Es war eine bemerkenswert radikale Entscheidung: Nach der schwierigen Coronazeit drückte Starkoch Daniel Humm 2021 die Reset-Taste. Der Schweizer Foodkünstler richtete sein New Yorker Edellokal Eleven Madison Park völlig neu aus und kündigte an, fortan nur noch vegan aufzutischen respektive auf Fleisch, Fisch und andere tierische Produkte zu verzichten. Seine Begründung war nachvollziehbar: Angesichts des Klimawandels müsse Luxus anders definiert werden – mit nachhaltiger Speisekarte. Humm, der kulinarische Avantgardist, wurde dafür gefeiert.
Karin Kofler ist freischaffende Publizistin.
Dieser Tage nun die Kehrtwende. Ab Mitte Oktober kommt in Humms Dreisternelokal (Menüpreis: 365 Dollar) nach vier Jahren Enthaltsamkeit wieder Fleisch auf den Tisch. Immerhin versuchte der Schweizer Spitzenkoch gar nicht erst, das Ganze kommunikativ so zu verkaufen, als ginge es um einen wohldurchdachten Philosophiewandel. Er gestand, dass ihn knallharte wirtschaftliche Gründe zu diesem Schritt bewogen hatten. Der Schweizer Tausendsassa, der seit kurzem mit der US-Schauspielerin Annabelle Dexter-Jones verheiratet ist, hat den Markt schlicht falsch eingeschätzt. Private Bankette – eine relevante Einnahmequelle in der Spitzengastronomie – gingen plötzlich nicht mehr so flockig ins Reservationsbuch ein wie zuvor. «Es ist schwierig, dreissig Personen für ein Geschäftsessen in ein pflanzenbasiertes Lokal zu bekommen», erklärte der Schweizer Vorzeigekoch.
Dieser Entscheid löste eine Kontroverse aus. Die einen sehen den 48-Jährigen als Verräter, die Karnivoren klatschen schadenfreudig in die Hände vor Freude darüber, dass der Geläuterte mit seinem zukunftsgerichteten Ansatz gescheitert ist. Die Polarisierung zeigt sich auch hier.
«Seine Spitzkehre trifft den Zeitgeist.»
Humms Rückkehr zum Fleisch mag wirtschaftlich Sinn machen – gleichzeitig ist sie eine subtile politische Ansage. Seine Spitzkehre trifft den Zeitgeist und die Anti-woke-Stimmung, die seit dem Machtwechsel in Washington rund um den Globus wabert. Werte scheinen kein Langfristprojekt mehr zu sein, sondern ein Accessoire, das ausgewechselt wird, wenn es nicht mehr passt.
Im Weissen Haus wird diese Formbarkeit von Haltungen ja täglich zelebriert, die Wirtschaft zieht nach. Globale Konzerne haben ihre über Jahrzehnte aufgebauten Diversity-Aktivitäten aufgrund des Drucks aus Washington in Windeseile so radikal eingedampft, als habe es sie nie gegeben. Und auch in der Schweiz steigt der Frauenanteil in Geschäftsleitungen seit Jahren nur im Schneckentempo. Dieselben Manager, welche die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg 2020 am WEF umsäuselten und ihre Weitsicht lobten, spötteln heute beim Businesslunch gerne über die Schwedin. Internationale Konzerne reduzieren ihre Nachhaltigkeitsziele, fossile Brennstoffe sind wieder im Aufwind, Bundesrat Albert Rösti will das lange sakrosankte AKW-Verbot kippen.
«Where’s the beef? Wo ist die Substanz?»
Kurzum: Wir sind auf vielen Ebenen in einer Backlash-Phase. Wenn da ein veganer Überzeugungstäter von der Prominenz eines Daniel Humm plötzlich wieder tierisch kocht, kommt einem unweigerlich die Phrase «Where’s the beef?» in den Sinn. Wo ist die Substanz? Der 48-jährige Küchenpromi will zwar weiterhin seine veganen Menüs anbieten. Doch er ist sich der Wirkung seines U-Turns bewusst, wie er der «New York Times» verriet: «Ich habe ein bisschen Angst, dass die Leute sagen: ‹Oh, er ist ein Heuchler.›»
Viele Unternehmen opfern derzeit einen Teil ihrer Werte dem politischen Druck und der allgemeinen Rückkehr des Konservatismus. In der Post-Trump-Ära wird die eigentliche Akrobatik auf sie warten: die Kehrtwende von der Kehrtwende.