Wer mit diesem Velo unterwegs ist, sollte sich besser gleich von einem Bodyguard für seinen Drahtesel begleiten lassen. Denn ein Diebstahl fiele ähnlich ins Gewicht, wie wenn einem der neue Jaguar geklaut würde. Mit über 120  000 Franken schlägt der Preis der Gold Bike Crystal Edition von Aurumania zu Buche. «Wir bieten das teuerste Velo der Welt», sagt der CEO von Aurumania, Bo Franch-Mærkedahl, stolz. Der Rahmen ist mit Gold beschichtet, das Fahrrad ist mit Swarowski-Kristallen verziert und mit einem handgemachten Sattel und Handgriffen aus Leder bestückt. Wer nicht ganz so tief in die Tasche greifen will, kann eine Light-Version für immer noch mehr als 30  000 Franken kaufen – allerdings fehlen da die Kristalle, und die Blattgoldschicht ist dünner. Allein die vergoldete Wandhalterung, an der man die Gold Bikes nach Gebrauch wieder versorgen kann, kostet mit 8000 Franken fast dreimal so viel wie ein Standard-Mountainbike, wie es sich die radelnde Mittelschicht für den Wochenendsport im bunten Dress leistet.

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Das Velo erfährt eine Renaissance. Vor allem in den Städten bewegen sich nicht nur Sportliche und Umweltbewusste mit eigener Muskelkraft fort. Londons Bürgermeister Boris Johnson fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit – und weigert sich, einen Helm zu tragen. In Washington dreht US-Präsident Barack Obama auf dem Drahtesel seine Runde – mit Helm. Selbst Celebrities wie Madonna, Leonardo DiCaprio oder Paris Hilton sind inzwischen mit dem Zweirad unterwegs. Und in London trifft sich der Tweed Cycling Club zu stilvollen Ausfahrten, die auf keinen Fall ins Sportliche abgleiten dürfen. «Style not speed. Elegance not exertion», lautet das Motto des Clubs, dessen Mitglieder sich in Tweedanzügen oder -röcken mit dem Schnitt der dreissiger Jahre in den Sattel schwingen. Mit einem Porsche kann schliesslich jeder Neureiche zur Arbeit fahren.

Kein Wunder, drängen jetzt immer mehr Velos von Luxusgüterherstellern auf den Markt: Von Gucci, Fendi, Chanel und Hermès gibt es stilgerechte Fahrräder, bei denen die Bezeichnung Drahtesel völlig fehl am Platz wäre. Sie kosten zwischen 5000 und 40  000 Franken (siehe «Accessoire für die Dame» auf Seite 96). Auch Premium-Automarken der Oberklasse wie Ferrari oder Mercedes führen Zweiräder. Ebenso wie Porsche.

Alltagsuntauglich. Vom Boom der noblen Zweiräder profitiert auch Aurumania. Seit das dänische Unternehmen letztes Jahr die Gold Bikes lanciert hat, sind vier Stück der teuren Crystal Edition und zwei der billigeren Serie an Kunden in Nordamerika, im Mittleren Osten und in Europa verkauft worden. Sie sind an Leute gegangen, die neben genügend Kleingeld ein Faible für Kunst und Design haben. Ein junger Londoner Banker benutzt es aber tatsächlich, um ab und zu durch die City zu pedalen, und hängt es dann in seinem Büro an die Wand. «Aber täglich benutzt niemand so ein Velo», sagt Franch-Mærkedahl. «Irgendjemand würde Sie garantiert aus dem Sattel hauen und es stehlen.»

Die beschränkte Alltagstauglichkeit ist gewollt: «Wir wollten keine Gebrauchsgegenstände schaffen, sondern ein Stück Kunst, an dem sich Menschen erfreuen können», sagt Franch-Mærkedahl, der die Designfirma vor zwei Jahren gegründet hat. Tatsächlich ist das einzig Besondere an dem Bike, dass es exorbitant teuer ist. «Technisch ist es ein ganz normales Standardprodukt», gibt er zu. Es ist die Philosophie seiner Firma, gewöhnliche Gegenstände durch Design zu verschönern – und dann zu einem hohen Preis loszuschlagen.

