Die Senatorin strahlt. Sie trägt grosse, goldene Ohrringe und ein pfirsichfarbenes Kostüm. Der Wind peitscht nasskalt über den Parkplatz vor der Shopping-Mall irgendwo in Upstate New York. Hillary Rodham Clinton begrüsst die Besucher einzeln, klopft ihnen auf die Schultern oder küsst die Wangen und erkundigt sich nach den Kindern, dem letzten Arztbesuch, der Gesangsgruppe. Sie scherzt mit allen, und selbst die Feuerwehrmänner und Republikaner, die sie einst hassten, liegen ihr zu Füssen.

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So wie gerade dieses Provinznest will sie irgendwann wohl auch Amerika im Sturm erobern – als die nette Frau von nebenan, die jedes Problem kennt und Licht in diese düsteren Zeiten bringt. Lange glaubten die meisten Amerikaner, dass Hillary die Einzige sei, die bei den Wahlen im November eine Chance gegen Bush hätte. Jetzt wünschen sie sich, dass John Kerry sie wenigstens zu seiner Vize machen würde.

Sie ist der Liebling der Demokraten. Die personifizierte Erinnerung an die goldenen Neunzigerjahre. Das Gegenmodell zum Präsidenten. Wo dieser in der Welt um sich ballere, heile sie mit sanften Gesten. Wo sein rhetorisches Talent aufhöre, beginne das ihre erst. Die Medien hatten sich lange ihre Kandidatur herbeigesehnt, weil sie ein Quotenkrimi wäre: die Kosmopolitin gegen den Cowboy. Der Norden gegen den Süden. Frau gegen Mann. Ex-Feministin gegen Ex-Trinker.

Sie könnte Bush ablösen, der Clinton ablöste, der Bush senior ablöste. Nach Hillary könnte dann Bushs Bruder Jeb, der Gouverneur von Florida, kommen, und so stünden die zwei Dynastien für Amerika: für den ewigen Kampf zwischen Tradition und Moderne.

Doch irgendwie hat man vergessen, dass Hillary sich veränderte. Sie mag sich einst für die Rechte von Frauen und Kindern eingesetzt und die Ehe mit der Sklaverei verglichen haben, aber mit diesen Themen würde sie heute nicht mal Bürgermeisterin ihres Heimatorts Chappaqua. Selbst ihre Frisur glich gelegentlich schon den Haarspray-Orgien einer Maggie Thatcher. Sicher, sie mag einst den Aufbruch in die Moderne symbolisiert haben, eine First Lady, die nicht nur Händchen halten und Kekse backen wollte. Doch die konservative Wende brachte eben auch eine Laura Bush ins Weisse Haus, mit der eine stockbiedere Frauenrolle wieder mal fröhliche Urständ feiert. Und wenn Clinton je eine Chance bei Wahlen haben sollte, das ist ihr klar, dann eben nicht als Hillary, sondern als gestandene Senatorin Rodham Clinton.

Im Kongress hat sie – zur Enttäuschung vieler Demokraten – für den Krieg gegen den Irak gestimmt. Sie sitzt als erster New-Yorker Senator überhaupt im Verteidigungsausschuss. Sie zeigt sich in Armeehelm und Kampfweste. Sie reiste in den Irak zum Fototermin mit Generälen. Spätestens 2008 soll keiner mehr die Frage stellen, ob eine Frau dieses Land durch einen Krieg führen kann.

Aber 2004? Das wäre wohl zu früh gewesen. Noch immer werden die Clintons entweder geliebt oder gehasst. Die Erinnerungen an die Whitewater-Affäre und Monicagate sind noch zu frisch. Als ihre Memoiren, «Living History», im vergangenen Jahr in einer Startauflage von einer Million in den US-Handel kamen, schienen sich die Menschen nur auf eine Frage zu stürzen: Wie war das damals mit Monica Lewinsky?

Plötzlich waren sie wieder da, die Erinnerungen an jene Momente, die sie so gehasst hatte. Als Reporter jede Geste verfolgten, jedes Stirnrunzeln: Na, wie geht es der Ehe von Herrn und Frau Clinton? Stehen sie nah beieinander? Halten sie Distanz? Sind es die Spuren durchweinter Nächte, die sie hinter ihrer Sonnenbrille verbirgt?

Sie ist schmaler als früher, die Frisur in Strähnchen blondiert und elegant in Form gebracht. Ihre Gesten haben nun mehr Entschiedenheit, und sie zeigt häufiger ein leicht ironisches Lächeln: Seht her, scheint es zu sagen, mir geht es gut. Und ich kann meinen Job.

Drei Jahre lang musste sie als Senatorin ackern, bis selbst republikanische Politiker ihr Respekt zollten. Hat Bill zum Hausmann degradiert und sich Interviews verweigert, um nicht wieder diese ewigen Fragen nach Monica zu hören. Sie ist die erste Präsidentengattin, die selbst ein Mandat errang. Mit satter Mehrheit wurde sie gewählt im November 2000, und dies, obwohl nicht wenige geglaubt hatten, Amerika habe erst einmal genug von den Clintons. Als zurückhaltende Anfängerin gab sie sich zunächst, doch nun ist sie eine der wichtigsten Stimmen bei den Demokraten. Vielleicht wird es ihr jetzt erst bewusst, jetzt, als Senatorin, welche Lust es ist, «ich» zu sagen anstatt «wir».

Hat sie es manchmal bereut, dass sie ihre eigenen politischen Ambitionen lange hintangestellt hat und ihre Kraft darauf konzentrierte, dem Gatten aus den ewigen Bredouillen zu helfen? Vielleicht fand sie es ja zu früh, Amerika eine Frau wie sie selbst zuzumuten. Jetzt aber ist sie eine politische Macht, unbestritten, in New York zuerst und möglicherweise später in ganz Amerika. Und Bill berät sie, schliesslich ist er ihr etwas schuldig. «Sie könnte jeden Job machen», sagte er. Und: «Ich habe noch niemanden gekannt, der besser in der Politik ist als sie, mich selbst eingeschlossen.» Vor Jahren schon, so hat eine alte Freundin berichtet, habe Hillary – im Scherz? – ihre Träume aufs Weisse Haus bezogen: «Eight years Bill, eight years Hill.»

Sie wartet ab, das ist sicher schlau. Befasst sich mit den Problemen der Feuerwehr in New York City und denen der Obstbauern im Norden. Nur manchmal rutschen ihr Sätze heraus, die schon so klingen, als sei ihr New York zu klein. Sie geht anders um mit ihren politischen Gegnern als in alter Zeit. Legt ihren republikanischen Kollegen im Senat häufig den Arm auf die Schultern, sucht Nähe, ähnlich wie Bill das konnte. Sie hat sich klein gemacht anfangs, um niemanden zu erschrecken, und nach dem 11. September war sie, ganz patriotisch, «auf der Seite unseres Präsidenten».

Jetzt wird sie ein bisschen lauter – und ein bisschen kritischer auch. Sie habe «die Schnauze voll von den Leuten, die uns unpatriotisch nennen, weil wir die Politik dieser Regierung kritisieren», war nun von ihr vor Demokraten zu hören. Das kam gut an.

In ihrem Buch beschreibt Hillary Rodham Clinton eine kleine, frühe Szene, 1984 in Arkansas. Um Bill Clintons Bildungsreform ging es, die erbittert bekämpft wurde, und da trat Hillary eines Tages vor das Plenum und hielt eine flammende Rede, und danach rief ein Abgeordneter den Leuten zu: «Kollegen, es hat den Anschein, als hätten wir den falschen Clinton gewählt!»