Der Gedanke klang verlockend. Enorme Kosten könnten die Uhrenfirmen Hanhart, Chronoswiss und Kienzle im Verbund sparen, schilderte der damals angehende Hanhart-Chef Thomas Morf die Idee im Büro von Hanhart-Grossaktionär Philippe Gaydoul. Den Denner-Erben hatte Morf an diesem Tag im Jahr 2010 mit Chronoswiss-Eigner Gerd-Rüdiger Lang zusammengebracht, der mit seiner Ehefrau nach Zürich gereist war. Und noch jemand sass im Raum: Marco Hahn, den Lang als Mitbesitzer der deutschen Uhrenfirma Kienzle kannte. Nach einer Dreiviertelstunde endete das Treffen. Zum Bund kam es nie. Und das war wohl gut so.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Vielen Partnern von Marco Hahn, Managern und Investoren, bekam die Zusammenarbeit mit ihm schlecht. Der Norddeutsche, der 2008 nach Meggen am Vierwaldstättersee gezogen war, wurde in Deutschland mehrfach wegen schwerer Wirtschaftsdelikte rechtskräftig zu millionenhohen Strafen verurteilt. Weil unter Hahns Einfluss Gelder in seinem deutschen Firmennetz illegal verschoben wurden, erhielt er zwei Jahre Haft auf Bewährung. Betreibungen und Pfändungsversuche Geschädigter – mal 30 Millionen Franken, mal zwei Millionen und mehr – blieben erfolglos, da Hahns Vermögen mittlerweile in anderen Händen liegt, etwa bei seiner 46-jährigen Ehefrau Claudia. Morf aber scheint Hahns Vergangenheit nicht zu schrecken.

Seit wenigen Jahren baut die Familie Hahn in der Schweiz, von der Öffentlichkeit unbemerkt, ein neues Firmengeflecht auf, etwa um eine neue Uhrenmarke zu etablieren. Sie sucht laut Branchenkennern nach Zukaufzielen im Lifestyle-Markt und Investoren. Zuletzt half Uhrenmanager Morf in ihren Unternehmen mit. 2012 wollten die Hahns bei Hanhart direkt einsteigen. «Doch es kam nicht so weit», sagte Morf, in dem Jahr schon Verwaltungsratspräsident in Hahns Firmennetz. Seit sich der Manager Anfang 2013 mit Gaydoul überwarf und den Job als Hanhart-Chef quittierte, ist er Geschäftsführer der Independent Watch Group, des Zentrums vom hahnschen Firmennetz, das Hahns Ehefrau vor vier Jahren gegründet hat.

Auch Tochterfirmen der Gruppe führt Morf. So die Uhrenfirma Kienzle. Dieses Jahr will er die Kienzle-Marke neu auflegen. «Komplett neu entwickelt und gefertigt», schwärmte er. «Das Ziel ist es, die Marke international aufzustellen. Die Familie Hahn als Besitzerfamilie steht voll hinter dieser Strategie», sagte der 49-Jährige der BILANZ im Dezember.

Intransparenz

Marco Hahn gilt als gewiefter Taktiker. Vor Gericht wurde aufgedeckt, dass er auch Treuhänder für seine Firmen einsetzte. Sie folgten seinen Weisungen, galten aber als Besitzer der Firma. Bevor die HvH Beteiligungen 2011 nach Hamburg zog und den Namen leicht änderte, hatte sie ihren Sitz an der Adresse anderer Firmen aus Hahns früherem Unternehmensnetz in der norddeutschen Stadt Flensburg – Marco Hahns Geburtsstadt. Der nun angegebene Besitzer ist der Hamburger Philipp von Hessen, der 2013 Präsident der Schweizer Hahn-Firmen rund um Kienzle wurde. Geschäftsführer der HvH ist Carsten Stoldt, der für Hahn schon in vielen seiner früheren Firmen arbeitete und als sein enger Vertrauter gilt.