Handfertigung. Eine ganz andere Philosophie verfolgt Aarios. Die Manufaktur für Luxusvelos aus Gretzenbach SO ist in einem Fabrikgebäude ohne Glitzer und Glamour untergebracht. Bei Aarios liegt der wahre Luxus weder in der Anzahl Edelsteinen noch im Brand, sondern in der Qualität der Produkte: Während über 95 Prozent der hierzulande verkauften Fahrräder in Fernost hergestellt werden, setzt Aarios auf Schweizer Produktion und baut das wichtigste Bestandteil des Velos noch von Hand: In der Fabrik, in der etwa 20 Leute arbeiten, werden die Rahmen individuell gefertigt. Nur die Einzelteile werden zugekauft, der Rest ist Manufakturarbeit. In den letzten 30 Jahren ist Inhaber Arnold Ramel deshalb der Konkurrenz in der Qualität immer einen Schritt voraus gewesen. «Wir können die Ansprüche, die wir und unsere Kunden an die Qualität unserer Velos stellen, nur befriedigen, weil wir konsequent auf Handfertigung setzen», sagt Ramel.

Fast einen Tag dauert es, bis aus den Chrom-Molybdän-Rohren und den Muffen ein Rahmen gebaut ist. Die Verbindungen bei den meisten industriell in Grossserie hergestellten Rädern sind nur geschweisst – eine billige Lösung, die auf Kosten der Qualität geht. Bei Aarios werden die Rahmen stattdessen gelötet. Das ist schonender als das Schweissen, bei dem durch die grosse Hitze schnell die kristalline Struktur des Metalls zerstört wird. Eine erhöhte Brüchigkeit ist die Folge. «Das können wir uns aber nicht leisten, denn unsere Velos sollen eine lange Lebensdauer haben, und die Rahmen dürfen sich auch unter Extrembedingungen nicht verziehen», sagt Ramel. Nach dem Löten werden die Velos zweimal gegen Korrosion behandelt, bei 180 Grad gründlich getrocknet und schliesslich grundiert. In der Lackiererei sorgt die Pulverbeschichtung für hohe Kratzfestigkeit, das Auftragen der Farbe erfolgt besonders umweltfreundlich. Neben der hohen Qualität ist der wichtigste Vorteil eines handgemachten Rahmens, dass er exakt auf die Körpergrösse des Kunden massgeschneidert werden kann: Nur damit sind optimale Kraftübertragung und höchster Komfort gewährleistet. «Der grösste Kunde, den wir bisher hatten, war über zwei Meter gross und hat von uns selbstverständlich den passenden Rahmen bekommen», sagt Ramel.

Kein Wunder, dass sich, wenn man nur das Beste vom Besten haben will, die Preise rasch in die Grössenordnung zwischen 4000 und 8000 Franken schrauben. Die Sättel sind von der englischen Kultmarke Brooks. Allein die moderne Rohloff-Nabe, eine in die Hinterachse integrierte Hightech-Gangschaltung, schlägt mit über 2000 Franken zu Buche. Wer dazu noch Scheibenbremsen will, ist allein schon dafür den Betrag los, den sonst ein ganzes Importvelo kostet. Als Aarios vor drei Jahren mit dem Modell Expedition ein für lange Touren ausgelegtes Reiserad jenseits der 6500-Franken-Marke als Prototyp baute, wollte die Firma zehn Stück verkaufen. Stattdessen wurden innerhalb von zwölf Monaten 28 Exemplare abgesetzt.

Zuverlässigkeit. Die meisten der teuren Aarios-Velos verkauft das Unternehmen direkt in der Fabrik, die keinen Showroom unterhält, sondern ihre Produkte nach bester Handwerkstradition in der Fertigungshalle stehen hat. Die Velos von Aarios sind der Geheimtipp unter Velofreunden, die entweder mit dem Bike auf eine Expedition gehen oder einfach das beste Rad für den Alltagsgebrauch haben wollen. Leute, die viel Geld verdienen und die Ferien nutzen, um mit dem Velo einen Abstecher nach Patagonien, Kasachstan oder in den Himalaja zu machen, zählen zu Ramels Kunden.

Denn wer in solchen Gegenden unterwegs ist, muss sich bedingungslos darauf verlassen können, dass die Felge nicht bricht, die Schaltung funktioniert und die Bremsen nicht versagen. Die Schweizer Abenteuerin Evelyne Binsack etwa war mit einem Aarios-Velo in Südamerika mehrere Monate lang ohne Probleme unterwegs.

Während die traditionsreichen Namen in der Veloindustrie verschwunden sind, geht es Aarios prima. Auch die Flaute, die den Fahrradhandel im mittleren und im oberen Segment getroffen hat, ist in der Gretzenbacher Luxusschmiede nicht angekommen. «Davon spüren wir noch nichts», sagt Ramel. «Viele Leute sind bereit, für hohe Qualität auch einen entsprechenden Preis zu zahlen.» Und in Zeiten, da ein Edelvelo aus Ökologie- und Statusgründen deutlich angesagter ist als ein Sportwagen mit hohem Benzinverbrauch, dürfte sich vorerst auch nichts daran ändern.