Die gelassene Reaktion der Börsen auf den Brexit-Klimax (oder doch erst, Gott bewahre, das Vorspiel?) dieser Woche zeigt: Das Chaos ist längst Normalzustand. Man braucht schon viel britischen Humor, befeuert durch grosse Mengen schottischen Hochland-Whiskys, um die degenerierte (man verzeihe die scharfe Wortwahl) Oberschicht am rechten Tory-Rand noch komisch zu finden, die von ihren Landsitzen den EU-Hass schürt und das ganze Brexit-Chaos mit ihren Empire-Fantasien überhaupt erst losgetreten hat.

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Dass die Rädelsführer um Gestalten wie Jacob Rees-Moogg, David Davis oder natürlich Boris Johnson weiter von alter Herrlichkeit fabulieren, aber keinerlei Verantwortung übernehmen, ist die definitive Bankrotterklärung. Das Ja zum Brexit war auch ein Aufschrei der Bevölkerung gegen die Eliten. Sie fühlt sich jetzt erst recht bestätigt. England, schon immer die heftigste Klassengesellschaft Europas, ist durch den Brexit sozial zerrissen wie nie.

Zwei Erkenntnisse aus Schweizer Sicht

Aus Schweizer Sicht drängen sich zwei Erkenntnisse auf. Erstens: Der soziale Zusammenhalt ist bei uns deutlich höher, Empire-Phantomschmerz gibt es glücklicherweise nicht, und die Skepsis gegenüber fremden Vögten ist zwar auch sehr tief verankert, aber stets gekoppelt an eine gesunde Biegsamkeit – mehr als die Hälfte unserer Exporte gehen in die EU, da zeigen wir uns flexibel. Dieser Pragmatismus, in der britischen Kakofonie längst untergegangen, macht die Schweiz stark.

Und zweitens: Die Briten stimmen einmal über das EU-Dossier ab, und dann fügt sich die politische Klasse diesem Entscheid, als ob er vom Himmel gefallen ist. Man könnte auch sagen: Bei der direkten Demokratie sind die Briten «bloody beginners», und dafür zahlen sie jetzt den Preis. Wie rigoros May ein weiteres adaptiertes Referendum ablehnt, ist fatal. In der Schweiz hat sich dagegen ein effizientes Feedback-System zwischen Volk und Parlament entwickelt, und dieses Zusammenspiel wird sich auch bei der Lösung unserer Europa-Frage bewähren (für die wir erstmal wieder Zeit gewonnen haben). Ja, die direkte Demokratie ist fantastisch. Man muss sie aber auch können.

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Dirk Schütz
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