Im Schweizer Firmenverbund um die Independent Watch Group war Marco Hahn laut Insidern auch voriges Jahr stärker involviert, als er es öffentlich zeigte. So habe er aktiv nach Investoren gesucht. Er stehe persönlich in keiner Verbindung zu diesen Gesellschaften, sagte Ende Jahr zwar Hahns Anwalt über den 45-Jährigen. Da Hahn eine eidesstattliche Offenbarungsversicherung abgegeben hat, nach der er mittellos ist, wäre die für ihn auch kaum hilfreich.

Selbst Morf sagte über Hahn mit Blick auf die Independent Watch Group und Kienzle: «Er wird regelmässig über den Stand der Entwicklungen informiert.» In Firmenkreisen heisst es, Hahn sei sehr aktiv eingebunden, sei fast täglich in seinem Büro im Unternehmen. An früheren Sitzungen der Firmen nahm er teilweise als «Bevollmächtigter der Aktionärin» – seiner Ehefrau – teil und war selbst schon Präsident einiger dieser Firmen. Zudem wurde Morf von Hahn engagiert. «Er hatte mich nach meinem Ausscheiden bei Hanhart gebeten, eine neue Stossrichtung für Kienzle zu entwickeln», erklärte Morf.

Klar zeigten sich die Hintergründe auch nicht beim Treffen von Morf und Hahn mit Gaydoul 2010. Was Gerd-Rüdiger Lang, der Chronoswiss nun abgestossen hat, in dem Gespräch nicht ahnen konnte und wohl auch nicht Gaydoul, der Hanhart kürzlich zum Verkauf stellte: Ein Bund mit der deutschen Kienzle AG, die Marco Hahn 2006 mit einem anderen Investor übernommen hatte, war unmöglich. Kienzle aus Hamburg war im Januar 2010 in die Insolvenz gerutscht. So erging es zuvor schon mancher Firma aus dem Portfolio des deutschen Investors.

Lukrativer Markentransfer

Was in der Schweiz als hübsche Kienzle-Investorenstory erscheint, könnte sich als geschickter Schachzug entpuppen. Im Jahr vor der Insolvenz der Kienzle hatte sich Hahn, der mit dem damaligen Kienzle-Geschäftsführer und -Teilhaber eng verbunden war, als Miteigner die Markenrechte der deutschen Firma gesichert und in sein Schweizer Unternehmen, die Rooster Holding aus Meggen, transferiert. Knapp vor der Insolvenz stiess er seinen Mehrheitsanteil an der Kienzle ab. Der Kienzle-Chef schaute mit seinem Anteil in die Röhre. Nicht nur er.

Während die neue Kienzle in der Schweiz entsteht, sogar mit einer Vertriebsfirma in Hamburg, läuft das Insolvenzverfahren der alten Kienzle aus Hamburg noch und warten die Gläubiger auf ihr Geld. Ohne Markenrechte kann sich die Firma nicht bewegen. Mittlerweile schlummern die Kienzle-Marken mit einem vertraglich bezifferten Wert von 4,8 Millionen Franken in der Premier Trademarks, einer Tochter der Independent Watch Group. Deren Geschäftsführer: Thomas Morf. Zur Insolvenz der Kienzle AG sagte er: «Davon habe ich als Kenner der Industrie gehört, kannte aber die verantwortlichen Leute dahinter nicht.»

Die Website der Schweizer Kienzle, an der Morf schmiedet, spart das Thema aus. Von einer Insolvenz ist dort keine Rede. Dabei schildert die Site – nach dem Gründungsjahr der Firma Kienzle 1822 genannt – aufwendig die lange Geschichte der Marke. Die will Thomas Morf jetzt nutzen. «Mit einer so grossartigen Historie kann man einiges erreichen.» Dieses Frühjahr soll die neue Kienzle-Marke auf wichtigen Uhrenmessen wie der Baselworld ihren Einstand geben. Einen Flagship Store gibt es schon, in der Altstadt der Uhrenmetropole Luzern, ganz in der Nähe der bekannten Firma Bucherer. Mangels neuer Uhren zeigt er die alten Kollektionen der deutschen Kienzle.

