, der am begehrtesten und auch am teuersten ist, weil bei der Produktion am meisten «Abfall» entsteht. Die Winkel werden an der Maschine präzise definiert, sodass die Facetten symmetrisch zueinander stehen und der Stein das schönste «Feuer» erhält.

Aufwendige Handarbeit. Drei Fiberlaser führen dann jeweils die geraden und runden Schnitte aus. Nach jedem Verarbeitungsschritt werden die Steine anhand der Computerdaten geprüft. Ein Schleifautomat fügt die ersten 16 Hauptfacetten an.

Die Endveredelung, der letzte Schliff und die Politur, aber erfolgt von Hand. Höchstens acht Stunden am Tag sollen Mansukh Kalsariya und sein Kollege Denzil Rodrigo über der Schleifscheibe sitzen, um die Augen nicht zu stark zu ermüden. Die Drehscheibe besteht aus Metall und ist mit Diamantenstaub überzogen. Weil Diamant das härteste Material überhaupt ist, kann er nur mit seinem eigenen Pulver geschliffen werden.

Ungefähr 800-mal am Tag prüft ein Schleifer während seiner Arbeit den Stein von Auge. An einem 5-Karäter arbeitet er drei bis vier Tage, für einen 20-Karäter benötigt er bis zu einem Monat. Es braucht grosse Sorgfalt, damit der Schliff perfekt wird, der Stein keine brüchige Oberfläche und keinen Schleier bekommt und nicht an Farbe oder Glanz verliert. Das braucht sanfte Bewegungen, zu schnell darf die Arbeit nicht verrichtet werden. «Ein Schleifer muss sich in den Stein verlieben, dann geht es am besten», sagt Sandeep Panchal. Verliert ein Stein durch einen Verarbeitungsfehler an Karat, kann das grosse Summen kosten – besonders viel, wenn ein Diamant von einer Karatkategorie in die nächsttiefere fällt. Die Preisdifferenz zwischen einem Stein von 4,99 Karat und einem von 5 Karat macht zum Beispiel 30 Prozent aus.

Zum Einkauf reist das Zipangu-Team nach Antwerpen oder Israel. Doch nur ein Teil der Rohdiamanten wird an den grossen Handelsplätzen erworben. Die Firma besitzt eine Exportlizenz für Diamanten aus Sierra Leone – ausgerechnet dem Schauplatz des Films «Blood Diamonds» mit Leonardo DiCaprio, der den schmutzigen Handel mit Edelsteinen thematisiert. Die Missstände seien angegangen worden, betont Koller. Er verweist darauf, dass Zipangu mit Kimberley-Zertifikaten arbeite, Ursprungszeugnissen, die beim Export aus afrikanischen Ländern für Rohdiamanten ausgestellt werden. Zipangu betreibt vor Ort drei Büros.

Der Vorteil: «Unsere Diamanten gelangen direkt und ohne Zwischenhandel in die Fertigung», sagt Verkaufs- und Marketingchef Alessandro Anastasio. Geschäftszahlen gibt das Unternehmen nicht bekannt, Abnehmer sind laut Anastasio bisher vor allem Juweliere und private Investoren. Mit den grossen Händlern in der Schweiz und im Ausland stehe Zipangu in Verhandlungen. Zudem will das Unternehmen die Edelsteine als krisenbeständiges Investment analog zum Gold vermarkten. Aus Leidenschaft allein wird die Firma nicht betrieben, sie soll profitabel werden. Immerhin wurde ein zweistelliger Millionenbetrag in den Betrieb investiert.

Was sich hinter der Fassade der Zivilschutzanlage verbirgt, weiss im Dorf kaum jemand. Eine Nachbarin, die sich gewundert hatte, konnte Koller beruhigen – sie hatte hinter den dicken Mauern eine Waffenschmiede vermutet.