BILANZ: Herr Muller, wie fing bei der Swatch alles an?

Jacques Muller: Ganz am Anfang stand ein Auftrag der ETA-Leitung. Sie verlangte die Entwicklung einer neuen Uhr, die zwar zu 100 Prozent «Swiss made» und qualitativ hoch stehend sein müsse – aber möglichst gar nichts kosten dürfe. Um das Ziel zu erreichen, wurde ein Wettbewerb für die Ingenieure gestartet. Mehrere Teams machten sich an die Arbeit, darunter mein Kollege Elmar Mock und ich.

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Und wie gingen Sie vor?

Wir mussten damals viele Seminare besuchen, unter anderem an der Universität von Esslingen in Deutschland. Am Abend hatten wir nichts zu tun und dachten im Ausgang viel über das Projekt nach. Erste Skizzen hielten wir auf Papierservietten fest.

Und was war das Besondere an diesen Ideen?

Das Wichtigste war die extreme Simplifizierung der Uhr. Wir reduzierten die Zahl der nötigen Teile gegenüber einer damals herkömmlichen Uhr um die Hälfte. Nur mit einer maximal automatisierten Produktion würde es im Hochlohnland Schweiz möglich sein, eine zu 100 Prozent schweizerische Uhr zu bauen, die praktisch nichts kostet.

Wie reagierte damals das Uhren-Establishment auf Sie?

Mit Spott. Die Reaktionen waren zu 99 Prozent ironisch. Man mokierte sich über uns, weil man der Meinung war, eine Uhr aus Plastik könne nie funktionieren. Aber auf Plastik waren wir wegen des Drangs nach maximaler Automatisierung gekommen. Mit Plastik konnte man auf einen Schlag ein höchst komplexes Teil bauen, wo sonst mehrere Komponenten nötig gewesen wären.

Woher nimmt man die Energie, um bei einem Projekt zu bleiben, das derart heftig kritisiert wird?

Das hat wohl mit meinem Charakter zu tun, mit dem Willen, gegenüber allen recht zu bekommen. Der Widerstand motivierte mich.

Glaubten Sie von Beginn an an die Swatch?

Wenn man etwas beginnt, glaubt man daran – auch wenn die ganze Welt das Gegenteil behauptet. Ich baute vor der Swatch etwa zehn Uhrwerke, klassische Werke und Werke für Luxusuhren. Ich war mir meiner Sache sicher und zweifelte nie daran, dass ich ein Produkt entwickeln kann, das nur wenige Franken in der Produktion kostet, zu 100 Prozent «Swiss made» und qualitativ hochstehend ist. Aber einen Erfolg vom Ausmass, wie er dann eingetreten ist, konnte niemand voraussehen.

Welche Lehre kann man aus der Swatch-Geschichte ziehen?

Ich sage immer, dass ich so etwas heute nicht mehr machen würde. Es ist viel zu anstrengend. Ich habe einen starken Charakter, aber der Kampf gegen alle – das war eine manchmal zermürbende Monsterarbeit. Technische Probleme zu lösen, ist viel einfacher, als Leute in Bewegung zu bringen. Zuerst waren wir ein kleines eingeschworenes Team. Doch sehr schnell braucht es sehr viele Leute, um ein derart ambitiöses Projekt zu realisieren. Es ist ein bisschen wie bei einer Religion: Sie müssen Menschen überzeugen. Wir mussten immer mehr Leute motivieren. Das war das Schwierigste.

Da spielte ja auch Nicolas G. Hayek eine grosse Rolle.

Klar. Er glaubte an die Swatch. Und er machte den Erfolg mit seinem Geld und seinem Enthusiasmus möglich. Aber auch Ernst Thomke, der von Beginn an dabei war, spielte eine wichtige Rolle. Dazu brauchte es zwei junge und wohl etwas verrückte Ingenieure – und die Uhrenkrise, die alle zwang, sich zu bewegen.

Worin lag zu Beginn die grösste Herausforderung?

In der industriellen Umsetzung der Ideen. Am Anfang funktionierte nichts. Meine Familie erinnert sich immer noch daran, wie ich an Weihnachten 1981 mit Uhren konfrontiert war, die rückwärts liefen. Es harzte überall.

Und wie lösten Sie das?

Wir holten oft auch externe Hilfe. Lego zum Beispiel half uns sehr. Lego brauchte damals 15 Tonnen Plastik pro Tag, uns reicht ein Bruchteil davon für Jahre. Lego half uns, die Qualität des Materials hinzukriegen.

Wenn Sie 30 Jahre zurückblicken, was freut sie am meisten?

Wenn ich heutzutage sehe, wie in 2,8 Sekunden eine Swatch zusammengebaut wird, ist das schon befriedigend. Und wenn ich den riesigen weltweiten Erfolg realisiere und weiss, dass ich einen Beitrag dazu leistete, dann ist das eine riesige Freude.