Für Mitte 2014 ist der Start der neuen Zeitmesser geplant: eine kleine Kollektion mit 25 Modellen, «scharf positioniert», wie Morf sagt. 500 bis knapp 4000 Franken sollen die Uhren kosten. 100 000 verkaufte Stück pro Jahr hält Morf langfristig für möglich. Daran zweifeln Branchenexperten. «Kienzle-Uhren waren billig, wurden an Tankstellen verkauft. Es fehlen starke Markenwerte», sagt ein Kienzle-Kenner. Ein anderer, im Uhrengeschäft lange engagierter Investor sagt: «Warum sollte jemand um die 2000 Franken für Kienzle ausgeben, wenn er dafür schon eine Uhr von Maurice Lacroix oder Longines bekommt?»

Pechsträhne

Einige Jahre lief dem Uhrenmanager Thomas Morf das Glück nicht gerade hinterher. Erst musste er Bucherer 2010 verlassen. Dabei hatte er die Luxusuhrenmarke Carl F. Bucherer während fast zehn Jahren aufgebaut. Seit Morfs Abgang verdreifachte sich der Absatz der Marke von 6000 auf 20 000 Uhren. Über die Gründe des ohne Dankesworte und mit sofortiger Wirkung verkündeten Abtritts als Chef von Carl F. Bucherer vereinbarten beide Seiten Stillschweigen. Der Vorfall muss angesichts dieser Art des Abgangs heftig gewesen sein. Nach nur gut zwei Jahren quittierte Morf im Zwist Anfang 2013 auch den Job als Chef von Hanhart.

Morf und Gaydoul hatten sich überworfen. Bevor Morf 2010 anfing, wurden Hanharts Uhren unter Gaydoul und Investor Thomas Matter mit 2000 bis über 7000 Franken bepreist. Laut Branchenkennern zu teuer. Gaydoul wollte in die Luxusliga. Morf machte mit, behielt die Preishöhe bei. Im Businessplan legten sie einen Gewinn in wenigen Jahren fest. Bis 2016 wollte Morf 10 000 statt der rund 2000 verkauften Uhren. Daraus wurde nichts. Gaydoul riss der Geduldsfaden.

Weder er noch Hanhart wollten sich äussern. In der Branche kursiert das Gerücht, Morf habe die Lager für das Uhrengeschäft übertrieben vollgestopft und Millionen Franken mehr als fürs Jahr nötig investiert. Morf kontert, er habe gewollt, dass Hanhart von den Lagerbeständen länger zehren könne. Angesichts von Hanharts Verlusten wäre eine vorsichtigere Kalkulation wohl besser gewesen.

Zudem habe Morf Umsätze mit einem US-Händler verbucht, obwohl dieser die Ware wieder unverkauft zurückschicken konnte, was er später auch tat, wie es heisst. Dadurch hätten Hanharts Erlöse schöner ausgesehen, als sie real waren. Der US-Händler habe sich damals selbständig gemacht, aber die richtigen Leute gekannt, so Morf. «Er besass zu wenig liquide Mittel, um alles vorzufinanzieren. Daher haben wir ihm längere Zahlungsziele gewährleistet.» Auch für diese Schützenhilfe dürfte Gaydoul wenig Verständnis gehabt haben. Schliesslich schrieb Hanhart ein Millionenminus. Letztlich sollen Hanhart aber auch von der Gaydoul Group nicht freigegebene Zahlungen für Lieferanten das Leben erschwert haben. Am Ende sah Gaydoul wohl nur noch den steten Geldabfluss, und Morf träumte von seinem Gewinnziel. Das Vertrauen war gebrochen.

Seinen Wechsel ins Firmennetz der Hahns hatte Morf da bereits in Aussicht. Seit März 2012 arbeitete er nebenher als Präsident der neuen Kienzle in Meggen, sechs Monate später löste er bei der Mutterfirma Independent Watch Group Hahns Ehefrau als Präsident ab, die zuvor das Amt von Marco Hahn übernommen hatte. Nach dem Ausstieg bei Hanhart wurde Morf Geschäftsführer der Firmen. Auf Hahn blickt Morf positiv: «Ich habe Herrn Hahn immer als absolut korrekten Mann kennen gelernt.»

Teures Vertrauen

Das dachte einst auch Dirk Kessemeier. Und täuschte sich schwer. Heute fordert er von Hahn 30 Millionen Franken, die er in rechtskräftigen Urteilen 2009 zugesprochen bekam.

