BILANZ Homes: Herr Grcic, Ihr Büro in München ist 
voll von Fundstücken, Design- und Kunstobjekten. Welches 
ist Ihr Lieblingsstück?

Konstantin Grcic: Der Stuhl, auf dem ich täglich sitze: der Box Chair von Enzo Mari in Gelb, entworfen Mitte der siebziger Jahre. Ein Freund hat ihn mir vor vielen Jahren geschenkt.

Was fasziniert Sie daran?

Die Konzeption des Stuhls, die bis ins kleinste Detail funktional und einfach ist. Sie beruht auf dem kastenförmigen Sitz aus Kunststoff, in den alle anderen Elemente verschraubt werden. Die Stahlrohre des Gestells und die Rückenlehne können in die Unterseite der Sitzfläche wie in eine Kiste eingeräumt werden. Das Stecksystem ist präzise durchdacht und absolut simpel.

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Der Stuhl wirkt nicht sonderlich bequem. Sie selbst haben
 Stühle geschaffen, die unbequem anmuten, etwa das Modell 360° von Magis. Seine Sitzfläche besteht aus einem schmalen Steg.

Der Stuhl ist nur vermeintlich unbequem. Man balanciert darauf, als sässe man auf der Vorderkante eines Stuhls. Das ist bequem, wenn man nur kurzzeitig sitzt und beweglich sein will. Die meisten Menschen sitzen in konzentrierten Momenten ohnehin aufrecht auf der Stuhlkante. Zudem kann man auch seitwärts sitzen, rücklings sowie rechts und linksherum. Sitzen bedeutet nicht, stundenlang auf der Sitzoberfläche festzukleben. Die Kultur und Designgeschichte kennt viele Beispiele von Stühlen, die eher Beweglichkeit fördern, anstatt Bequemlichkeit zu bieten.

Stühle sind Ihre bekanntesten Objekte. Worin besteht
 die Herausforderung, immer wieder neue Stühle zu entwerfen?

Stühle machen in der Tat rund die Hälfte unserer Arbeiten aus. Das Wissen, das wir uns über Stühle angeeignet haben, verschafft uns einen Vorsprung. Weil ich mehr über Stühle weiss als andere, kann ich Stühle entwickeln, die mehr sind als reine Sitzgelegenheiten.

Nämlich?

Meine Stühle haben eine Botschaft. Sie funktionieren nie isoliert, sondern immer im Zusammenspiel mit anderen Dingen und Menschen. So versuche ich, einen Zusammenhang zwischen dem Design und dem Leben herzustellen.

Das klingt sehr abstrakt.

Ich erschaffe Objekte für gewisse Situationen, die mehr Funktionen erfüllen als das blosse Sitzen. So frage ich immer, wie und wo ein Stuhl gebraucht wird. Der Chair One zum Beispiel war gedacht als Stuhl in einem öffentlichen, urbanen Raum. Dazu musste er verschiedenste Funktionen erfüllen, er musste Bewegungen standhalten, Dreck, Regen und Vandalismus. Obschon er hart und kantig wirkt, ist er komfortabel. Denn durch die maximale Reduktion des Materials muss sich niemand, selbst bei schlechtem Wetter, auf eine kalte oder nasse Oberfläche setzen.

Gibt es weitere Lieblingsstücke in Ihrem Büro?

Eine weiss emaillierte Teekanne aus Blech, eine der ersten Anschaffungen, die ich 1991 für mein neu gegründetes Büro machte. Täglich um 11 Uhr gibt es schwarzen Tee und frische Brezn auf der Büroterrasse. Seit meiner Studienzeit in England pflege ich die Gewohnheit der Teepause.

Sie haben nach dem Abitur in England eine Schreinerlehre gemacht, also keinen klassischen Werdegang. Wie kam es dazu?

Mir war klar, dass ich keine akademische Laufbahn einschlagen, sondern in einem handwerklichen Beruf praktische Erfahrung sammeln wollte. Zunächst schwebte mir eine Lehre als Bootsbauer vor, aber das war damals in Deutschland nur möglich, wenn man Beziehungen hatte. Weil ich diese nicht hatte, entschied ich mich für ein Praktikum als Möbelrestaurator. In dieser Zeit entwickelte ich eine Leidenschaft für Möbel und einen Sinn für gute und schlechte Möbelkonstruktionen. Darauf folgte dann fast automatisch die Schreinerlehre.

Wie wurde aus dem Schreiner ein Designer?

