Als Ehemann und Journalist höre ich in meinem Leben und Streben auf die Ratschläge (und manchmal Befehle) von zwei Opinionleadern: meiner Ehefrau und meinem Chefredaktor. Dazu habe ich als Katholik einen weiteren Chef, einen spirituellen CEO, der im Unterschied zu den zwei ersten Vorgesetzten unfehlbar ist: der Papst.

Leider performe ich im sakralen Sektor unterdurchschnittlich. Ausser an ausgewählten Festtagen lasse ich mich selten in der Kirche blicken. Beim kirchlichen Liedgut habe ich erschreckende Lücken, und meine einzige Bibel stammt – OMG! – aus der Feder von Martin Luther. Also von der konkurrenzierenden Konzernschwester.

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Kein guter Katholike – aber mit Blick nach Rom

So richtig zufrieden können meine 1,4 Milliarden Brüder und Schwestern und das Headquarter im Vatikan nicht sein mit mir. Auch wenn ich die katholische Kirchensteuer bezahle.

Regelmässig, pünktlich, schwach euphorisch.Nach diesem persönlichen Psalm dürfte klar sein: Der Katholizismus ist nicht die ganz grosse Leitschnur meines Lebens. Trotzdem hielt ich am Wochenende inne. Guckte ins Fernsehgerät. Blickte nach Rom. Verfolgte und begleitete die letzte Reise von Jorge Mario Bergoglio alias Papst Franziskus.

Sogar Trump reiste ins verhasste Europa

Zum einen imponierte mir, wie eine ganze Stadt zur Ruhe und Einkehr kam. Eine Massenandacht zu Ehren des verstorbenen Oberhaupts der katholischen Kirche. Zum anderen war es beeindruckend, wie sich Staatshäupter der ganzen Welt versammelt hatten. Dankbar, demütig, deeskalierend. Während zur gleichen Zeit im leibhaftigen Schweizer WEF ein Hauen und Stechen herrschte, meinte ich im römischen Gipfeltreffen eine Art WEF der Menschlichkeit zu erkennen.

Sogar einer, der die Europäer am liebsten als Weicheier der Galaxie beschimpft, reiste in die von ihm verhöhnte Alte Welt. Vielleicht im falschfarbigen Anzug, das mag sein. Aber, wie mir schien, in guter Absicht. Wie sich Donald Trump für fünfzehn Minuten mit Wolodimir Selenski im Petersdom zusammensetzte, das machte mir Mut. Eine Viertelstunde für den Frieden, immerhin.

Ein Ad-hoc-Treffen zur Bodenbildung

In diesem Sinn konnte man die grosse Abschiedsfeier als eine Art globale Generalversammlung ohne Traktandenliste wahrnehmen, ein Ad-hoc-Treffen, das da und dort Gelegenheit gab für einen Neuanfang und vielleicht sogar neues Verständnis stiftete. Ein Gipfeltreffen aus traurigem Grund, gewiss, aber hoffentlich auch die Bodenbildung für einen Neuanfang im internationalen Miteinander.

Das mag naiv klingen in einer Zeit, da gewisse Mächtige die Grundwerte der Nächstenliebe untergewichten und stattdessen mit der Kraft des Stärkeren herrschen. Wie beim Wirtschaftsevent in Davos kann man beim Pontifex-Abschied in Rom nur hoffen, dass etwas bleibt vom gemeinsamen Geist.

Ich glaube an den Geist von Rom. Von wem ich diesen Glauben habe? Vom Chef.