Der Gründer der Leasinggesellschaft Euro Leasing arbeitete vor Jahren eng mit Marco Hahn als Investor zusammen, vertraute ihm. «Er hat es leicht geschafft, Vertrauen aufzubauen. Ich habe schon viel erlebt in meiner Geschäftszeit, aber dennoch konnte er mich blenden», sagt Kessemeier. «Er macht Eindruck, wenn er auftaucht, kommt sehr geschäftsmännisch und vermögend daher. Marco Hahn kann Menschen für sich einnehmen und begeistern. Dadurch gewinnt er andere dafür, seine Geschäfte abzuwickeln und die Verantwortung zu tragen.»

Der 45-jährige Hahn nennt sich gelernter Kaufmann. Es klingt nach den ehrbaren Hamburger Kaufleuten. Nahe der Stadt lebte Hahn lange und entwickelte ein undurchsichtiges Firmengeflecht. Schon mit 30 Jahren gründete er die Marco Hahn Holding. Viele Firmen, manche reine Beteiligungsvehikel, siedelte er in seiner Heimatstadt Flensburg an.

Für Kessemeier wurde sein Vertrauen teuer. Hahn beglich Darlehensverträge mit ihm nicht. Bis Sommer 2008 zahlte er Zinsraten. Dann zog er in die Schweiz. Kessemeiers Betreibungen dort laufen ins Leere. Hahn gibt sich mittellos und wohnt zugleich mit seiner Familie in einer Villa in Meggen mit Seeanstoss für zuletzt monatlich 17 000 Franken Miete.Auch im Ferrari wurde er schon gesehen. «Für mich bleibt Herr Hahn ein schwer Krimineller», sagt Kessemeier. Wegen dieses Ausdrucks verklagte ihn Hahn. Die Richter wiesen die Klage zurück.

Schon vorher hatte Hahn mit seinem Firmennetz undurchsichtige Geschäfte abgewickelt. Das zeigt der Fall Datasave. 2004 meldete Hahns einstige Firma Insolvenz an. Tausende Aktionäre verloren Geld. 2011 verurteilte das Hamburger Landgericht Hahn zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Unter Hahns Einfluss seien von Datasave Millionengelder ohne Gegenleistung und Sicherheiten in die Kanäle seines Firmenimperiums geflossen und hätten dort zirkuliert. 2013 verurteilte ein Gericht Hahn und die Flensburger Sparkasse zur Zahlung von total 65 Millionen Euro an Frank Thielert, Gründer des einstigen Flugzeugherstellers Thielert, weil Hahn mit Hilfe der Bank drei Millionen ihm von Frank Thielert geliehene Aktien der Flugzeugfirma unrechtmässig veräussert hatte. Die Berufung in dem Prozess läuft noch.

Die Staatsanwaltschaft Kiel hat Hahn noch im Visier. Sie reichte Anklage gegen ihn wegen Untreue und Betrugs ein. Im Vorfeld des Darlehensvertrags mit Kessemeier soll Hahn in der gemeinsamen Beteiligungsfirma gehaltene Thielert-Aktien verkauft und auf Privatkonten überwiesen haben. «Er hat uns an der Nase herumgeführt», sagt Kessemeier. Noch ist die Klage nicht vom Gericht angenommen. Die Unschuldsvermutung gilt. Gleich verhält es sich mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Vollstreckungsvereitelung. Sie untersucht, ob Hahn Vermögen beiseitegeschafft hat, um Geldeintreibungen zu entgehen. So gab Hahn 2011 in einer eidesstattlichen Versicherung gegenüber einer Schuldtitel vollstreckenden Gerichtsvollzieherin an, seit 2009 ein Grundstück an seine Ehefrau abgegeben zu haben.

Marco Hahn will sich laut seinem Anwalt zu keinem der Themen äussern. Kessemeier ist ernüchtert. «Meine Erfahrung ist: Sobald man gegen eine von Hahns Firmen auf Herausgabe von Geldern klagt, zieht er Vermögenswerte ab, und man geht leer aus.»