Meine Schwester, die damals in Wien lebte, schickte mir einen Katalog über eine Ausstellung von Achille Castiglioni, die in Wien gezeigt wurde. Ich kannte Castiglioni nicht, aber er hat mich sofort begeistert. Mich faszinierte, wie er spielerisch und ironisch aus vorhandenen alltäglichen Objekten neue Dinge baut. Zu dieser Zeit habe ich selbst überlegt, was ich eigentlich machen will. Ich glaube, man braucht in solchen Momenten nicht nur etwas, das einen interessiert, sondern auch Vorbilder. Castiglioni war für mich so jemand. Plötzlich dachte ich, ich könnte Designer werden.

Ein guter Handwerker ist freilich noch lange kein
 guter Designer.


Ein Handwerker wendet eine Reihe von Regeln an und weiss genau, wohin der Prozess führt. Der Designer hingegen hat viel mehr Freiheiten. Er versteht seine Arbeit als Abenteuer, bei dem er nicht genau weiss, was am Ende herauskommt. Es ist genau das, was mich fasziniert. Als Designer weigere ich mich, irgendwelche vorgefertigten Vorstellungen von Funktionalität oder Komfort und Schönheit zu pflegen.

Genau darum wirken viele Ihrer Objekte so widerspenstig: kantige Sessel, ein schiefes Regal – oder ein Sofa aus einem Metallgestänge.


Es ist nicht das Ziel meiner Produkte zu gefallen. Meine Designarbeiten erschliessen sich nicht sofort, sie haben einen Ausdruck und Charakter, die Teil der Gestaltung sind. Sie sind funktionell, aber zugleich fordern sie den Nutzer auf, die Funktionalität zu hinterfragen. So möchte ich den Nutzer aktivieren und einbeziehen. Der Reiz eines Objekts liegt nicht in ihm selbst, sondern in dem, was er beim Betrachter auslöst.

Wie entsteht eigentlich eine gute Idee?

Sehr rational, aus Recherche, Ausprobieren und Nachdenken. Industriedesign ist ein langer Entwicklungsprozess, der auf «trial and error» basiert und es zulässt, Dinge auszuprobieren und auch wieder zu verwerfen. Das entspricht mir sehr. Trotz der digitalen Möglichkeiten arbeite ich häufig mit Pappmodellen und Klebeband. Natürlich braucht jedes Projekt eine starke Idee, aber ich bin nicht einer, der am Anfang gleich eine Idee hat und sagt, so, das ist es jetzt. Manchmal sieht man sogar erst im Rückschluss, welche Idee es war, die das Projekt getragen hat.

Wo oder wann kommen Ihnen die besten Ideen?

Das Büro ist der Ort, der mir am meisten am Herzen liegt, hier habe ich meine persönlichen Dinge und die Menschen meines Vertrauens, meine Assistentin, mein Team. Ich brauche es als Ort der Konzentration, der Inspiration und des Handelns. Ich gehöre nicht zu denen, die mobil arbeiten, sei es im Auto oder im Flugzeug. Auf Reisen zum Beispiel habe ich keine Ideen.

Sie entwerfen für namhafte Hersteller wie Vitra, Flos,
 Magis oder Moji. Welche Rolle spielen Sie beim Austausch
 mit den Herstellern?


Ich messe der industriellen Fertigung eine grosse Bedeutung bei und lege Wert darauf, in jeder Phase eingebunden zu sein, von der Entwicklung bis zur Produktion. Die Unternehmen, mit denen ich zusammenarbeite, wähle ich darum sehr sorgfältig aus. Ihr anfängliches Interesse soll nicht der unmittelbare kommerzielle Erfolg sein, sondern Qualität und visionäre Ideen.

Im Vitra Design Museum in Weil am Rhein haben Sie 
nun erstmals Ihr eigenes Werk inszeniert und werfen 
einen Blick in die Zukunft. Sie zeigen, wie Lebensräume
 der Menschen in der hoch technisierten Welt aussehen könnten. Was treibt Sie an?

Ich möchte anregen, anders über die Zukunft zu denken, als wir das gemeinhin tun. Es ging mir nicht darum, auf Science Fiction zu machen. Denn Zukunft bedeutet nicht einen Zeitraum von hundert Jahren oder dass wir irgendwann auf dem Mond leben. Zukunft spielt sich in kleineren Zeiträumen ab und manifestiert sich in subtilen Veränderungen, die in viele Richtungen gehen. Das Smartphone existierte ja auch noch nicht vor zehn Jahren. Zukunft bedeutet, die guten Dinge zu bewahren und weiterzudenken. So mischt sich Altes mit Neuem.