Einen Sportwagen mit Nutzwert - so etwas gibt es doch gar nicht. Noch absurder klingt «ein Ferrari mit Kofferraumklappe». Doch den FF gibt es wirklich - auch wenn das Auto bis heute, vier Jahre nach dem Produktionsstart, für verrenkte Köpfe sorgt. Denn zum einen ist er ein seltener Anblick; nur rund 200 Exemplare verkehren in der Schweiz. Und zum anderen zeigt erstmals in der Firmengeschichte ein Ferrari räumliche Nehmerqualitäten: Hausdesigner Pininfarina zeichnete einen wunderschönen Shooting Brake, ein Coupé mit Steilheck und Heckklappe - eine ungewöhnliche Karosserieform, die aber mit Stil und Historie besticht und die etwa den legendären "Schneewittchensarg"-Volvo zu ihren Angehörigen zählt.

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Aber nicht nur beim Blechkleid bricht der zu Preisen ab knapp 320'000 Franken erhältliche FF mit Ferrari-Traditionen. Auch bei der Nomenklatur: Keine Zahlen zu Hubraum oder Zylindern definieren den Namen, sondern FF steht für «Ferrari Four». Vier Sitze, vier angetriebene Räder. Viersitzer aus Maranello gab es zwar schon einige, darunter den für seine Zickigkeit berüchtigten Mondial, Allrad ist jedoch ein weiterer Tabubruch für Ferrari - wobei im Regelfall immer noch die Hinterräder für Vortrieb sorgen. Nur nach Bedarf wird auch den Vorderrädern Drehmoment zugeteilt.

Also einsteigen im schönsten Teil Italiens. Zündschlüssel einstecken und Startknopf links unten am Lenkrad drücken - das Pferdchen faucht! Alle 660 Pferdchen, um genau zu sein.

Wo ist neutral?

Das Anfahren allerdings muss man sich zuvor erklären lassen: Einen Wählhebel für die Automatik sucht man vergeblich, es gibt nur die beiden Wippen am Lenkrad. Rechts einmal ziehen, und die erste Fahrstufe liegt an. Wer rückwärts ausparken will, muss dasselbe tun; nur vom ersten Gang aus lässt sich per R-Knopf in der Mittelkonsole der Rückwärtsgang einlegen. Und wer vergeblich den Modus Neutral sucht (wie wir), dem verraten wir hier die Lösung des Rätsels: an beiden Schaltwippen gleichzeitig ziehen!

Schon fast beängstigend ist, wie ausdauernd der FF beschleunigt. Klar, in der Riege der Supersportwagen sind alle schnell. Aber dem FF scheint die Luft nie auszugehen, auch oberhalb von 230 km/h kann er jederzeit zwei Zähne zulegen, Gasstoss genügt. Dank der gewaltigen Abmessungen liegt er satt auf der Strasse: Der FF ist 10 Zentimeter breiter als der Porsche 911 Allrad und hat einen deutlich längeren Radstand. Ein Wunder an Übersichtlichkeit ist er nicht, dafür sind die Wölbungen der Motorhaube ein Fest für die Augen. Das Lenkrad dreht erstaunlich leichtgängig, vermittelt aber trotzdem vertrauenerweckend viel Fahrbahnkontakt. Und in enge Kurven lenkt der FF messerscharf ein.

Beladungstest bestanden

Begeisterung macht sich dabei nicht nur beim Fahrer breit. Selbst im steifen Zürich funktioniert das Prinzip der «bella macchina», wie man es aus Italien kennt - Fussgänger freuen sich über die automobile Schönheit, winken, grüssen und recken den Daumen. Sogar in jenem Moment, als wir über einen Firmenparkplatz abkürzen müssen und einer Dame den Fussweg abschneiden, wird diese nicht böse, sondern lächelt in den Kühlschlund des FF - sogar sie freut sich über die Skulptur aus Maranello.

Und dann eben der Kofferraum: 450 Liter Gepäck nimmt er auf, das sind nur 40 Liter weniger, als die Kompakt-Kombis der deutschen Premium-Troika Audi, BMW oder Mercedes fassen. Wer es braucht, kann sogar die Rücksitze umklappen, dann verdoppelt sich das Heckvolumen beinahe. Doch so etwas tut man einer Schönheit wie dem Ferrari besser nicht an - und das exquisit ausgeführte Gepäckabteil genügt vollauf für den Kurz urlaub oder den Shopping-Trip.

Den unbestechlichen, patentierten Beladungstest von BILANZ CARS hat der FF jedenfalls bestanden - wir waren auf einer ausgiebigen Einkaufstour, und neben den Tragetaschen der Boutiquen hatten auch die Lebensmittel für die nächste Woche problemlos Platz.

Der Viersitzer verkörpert den Prototyp des Reisesportwagens, also des Gran Turismo - und ist in dieser exklusiven Fahrzeuggattung ein Ausnahmekönner: Mit seinem Fassungsvermögen, den bombastischen Fahrleistungen (335 km/h Spitze, 0 - 200 km/h in 11,6 Sekunden) und Rennstrecken- tauglichem Fahrwerk können allenfalls eine Handvoll scharf gemachter Kombis und Limousinen mithalten. Der Ferrari jedoch kommt vom anderen Ufer des Automobilbaus - er findet vom Stil zum Transport. Und so ist der FF ziemlich sicher der schnellste Lademeister des Planeten. Mit absoluter Sicherheit aber der schönste.

Dirk Ruschmann
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